Viel Glanz soll auf Aserbaidschan fallen, wenn das Land im Mai den Eurovision Song Contest austrägt. Doch Amnesty International übt bereits jetzt scharfe Kritik. Es gebe keine Meinungsfreiheit. 17 Menschen seien zu Unrecht im Gefängnis. Die EU müsse handeln.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Die Regierung von Aserbaidschan scheut keine Mühe, um sich beim "Eurovision Song Contest" im kommenden Frühjahr von ihrer schillernsten Seite zu zeigen. In der vom Ölboom geprägten Hauptstadt Baku entsteht eine "Kristallhalle" mit 25.000 Plätzen. Zu den Auftragnehmern gehört die deutsche Alpine Bau GmbH und das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner. Genehmigungen und Anweisungen kommen direkt aus dem Umfeld von Präsident Ilham Alijew. Dessen Frau Mehriban Alijewa führt das Organisationskomitee.
Ende Mai, kurz nach dem das Gesangsduo El und Nikki den Musikwettbewerb gewonnen hatte, kamen Hoffnungen auf, dass die Regierung der Ex-Sowjetrepublik am Kaspischen Meer auch ihren autoritären Führungsstil lockern könnte: Alijew begnadigte den seit vier Jahren im Gefängnis sitzenden Journalisten Eynulla Fatullayew. Der Chefredakteur war 2007 nach regierungskritischen Artikeln zu mehr als acht Jahren Haft verurteilt worden.
Haus von Bürgerrechtlerin zerstört
Doch diese Hoffnungen wurden schnell enttäuscht. Ende Oktober wurde der Chefredakteur der Zeitung Khural, Awas Seynallow, wegen Erpressung und Bestechung festgenommen. Er hatte über Korruption in den obersten Reihen der Regierung berichtet. Im August wurde ohne Vorwarnung und entgegen eines Gerichtsbeschlusses das Haus der Menschenrechtlerin Leyla Junus zerstört. Nicht nur ihren persönlichen Gegenstände, auch ein Archiv und die Unterlagen von drei NGOs gingen verloren. Junus prangert seit Jahren die den Alltag beherrschende Korruption an. Wenige Tage vor der Zerstörung ihres Hauses hatte Junus in einem Interview mit der "New York Times" die "Verschönerung" Bakus auf Kosten der Einwohner kritisiert.
AI: Grundlegende Rechte und Freiheiten nicht gewährt
Diesen und zahlreiche weitere Fälle führt Amnesty International (AI) in einem heute veröffentlichten Report über Aserbaidschan auf. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert, dass den Bürgern auch nach 20 Jahren Unabhängigkeit und trotz wirtschaftlichen Wohlstands grundlegende Rechte und Freiheiten vorenthalten werden. Die Meinungsfreiheit sei in den vergangenen zwei Jahren noch stärker als zuvor schon eingeschränkt worden.
Die Organisation dokumentiert das Schicksal von 17 Bürgern, die im Zusammenhang mit Protesten nach dem Vorbild der arabischen Revolte im Frühjahr in Baku festgenommen wurden. Diese säßen im Gefängnis, weil sie friedlich ihre Meinung geäußert hätten. AI fordert ihre sofortige Freilassung.
Die selektive Anwendung von Gesetzen und andere informellere Schikane-Instrumente hätten gezeigt, wie weit die Regierung gehe, um regierungsunabhängige Bewegungen und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, schreibt AI. Betroffen seien vor allem Oppositionsangehörige, kritische Journalisten, NGOs, zunehmend aber auch Internetaktivisten.
Festnahme nach kritischen Facebook-Postings
So wurde der 19-jährige Student Jabbar Savalan festgenommen, kurz nachdem er regierungskritische Kommentare auf Facebook gepostet hatte. So wies der Jugendaktivist der oppositionellen Volksfront auf einen Artikel in einer türkischen Zeitung hin, in der Präsident Alijew als Spieler und als korrupt bezeichnet wurde.
Nachdem Savalan im Februar zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen hatte, wurde er festgenommen. Die Polizei behauptete, Marihuana bei ihm gefunden zu haben. Trotz negativen Bluttests muss er wegen Drogenbesitzes bis Ende August 2013 eine Haftstrafe absitzen.
Verhaltener Druck auf Baku
Dass internationaler Druck in solchen Fällen helfen kann, zeigt die frühzeitige Freilassung der Blogger Emin Milli und Adnan Hajizadeh. Sie wurden nach Intervention zahlreicher Politiker - von der deutschen Abgeordneten Viola von Cramon bis hin zu US-Präsident Barack Obama - nach den Parlamentswahlen im Herbst 2010 freigelassen.
Da Aserbaidschan nicht nur Öl und Gas besitzt, sondern als Land zwischen Russland und Iran sowie zwischen Europa und Zentralasien strategisch von Bedeutung ist, fallen Reaktionen meist verhalten aus. Anders als Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko wurde Ilham Alijew beispielsweise kürzlich zum EU-Treffen mit sechs osteuropäischen Ländern eingeladen. Dessen Gattin Mehriban Alijewa richtete Ende September im Deutschen Historischen Museum in Berlin einen Empfang zum Unabhängigkeitstag Aserbaidschans aus. Unter den Gästen waren Hans-Dietrich Genscher, Otto Schily und Bettina Wulff, die Frau des Bundespräsidenten. Alijewa überreichte einen Scheck in Höhe von 50.000 Euro zum Aufbau des Berliner Stadtschlosses.
In Aserbaidschan ist bekannt, dass Alijewas Familie in zahlreichen Wirtschaftsbranchen engagiert ist und mit einer Hand voll weiterer Familien die engen Kontakte zu Regierung und Behörden nutzt, um unliebsame Konkurrenten fern zu halten.
Amnesty International kritisiert denn auch in dem aktuellen Bericht, dass die Europäische Union und andere internationale Partner Aserbaidschans über die Menschenrechtsverletzungen im Land hinwegsehen. Die EU solle endlich ihre Passivität aufgeben und deutlich ein Ende der Unterdrückung friedlicher Proteste fordern, heißt es.
Aktivisten in Baku hoffen darauf, dass vor dem Eurovision Song Contest zumindest die Gefangenen freikommen, die wegen der Proteste im Frühjahr festgenommen wurden. Kaum jemand glaubt allerdings daran, dass sich etwas Grundlegendes ändern kann, wenn die europäischen Scheinwerfer für ein paar Tage auf Baku gerichtet sein werden.
Mehr Links:
Viele Streitpunkte beim Treffen der "Östlichen Partnerschaft" (30.09.2011).
Wie soll Europa mit despotischen Regimen umgehen? (13.02.2011).
Aserbaidschan: Bloggen gegen das System (28.12.2010).
Weltatlas: Aserbaidschan [FlashHTML] .
Saturday, November 19, 2011
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