Sunday, April 21, 2013

ARTIKEL: Machtkampf in Georgien. Die Rosenrevolutionäre kämpfen um ihre Zukunft. Von Silvia Stöber, Tbilissi (nzz.ch)

(nzz.ch) Mit einer Demonstration gegen die Regierung von Ministerpräsident Iwanischwili versucht die Partei von Georgiens Präsident Saakaschwili, ihren politischen Machtverlust aufzuhalten. Doch ihr Einfluss schwindet weiter.

Nichts weniger als eine grundlegende Veränderung der politischen Lage sollte am Freitag in der georgischen Hauptstadt Tbilissi eingeläutet werden. So zumindest hatte es der Generalsekretär der Vereinten Nationalbewegung (UNM), Ex-Innenminister Vano Merabischwili, angekündigt. Die UNM, die im Oktober nach verlorenen Parlamentswahlen von der Regierung in die Opposition wechseln musste, hatte seit Wochen zu einer Grossdemonstration gegen die neue Regierung des Milliardärs Bidsina Iwanischwili aufgerufen. Spendabler Präsident

Es kamen schliesslich etwa 5000 Demonstranten zum Parlament im Stadtzentrum – nicht vergleichbar mit den Zehntausenden, die Iwanischwili vor der Parlamentswahl im Oktober angelockt hatte. Nach einer Stunde kam schliesslich auch der noch amtierende Staatspräsident und Parteiführer Michail Saakaschwili, zur Erleichterung seiner Anhänger. Sein Fernbleiben hätte verstanden werden können als Aufspaltung der UNM, die 2003 die Rosenrevolution angeführt und dann neun Jahre unangefochten das Schicksal des Landes bestimmt hatte. Nun ist sie das einzig verbliebene Gegengewicht zu Iwanischwilis Koalition Georgischer Traum, die zunehmend die wichtigen Positionen im Land besetzt.

Die UNM ist ganz auf die Führungsperson Saakaschwili ausgerichtet. Doch der einstige Vorzeigedemokrat und Korruptionsbekämpfer begann schon in den vergangenen Jahren an Ansehen einzubüssen. Nun erlebt er einen Tiefpunkt. Seit Tagen diskutiert die Öffentlichkeit über 17 Dokumente, die ein Licht auf Saakaschwilis ausschweifendes Leben auf Staatskosten werfen. Publik gemacht hatte die Abrechnungen eine Parlamentsabgeordnete des Regierungsbündnisses Georgischer Traum.

Saakaschwili soll zum Jahreswechsel 140 000 Dollar für eine Silvesterparty in Dubai ausgegeben haben, 70 000 weitere für eine Abmagerungskur in Italien mit dem Bürgermeister von Tbilissi. Zudem soll er Frauen teure Schmuckgeschenke gemacht haben. Schliesslich zahle der Präsident auch die Kosten für den Unterricht seiner beiden Söhne in prestigeträchtigen Schulen von Tbilissi über das Staatsbudget.

Auch wenn sich Saakaschwili sogleich verteidigte, er habe mit landestypischer Gastfreundschaft ausländische Investoren für Georgien interessieren wollen, ist sein Ruf geschädigt. Anfang März verärgerte Saakaschwili zudem seinen Freund, Aserbeidschans Präsidenten Ilham Alijew, indem er behauptete, Russlands Präsident Wladimir Putin plane ein Komplott gegen Alijew. Dieser jedoch legt grössten Wert auf eine fein ausbalancierte Aussenpolitik zwischen Russland und dem Westen.

Stimmungswechsel im Ausland

Auch auf der internationalen Bühne wendet sich das Blatt. In den vergangenen Monaten hatte die UNM noch von ihren engen Beziehungen in der EU sowie den USA profitiert, um die internationale Skepsis gegenüber Ministerpräsident Iwanischwili zu befeuern und ihn damit auch im Inland unter Druck zu setzen. Als jedoch am Montag die amerikanische Organisation German Marshall Fund nahe München ihr traditionelles Treffen der Freunde Georgiens unter anderem mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves und dem schwedischen Aussenminister Carl Bildt abhielt, war nicht wie traditionell Saakaschwili zu Gast, sondern Iwanischwili.

Bei der Demonstration am Freitag gab sich Saakaschwili als derjenige, der Georgien an den Westen angenähert hat. Doch vermochte er die Massen nicht mehr wie früher mitzureissen. Parteisekretär Merabischwili verliess das Podium, bevor der Präsident zu Ende gesprochen hatte. Er wird als Kandidat für die im Oktober anstehende Wahl von Saakaschwilis Nachfolger gehandelt. Doch ist er als ehemaliger Chef des machtvollen Innenministeriums bei den Georgiern eher gefürchtet als geschätzt. Dabei spielen auch Videos mit Folterszenen in Gefängnissen, die kurz vor der Wahl in der Öffentlichkeit aufgetaucht waren, eine Rolle.

So beschwor denn David Bakradze, der UNM-Fraktionschef im Parlament, bei der Demonstration einen Neubeginn der Partei, die aus ihren Fehlern gelernt habe. Die grosse Anzahl an Demonstranten zeige, dass Gerüchte über den Tod der Partei übertrieben gewesen seien.

Fraglich ist, mit welchen Themen sich die UNM profilieren will. Bei der Demonstration pochten die Redner auf den Weg Richtung Westen. Doch die Georgier drücken andere Sorgen: die hohe Arbeitslosigkeit, die brachliegende Landwirtschaft im Agrarland Georgien, das schwache Sozialsystem. Das sind jedoch Probleme, die die UNM noch selbst zu verantworten hat.

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