Sunday, April 21, 2013

ARTIKEL: Weinland Georgien. Zurück aus dem Keller der Geschichte. Von Benjamin Triebe, Kisiskhewi (nzz.ch)


Georgische Weinfreuden am Ende des 19. Jahrhunderts: Winzer Prinz Iwan Mukhranbatoni (Mitte) auf seinem Landgut.
Georgische Weinfreuden am Ende des 19. Jahrhunderts: Winzer Prinz Iwan Mukhranbatoni (Mitte) auf seinem Landgut.
(nzz.ch) Was es für die Sowjetunion bereits gewesen ist, will Georgien auch wieder für den Rest der Welt werden: eine grosse Weinnation. Tradition und Vielfalt gibt es reichlich, die Qualität stimmt. Was fehlt, ist der Name.

Die Grösse der georgischen Weinkultur erschliesst sich in dem Moment, in dem man aufpassen muss, nicht in sie hineinzufallen. Mehr als drei Meter tief ist die im Boden versenkte Amphore, bis zu 3500 Liter Wein finden darin Platz – und theoretisch auch ein unachtsamer Besucher, wenn er das schwarze Loch zu seinen Füssen allzu spät bemerkt. Meistens allerdings sind diese Tonamphoren, in Georgien Qwewris genannt, mit Stein und Lehm verschlossen. Dann gärt in ihnen der Wein, heute genauso wie vor Tausenden Jahren. Er gewinnt in der kühlenden Erde einen Geschmack, der wenig mit jenem in Edelstahltanks gezüchteter moderner Weine gemein hat. Manchmal sei ein Qwewri wie ein Überraschungsei, sagt Roland Burdiaschwili, Geschäftsführer des Weinguts Schuchmann Wines. Aber in 95% der Fälle habe der Inhalt Topqualität.

Gefahr globaler Verwechslung

Die Tradition des Weinanbaus und der Kultivierung von Reben reicht in Georgien sehr weit zurück. Manche Quellen sprechen von 8000 Jahren; 4000 Jahre sind es wohl in jedem Fall. Das abwechslungsreiche Klima in den Tälern und Ebenen zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus hat Hunderte Rebsorten gedeihen lassen. Doch während des Kommunismus war die Produktion auf den Sowjetmarkt ausgerichtet. Im Westen geriet das kleine Weinland, gelegen auf dem gleichen Breitengrad wie Rom, in Vergessenheit. Seit der Wende finden seine Produkte erst langsam zurück in die weite Welt – eine Welt, der man erklären muss, dass mit der englischen Bezeichnung «Georgia» kein US-Gliedstaat gemeint ist.


Die Kellerei Schuchmann Wines liegt im Dörfchen Kisiskhewi, in Kachetien, einer fruchtbaren Region im Osten Georgiens. Scheinbar zum Greifen nah glänzen die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus. Viele Menschen hier sind arm und leben von Subsistenzlandwirtschaft. Fast jede Familie habe ihren eigenen Rebstock und ein oder zwei kleine Qwewris im Garten, sagt Burdiaschwili. Die Georgian Wine Association (GWA) schätzt, dass jährlich zwischen 150 000 und 200 000 t Trauben in Georgien geerntet werden. Davon verarbeiten die 80 bis 90 Weinfirmen des Landes nur 30 000 bis 40 000 t; über 100 000 t werden von Privatpersonen zu ihrem persönlichen Hauswein verarbeitet. Trauben finden sich überall, sogar in den Tschurtschchelas, Dessert-Stäbchen aus Walnüssen, die von Traubensaft-Couverture in Form gehalten werden. Auf dem Land verkaufen alte Frauen sie am Strassenrand.




Als sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine professionelle Weinherstellung in Georgien entwickelte, war das russische Kaiserreich der Hauptabsatzmarkt. Später trat an dessen Stelle die Sowjetunion, deren Teil Georgien 1921 geworden war. Von dem gebürtigen Georgier Stalin wusste man, dass er die auch im Sowjetreich beliebten halbsüssen Rotweine der einheimischen Sorten Kindzmarauli und Khvanchkara bevorzugte. Doch das kleine Land konnte die grosse Nachfrage nicht aus dem Stand befriedigen: Die Anbaufläche von Wein wuchs laut der GWA von knapp 30 000 Hektaren 1921 auf 112 000 Hektaren im Jahr 1985. Von traditioneller Handarbeit wurde im grossen Stil auf maschinelle Ernte, europäische Verfahren mit Stahltanks und nahezu industrielle Produktion umgestellt – und exportiert, was sich exportieren liess. Natürlich war es möglich, in der Sowjetunion hervorragenden georgischen Wein zu trinken. Aber manche der Flüssigkeiten, die gen Norden geschickt wurden, waren nie mit Trauben in Berührung gekommen.

Klumpenrisiko Russland

Auf das Ende der Sowjetunion folgten die Wirren der Übergangsjahre, ein Wirtschaftskollaps, der Bürgerkrieg. Die Anbaufläche fiel zurück auf 45 000 Hektaren im Jahr 2004. Die kommerzielle Weinproduktion erholte sich erst nach dem Jahrhundertwechsel, aber der Export blieb zu 80% auf Russland konzentriert. Das machte bequem, war aber gefährlich: Umso härter traf es die Hersteller, als der Kreml 2006 einen Importstopp für wichtige georgische Agrarprodukte verhängte. Offiziell dienten gesundheitliche Bedenken als Grund, aber sie waren mehr Steigbügelhalter für politische Vergeltung – schliesslich hatte die qualitative Heterogenität der georgischen Weinexporte jahrelang niemanden gestört. Doch seit der Rosenrevolution von 2003 war Georgien unter Präsident Saakaschwili auf Westkurs geschwenkt; die Spannungen und Territorialkonflikte mit dem Nachbarn nahmen zu und entluden sich 2008 in einem kurzen Krieg.

Rosskur nach dem Embargo

Ihres wichtigsten Marktes beraubt, gingen viele georgische Weinproduzenten bankrott. Wer überleben wollte, musste in Qualität investieren, weil er nur so neue Märkte erschliessen konnte. Diese Rosskur hat der Branche gutgetan. Auch der Staat erkannte, dass es so nicht weiterging. Das georgische Weinrecht ist heute ähnlich streng wie das deutsche, die Kontrollen auch. Allmählich erholten sich die Ausfuhren, doch unter den zehn wichtigsten Exportzielen waren vergangenes Jahr noch acht ehemalige Länder des Ostblocks (vgl. Grafik). Nun zeichnet sich ein neuer Wendepunkt ab. Nach einem georgischen Regierungswechsel im vergangenen Jahr herrscht zwischen Moskau und Tbilissi leichtes Tauwetter. Als wohlmeinende Geste hat der Kreml angekündigt, den Import von georgischem Wein und Mineralwasser bald wieder zu gestatten. Russische Inspektoren reisen durch das Land und nehmen die Betriebe unter die Lupe.

Russland ist wichtig: Nirgendwo sonst auf der Welt finden die Georgier einen unberührten Markt mit rund 140 Mio. Menschen, die bereits wissen, wie gut ihr Wein sein kann. Auch Schuchmann Wines hat die nötigen Anträge auf Importerlaubnis gestellt. Doch er habe das Budget für 2013 noch nicht um mögliche Umsätze in Russland ergänzen lassen, sagt Firmengründer Burkhard Schuchmann bei einem Gespräch in Tbilissi. Das werde erst nach der ersten Lieferung geschehen. Grundsätzlich sollen Klumpenrisiken vermieden werden: Keine Exportregion dürfe einen Anteil von mehr als 25% am Umsatz haben. 
Das gelte auch für Russland.

Schuchmann war bis Ende 2005 Vorstandschef des deutschen Bahntechnikherstellers Vossloh. Dann sattelte der heute 70-Jährige um. Seit 2007 hat er etwa 8 Mio. € aus eigenen Mitteln in den Kauf von Weinreben und den Aufbau einer Kellerei in Kachetien investiert. Den ersten eigenen Wein verkaufte er 2009, die Produktionskapazität erreicht inzwischen 500 000 Flaschen pro Jahr. 70% werden in Edelstahltanks hergestellt, 30% in Qwewris. Irgendwann soll dieses Verhältnis umgekehrt sein; Schuchmann will besonders in den Ausbau der traditionellen Methode investieren. 150 bis 200 der grossen Tonamphoren möchte er einmal besitzen. Jetzt sind es über 30. In diesem Jahr sollen 40 Qwewris dazukommen und auch das Geschäftsergebnis deutlich über Break-even klettern. Die Gesamtkapazität werde aber maximal auf 1 Mio. Flaschen erhöht, fügt Schuchmann an. Er wolle in der Edel-Nische bleiben und «richtig tolle Weine» machen.

Schuchmann setzt bei der Pflege des Rebstocks und bei der Ernte auf reine Handarbeit. 85% der Rebsorten sind georgischen Ursprungs. Die zerdrückten Trauben werden samt Haut, Kernen und Stielen in die Qwewris gegeben. Rote Trauben bleiben dort nur zur alkoholischen Gärung, weisse Trauben für bis zu sechs Monate – zumindest bei der kachetischen Methode, die Schuchmann anwendet (es gibt auch die imeretinische Technik, bei der die Gärung kürzer ist, benannt nach einer anderen Region). Während der Gärung muss die Maische täglich mit langen Holzstielen umgerührt werden, nach der Weinentnahme wird der Qwewri von innen von Hand geputzt.

Herber und körperreicher

Das Endprodukt besitzt mehr Tannine und Polyphenole als normaler Wein aus Edelstahltanks, für den nur der Traubensaft vergoren wurde. Qwewri-Wein schmeckt herber und körperreicher. Der zugegebenermassen ungeübten Zunge des Berichterstatters erschienen modern hergestellte Weine aus denselben Rebsorten im Vergleich geradezu aufdringlich. Wegen der aufwendigen Produktion sei eine Flasche Qwewri-Wein etwa dreimal so teuer, sagt der Geschäftsführer Burdiaschwili. Deswegen stellt die Kellerei auch günstigere, auf europäische Art gemachte Weine her – als Türöffner, um in fremden Märkten Fuss zu fassen.

Doch Tradition muss nicht an Qwewris gebunden sein: An eine ehrwürdige Geschichte knüpfen auch die Winzer von Château Mukhrani an. Der Firmenname bezieht sich auf ein echtes Château. Das ist nicht nur auf dem Flaschenetikett hübsch anzusehen, sondern auch in Wirklichkeit, im gleichnamigen Ort Mukhrani, 35 Kilometer von Tbilissi entfernt, zwischen zwei Hügelketten auf halbem Weg zu Stalins Geburtsstadt Gori. Das zweistöckige Château mit repräsentativem Türmchen wurde 1873 für Prinz Iwan Mukhranbatoni errichtet, einen georgischen Adeligen. Geschleift von den Kommunisten und im Bürgerkrieg, wird es gerade renoviert. Schon Prinz Iwan kultivierte Wein in Mukhrani; leiten liess er sich von den Erfahrungen, die er bei Aufenthalten in Frankreich gesammelt hatte. Wenn sich die 2003 gegründete Firma Château Mukhrani nun der modernen Weinherstellung und nicht den Qwewris verschreibt, so geschieht dies ganz in Prinz Iwans Tradition.

(Zu) viele Rebsorten

Château Mukhrani will sich als Primus für hochwertigen georgischen Wein positionieren. Wieder erfolgt die Ernte in Handarbeit; auch kontrolliert die Firma die ganze Herstellungskette. Es werden keine fremden Trauben zugekauft oder Teile der Ernte extern verarbeitet. Die Ernte von 2012 wird rund 350 000 Flaschen ergeben. In zwei Jahren soll die Kellerei, wenige Schritte vom Château entfernt, den maximalen Ausstoss von 700 000 Flaschen erreichen.

Wenn es um Wein gehe, sei Georgien das Frankreich des ehemaligen Ostblocks, sagt Mukhrani-CEO Petter Svaetichin. Allerdings gebe es in Frankreich «nur» rund 250 Traubensorten, fügt der Schwede an. Im viel kleineren Georgien seien es laut der jüngsten Zählung 527; und dabei sei in den vergangenen tausend Jahren schon rund die Hälfte verloren gegangen. Von den Sorten wird zwar nur ein kleiner Teil kommerziell genutzt – aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind sie auch ein Problem. Sie erschwert die Markenbildung. Argentinien hat den Malbec als international bekanntes Aushängeschild, die USA haben den Chardonnay – und Georgien?

Um Wein und Land bekannter zu machen, setzen manche Weingüter auf Tourismus, bieten Gästebetten, Restaurants und Ausflüge. Prinz Mukhranbatoni verfolgte Ende des 19. Jahrhunderts eine andere Taktik, wie Svaetichins Mitarbeiterin Tamar Buadze auf einem Rundgang um das Château erläutert: Er heuerte in Paris Studenten an, die in den Gaststätten seinen Wein bestellten – und das unbekannte Produkt natürlich nicht erhielten. Daraufhin zogen die Studenten so enttäuscht von dannen, dass die Wirte glauben mussten, ihre Weinkarte habe ein entsetzliches Loch. Vielleicht ist auch diese PR-Methode wieder einen Versuch wert.

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