Wednesday, April 17, 2013

LITERATUR: Ekaterine Togonidze, Nino Haratischwili und Tamta Melaschwili über Georgien. (klappentexterin.wordpress.com)

522696_492943927433301_311941260_nNEUQuelleklappentexterin.wordpress.com

Ekaterine Togonidze wurde 1981 geboren, ist Schriftstellerin, Moderatorin und Journalistin. Ihr Debüt, Das Schöne, wurde vom Kulturministerium Georgiens mit dem Preis “Die beste Erzählung des Jahres 2011″ ausgezeichnet. Für ihren Roman Anästhesie erhielt sie 2012 den “Saba” für das beste Debüt des Jahres. (Foto: Nakanimamasakhlisi)

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nino_haratischwili13-1NEUNino Haratischwili wurde 1983 geboren. Sie wurde mehrfach für ihre Arbeit als Theaterautorin und -regisseurin ausgezeichnet. 2010 erhielt sie für ihre Theaterarbeit den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis. Ihr Romandebüt Juja erschien 2010 und war für die Longlist des Deutschen Buchpreises und die Shortlist des ZDF aspekte Literaturpreises nominiert. 2011 gewann sie für Juja den Debütpreis des Buddenbrockhauses Lübeck. Im gleichen Jahr wurde ihr Roman Mein sanfter Zwilling mit dem Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage ausgezeichnet. Die Autorin schreibt auf Deutsch und lebt in Hamburg.
(Foto: Julia Bührle-Nowikowa)


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IMG_3097damdidiNEUTamta Melaschwili wurde 1979 geboren. Die Autorin wuchs in Georgien auf, lebte ein Jahr in Deutschland und begann hier zu schreiben. 2010 erschien ihr Debütroman Abzählen und wurde im gleichen Jahr mit dem Literaturpreis “Saba” ausgezeichnet. 2012 erschien Abzählen auf Deutsch und wurde für die Hotlist nominiert. Im gleichen Jahr war sie für einen Monat Gast des Literarischen Colloquiums in Berlin. Tamta Melaschwili lebt derzeit in Georgien und engagiert sich für Frauenrechte und Genderfragen. (Foto: Nino Kharchilava)

(klappentexterin.wordpress.com) Klappentexterin: Ich treffe in Ihren Geschichten Frauen, die ihre Rolle in der modernen Welt suchen und ihr Gehör verschaffen wollen. Teilweise sind sie Suchende, manchmal Verlorene. Inwiefern spiegeln sie das heutige Bild der modernen Frau in Georgien wider?

Ekaterine Togonidze:
Ich habe mir bewusst eine Frau ausgesucht, die geographisch nirgendwo verortet ist. Es war mir wichtig, ihr keine Art von ethnischen und nationalen Merkmalen mitzugeben. Würde man diese Frau in georgischen Kontext setzen, dann würde sie zu einer Minderheit zählen. Weil sie eine von den Frauen ist, die karriereorientiert, auch selbstbewusst, unabhängig, frei sind und so ihr Leben leben. Das ist nach wie vor nicht die Mehrzahl.


Nino Haratischwili: Das Stück spielt im Westen und ist nicht georgischtypisch. Es gibt Lena, die für den Osten steht und die definitiv keine moderne oder meine Generation repräsentiert, sondern eine ältere. Sie ist für mich eher ein symbolisches Sinnbild für den Osten.

Tamta Melaschwili: Die Romanheldin in meiner Erzählung ist eine professionelle Killerin. Sie ist eine Frau, die gegen das System kämpft, es dafür aber auch gleichzeitig nutzen muss.

Das literarische Georgien wurde durch Sie – Nino Haratischwili und Tamta Melaschwili – in Deutschland bekannter, und doch scheint es noch recht leise zu sein in dem internationalen Literaturuniversum. Woran mag das liegen?

TM: Das Allererste war natürlich, dass man über 70 Jahre komplett im Sowjetraum eingesperrt war. Danach die 20 Jahre war man mit dem Krieg und Überleben, wirtschaftlicher Inflation, Arbeitslosigkeit beschäftigt und keiner hatte Zeit, sich um Literatur zu kümmern. Und jetzt gerade – so peu à peu – hat man damit begonnen. Man kümmert sich erst seit wenigen Jahren, hier auf der Messe. In Leipzig, glaube ich, ist es das zweite Mal, aber in Frankfurt waren es mehr als sieben, acht Mal.


NH: Man steckt noch wirklich in Kinderschuhen und braucht Zeit.

Was wünschen Sie sich für die georgische Literaturszene?

ET: In erster Linie wünschen wir uns Übersetzungen, beidseitig, vor allem das Georgische ins Deutsche, Englische oder Italienische übersetzt wird. Alles, was übersetzt wurde, ist nichts für die Schublade oder im Computer geblieben. Jeder hat seinen Verlag oder eine Nische gefunden, sei es eine Anthologie oder direkt ein Roman. Es wurde tatsächlich publiziert, ob ins Russische, Englische oder Deutsche. Deswegen muss man das viel mehr machen, weil offenbar Interesse vorhanden ist. Und wenn man das statistisch betrachtet, dann ist das keine so schlechte Zahl. Angesichts dessen, wie wenig letztlich dafür getan wurde, hat man schon ganz gut Andockungen gefunden. Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit in der Kulturpolitik wäre wichtig, damit mehr und gezielter getan wird.


Wie sehen Sie die Lage für Künstler in Georgien?

ET: Die meisten brauchen einen zweiten Job, weil man von Kunst allein nicht leben kann.


TM: Jetzt ist gerade eine spannende Umbruchzeit und eine neue Generation entsteht, die viel experimenteller ist, die ganz viel ausprobieren und etwas Neues beginnen könnte.

NH: Ich würde mich Tamta anschließen, denn es passiert schon Etwas, auch in Richtung Theater, nicht nur Literatur, aber es ist schon finanziell sehr schwer. Ich kenne eigentlich niemanden, der von der Kunst allein leben kann, bis auf sehr wenige Ausnahmen.

Wie unterscheidet sich der Alltag einer georgischen von dem einer deutschen Frau?
 
NH: Ich glaube, dass es eine Frau in Deutschland grundsätzlich leichter hat, über ihr Leben selbst zu entscheiden. Sie hat viel mehr Möglichkeiten. Und das hängt nicht von der sozialen Schicht ab, denn hier kann auch jemand mit wenig Geld studieren. Die georgischen Frauen haben weniger Auswahl, weil der wirtschaftliche und finanzielle Rahmen nicht gegeben ist und nur ganz wenige sich das leisten können, wirklich loszumarschieren und einen Job zu kriegen, mit dem sie sich selbst ernähren können. Man lebt sehr stark in Gemeinschaften. Das führt zu weniger Selbstbestimmung und mehr Einfluss seitens der anderen Generationen und auch der Männer. Deshalb haben die Frauen in Georgien gar nicht das Bewusstsein, was sie alles könnten und welche alternativen Lebensformen es noch gibt. Auch die, die in Europa und Amerika studiert haben, sind nicht von diesen Zwängen und Bestimmungen der Gesellschaft befreit. Viele gehen dann doch in diese Form zurück.


Wieso?

NH: Ich glaube, es ist ganz viel Angst.


TM: In erster Linie ist die Gemeinschaft wichtig und dann das Individuum. Das ist die Norm. Und alles, wogegen du abweichst, erfordert eine unglaubliche Geduld und Kraft, Individualität und einen Willen, das durchzuziehen, weil du ständig in dem Kampf mit der Mehrheit stehst. Es ist nun nicht so, dass es dein Leben bedroht, aber du kannst ganz leicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden.

ET: Zunächst war es eine schöne Idee. Wenn sie dann jedoch Realität wird, kann man schnell Angst bekommen und man merkt, dass es doch schwieriger ist, es durchzuziehen.

Haben Sie AutorInnen, zu denen Sie aufschauen?

TM: Ich bin verliebt in Etgar Keret. Er ist der beste Kurzgeschichten-Autor. Außerdem schätze ich Elfriede Jelinek.


ET: Meine letzte Entdeckung war Doris Lessing.

NH: Von den georgischen Autoren gibt es für uns Autoren wie Michael Javakishwili. Ich habe unendlich viele Autoren, gerade die allerletzte Entdeckung, die mich total umgehauen hat, war Arundhati Roy. Ich bin gerade auf einen Inder-Trip. Kürzlich habe ich auch Per Olov Enquist entdeckt. In letzter Zeit bin ich forschungsbezogen auch mit Literatur zum zweiten Weltkrieg beschäftigt.

Wie die Autorin Marica Bodrožić schreiben Sie, liebe Nino Haratischwili, auf Deutsch und nicht in Ihrer Muttersprache. Fühlen Sie sich der Sprache näher?

NH: Ich weiß es nicht. Es gibt immer diese Frage. Es gab für mich keine bewusste Entscheidung, ich fange jetzt an, auf Deutsch zu schreiben. Das war ein schleichender Prozess. Ich sehe schon ein, dass es für die meisten ungewöhnlich ist, doch für mich ist es sehr natürlich geworden. Deswegen habe ich das auch nicht so groß und viel hinterfragt. Ich glaube aber, wenn man es ganz küchenpsychologisch betrachtet, war die Zeit, als ich anfing zu schreiben, eine Umbruchzeit. Das war eine Teeniezeit, in der ich einen gewissen Abstand zu bestimmten Dingen brauchte, die mir sehr nahe gingen. Ob es auf Georgien bezogen war oder auf das Private. Da bot sich Deutsch tatsächlich an, eine bestimmte Distanz einzunehmen und so eine Art Außenblick zu bekommen. Irgendwann wurde es zu einer Selbstverständlichkeit, weil ich halt hier lebe. Würde ich wieder in Georgien leben, ich weiß nicht, ob das Georgische in die literarische Sprache zurückkäme. Ich hoffe. Für mich hat Sprache sehr viel mit dem Hier und Jetzt zu tun. Es wäre komisch, hier zu leben und auf Georgisch zu schreiben.


Tamta Melaschwili, Ihr Debüt “Abzählen” wurde 2010 mit dem nationalen Literaturpreis “Saba” für das beste Debüt des Jahres ausgezeichnet. Ihr Debütroman, liebe Ekaterine Togonidze, “Anästhesie” erhielt 2012 den “Saba”. Und Sie, liebe Nino Haratischwili, haben den Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage gewonnen. Was hat sich damit für Sie verändert?

TM: Der Verkauf hat sich gesteigert. Sobald man diesen Preis gewinnt, merkt man in Georgien, dass das öffentliche Interesse geweckt wird und dass die Leute gezielt das Buch in Buchhandlungen suchen. Es trägt mehr dazu bei, dass die Wahrnehmung eines Autors gesteigert wird.


ET: Es ist natürlich – preisbezogen – eine kurze, kleine erfreuliche Erleichterung für jeden Autor, der – wie gesagt – gerade in Georgien um so schwieriger mit dem finanziellen Überleben zu kämpfen hat. Das ist bei “Saba” eine verhältnismäßig gute Summe.

Wann dürfen wir uns über neue Bücher von Ihnen freuen?

NH: Ich schreibe an einem Roman und hoffe, dass ich 2013 noch fertig werde und der Roman 2014 erscheint. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen, weil ich mich noch im Schreibprozess befinde.


TM: Ich will Anfang September beginnen und irgendwann Mitte 2014 fertig werden. Es reift und keimt alles in meinem Kopf und ich hoffe, dass es qualitativ hochwertig ist, damit das Werk wieder übersetzt wird.

ET: Ich schreibe an meinem Roman und ich will, dass er 2013/14 fertig wird.

Ich danke den drei Autorinnen für die Zeit, die sich genommen haben. Und für das Interview, das mir viel Freude bereitet hat. Ich wünsche Ekaterine Togonidze, Nino Haratischwili und Tamta Melaschwili alles Gute und weiterhin viel Erfolg!

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