Wednesday, August 24, 2005

"Abchasiens Zukunft" von Andrew Mueller

von Andrew Mueller
23 - 8 - 2005
in www.opendemocracy.net

Eine kleine, kaum bekannte Ecke im Süd Kaukasus widersteht Georgien, verlässt sich auf Russland, und tritt entschlossen für ihre Unabhängigkeit ein.


Andrew Mueller berichtet von Abchasien.

Der internationale Flughafen von Sukhumi muss der verlassenste Flugplatzt auf Erden sein. Es gibt nur ein paar Düsenmaschinen, die auf der Rollbahn geparkt worden sind, aufgegebene Aeroflot-Flugzeuge, die aussehen wie damals, als sie in der Luft gewesen sind, als noch Leonid Brezhnev an der Macht war. Es gibt keine Zollformalitäten, nur einen gelangweilten Sicherheitsbeamten, der die wenigen Ankommenden einfach durchwinkt. Und außerhalb des Flugplatzes gibt es keine Taxis, keine Busse, halten keine uniformierten Chauffeure die Namen von ihren Passagieren auf Pappschildern hoch.

Die Morbidität des internationalen Flughafens von Sukhumi ist ein Nebenprodukt der Tatsache, dass hier sowieso niemand mehr an einen internationaler Flughafen denkt. Sukhumi ist zwar die Hauptstadt von Abchasien, einem Gebiet im Nordwesten Georgiens. Hier kämpfte man für mehr als ein Jahrzehnt für die Anerkennung eines unabhängigen und souveränen Staates . Die Kosten und der Aderlaß menschlichen Lebens sind enorm: um geschätzte 10.000 Leute sind laut Berichten 1992-93 im Krieg mit Georgien umgekommen und ermordet worden; viele von ihnen waren Abchasen. Die gesamte abchasische Bevölkerung beträgt nur 90.000.

Den meisten Ausländer ist es nur möglich hierherzukommen, wenn sie die notwendigen Genehmigungen haben, und indem sie die sporadischen UN-Hubschrauber-Flüge vom georgischen Militär-Flughafen in der Nähe von Senaki nutzen. Die schwerfälligen russischen Mi 8s fliegen geradewegs zur Küste, dann ein paar Meilen hinaus aufs Schwarze Meer und kehren dann bald wieder um nach Sukhumi. Der Bogen wird seit Oktober 2001 geflogen, nachdem ein UN-Hubschrauber über Abchasien abgeschossen wurde und alle neun an Bord befindlichen Personen umkamen.

EIN SCHATTENSTAAT

Abchasien hat die Absicht, trotz der offenen Feindschaft mit Georgien und der Gleichgültigkeit der restlichen Staaten, seinen eigenen Weg zu gehen. An den öffentlichen Gebäuden in Abchasien, an den Läden und in den Straßen sieht man die Flagge von Abchasien, die eine reiche mit Symbolik darstellt: die grünen und die weißen Streifen vertreten das christliche und das islamische Erbe Abchasiens, ein rotes Quadrat geschmückt mit einer offenen Handfläche kennzeichnet die Freundschaft, und die sieben weiße Sterne bedeuten die sieben Provinzen Abchasiens.

Darüber hinaus sind die Formalitäten der Unabhängigkeit allgegenwärtig. Abchasien hat seine eigene Regierung, die seine eigenen Steuern eintreibt, und schließlich sein eigenes Außenministerium (selbst wenn es so merkwürdig aussieht, wie in der Schweiz, die einen Marinenminister oder wie in der Niederlande, die einen Bergrettungsdienst hat). Zudem hat Abchasien seine eigene Polizei, die die eigenen Gesetze von Abchasien durchsetzt, sein eigenes Militär, in dem für alle Männer ein zweijähriger obligatorischer Dienst vorgesehen ist und eigene Briefmarken (obwohl die Chancen, dass die Postkarten auch wirklich ankommen, wohl mit gemischten Gefühlen zu betrachten wäre).

Gleichzeitig ist die Realität der Abhängigkeit present. Abchasien plant zwar, eigene Reisepässe auszugeben. Doch die Abchasien leben seit 2002 das Recht auf die russische Staatsbürgerschaft, woraufhin die Staatsbildung in einem russischen Sinne beeinflusst wird. Russische Truppen garantieren auch die Genze zu Georgien (Inguri-Fluss) im Osten, und sind zudem in Sukhumi stationiert– beneidenswert untergebracht in von Bäumen eingehüllten Dachas - neben dem Strand, einem der ersten Urlaubsorte der alten sowjetischen Nomenklatur. Abchasien vermeidet zwar die Georgische Währung (lari) , aber es benutzt den russischen Rubel anstatt irgendeiner einer eigenen Währung. Russisch ist auch die meistgehörte Sprache, obwohl es in den letzten Jahren eine Wiederbelebung der nordwestlich kaukasischen Sprache von Abchasien gegeben hat, die sich vom südlich kaukasischem Georgisch (kartvelebi) und Mingrelisch (megruli) unterscheidet.

Die Abchasier weisen darauf hin, dass die modernen Schwierigkeiten des Landes von einem Erlass Josef Stalins herrühren. Nach der Konsolidierung sowjetischer Kräfte 1921 hatte Abchasien den gleichen verfassungsmäßigen Status innerhalb der Sowjetunion wie Georgien – es genoß die Autonomie als Sowjetische Sozialistische Republik.

Die regelmäßigen Ferien von Stalin in Abchasien stießen nicht auf die Begeisterung der Leute, denn mit seinem obersten Handlanger Lavrenti Beria – einem Mingrelier – wurde Nestor Lakoba und der Rest der politische Führung Abchasiens in den 1930er Jahren umgebracht. 1931 entschied Stalin, den Status Abchasiens durch die Vereinigung mit Georgien zu schwächen. Georgisch wurde zur offiziellen Amtssprache in Abchasien erklärt, und Tausende von Georgier wurden ermutigt, dorthin überzusiedeln. 1991 waren nur noch 20% der Bevölkerung von Abchasien ethnische Abchasier.

Der Krieg in Abchasien war im August 1992 beendet. Das postsowjetische Georgien taumelte von der wahnsinnigen Fehlentscheidung des Chauvinisten Zviad Gamsakhurdia zur Oberherrschaft des ehemaligen Sowjetischen Außenministers Eduard Shevardnadze, der – im Angesicht der abchasischen Unabhängigkeitsbewegung– eine brutale Invasion in der aufsässigen Provinz heraufbeschwor.

Der dreizehn Monate währende Krieg wurde größtenteils von einer Welt ignoriert, die ihr Interesse auf das Blutbad in dem sich auflösenden ehemaligen Jugoslawien richtete. Noch gibt es tiefe Parallelen zwischen beiden Konflikten – die “ethnische Säuberung” von Bevölkerungen, die nationalistische Intoleranz in Staat und Medien und der Impuls zu kultureller Vernichtung sowie des militärischen Sieges. Genauso wie die Bosnischen Serben versucht haben, Bosniens nationale Identität durch die Zerstörung der nationalen Bibliothek in Sarajevo auszulöschen, so bombardierte Georgien das Institut Abchasiens für Sprache, Literatur und Geschichte , und hat die Denkmäler von Sukhumi für Schießübungen genutzt (die Einschüsse sind noch sichtbar und der Statue des Dichters Dmitri Gulias wurde der Kopf weggesprengt).

Kaum ist ein Abchasier zu finden, der nicht Freunde oder Familienmitglieder im Konflikt mit Georgien verloren hat. Schließlich hat Abchasien verschiedene Kräfte einberufen – unterstützt durch Russen, Tschetschenen und andere “nördliche Kaukasier", die das Georgische Militär von dem abchasischen Gebiet vertrieben hat. Ca. 250.000 Georgier wurden daraufhin zu Flüchtlingen. Viele von ihnen fristen eine langfristige Existenz in den Ruinen vom Hotel Iveria von Tbilisi.

Abchasien hat daraufhin 1994 seine Unabhängigkeit erklärt. Jedoch gibt es noch keine formellen Transporteverbindungen mit dem Rest von Georgien, obwohl Diskussionen um die Wiederherstellung der Eisenbahnlinie stattfinden. Schiffe der Türkei laufen zwar in Sukhumi ein, obwohl sie dabei riskieren, festgesetzt oder durch die Georgische Flotte beschossen zu werden. Einzig eine wachsende Anzahl russischer Touristen überqueren die Grenze in der Nähe zu Sotchi, um die Strände und die Hotels von Gagra und Pitsunda zu besuchen - bekannte Urlaubsorte während der Sowjetzeit.

KEIN KOMPROMISS

Der potenzielle Reichtum, der vom Tourismus erzeugt wird und die fruchtbaren Gebiete könnten, wenn die Region dort sicher wäre Abchasiens Wirtschaft stützen. Doch bei den derzeitigen geopolitischen Umständen ist es schwierig sich vorzustellen, wie die Träume Abchasiens wahr werden könnten.

Es ist unvorstellbar, dass irgendeine Georgische Regierung Abchasien die Unabhängigkeit anbieten wird – dass sie möglicherweise Abstand nimmt von dem profitablen Küstenstreifen, denn das könnte in den anderen unruhigen Gebiete dazu führen, dass die eingefrorenen Konflikte sich wieder erhitzen (gemeint ist das Adjarische Problem, aber auch Süd-Ossetien wird von Tbilisi gesteuert; zudem wächst die Unzufriedenheit unter der armenischen Minderheit im Süden des Landes).

Außerdem haben die Vereinigten Staaten kein denkbares Interesse an einem Abchasischen Staat. Amerika geht es um militärische und strategische Beziehungen mit Georgien, die auf ihren Interessen am Kaspischem Öl beruhen, daher unterstützen sie das Baku-Ceyhan-Projekt (Erdölleitung), das über das georgische Territorium führt. Die USA haben klar Positition bezogen, indem sie die “Rosenrevolution” und den darauffolgenden jungen Präsidenten Mikhail Saakashvili unterstützt haben. Ihm wurde sogar die Ehre zuteil von George W Busch im Mai 2005 besucht zu werden.

Mittlerweile passt sich Russland der Ungewissheit und Zukunft über den Status von Abchasien ziemlich gut an. Während Tbilisi sich dem Westen annähert, kann Moskau an dieser Flanke Georgiens bedrohlich aufragen. Es kann seine strategischen Optionen im "besetzten Gebiet" bewahren, der zudem die Ängste in Georgien schürt, dass Abchasien eines Tages, ähnlich wie das Sudetenland in der Tschechoslowakei in den 1930er Jahren, als ein Vorwand für ein militärisches Eingreifen genutzt werden kann.

Trotz dieser offensichtlichen Hoffnungslosigkeit für einen diplomatischen Durchbruch in der Anerkennung Abchasiens durch die internationale Gemeinschaft, gibt es seitens der abchasischen Regierung kein Entgegenkommen hinsichtlich eines Kompromisses. Tatsächlich herrschen in der abchasischen Regierung persönliche Rivalitäten, wie das gewalttätige Wahlverfahren zwischen dem Oktober 2004 und dem Januar 2005 beweist (die sehr gefährlich werden können). Wenn Beispiele für einen mittleren Weg vorgeschlagen werden, wie zum Beispiel die Autonomie vom Baskenland innerhalb Spaniens oder Schottland und Wales innerhalb des vereinigten Königreich, werden die Machthaber wohl rasch entfernt werden ...

“Es gibt”, erklärt der Außenminister Sergei Shamba, “keine Modelle, die uns mit dem Georgischen Staat zusammen bringen könnten. Auf Grund der Geschichte und auf Grund der öffentlichen Meinung, haben wir das Recht zur Unabhängigkeit”

“Jetzt liegt es an uns”, bestätigt Vizepräsidenten Raul Khadjimba. “Wir müssen die Bedingungen schaffen, dass die Welt uns hört. Wir müssen Fernsehen, Zeitungen, das Internet benutzen, den Leuten mehr über Abchasien zu erzählen. Vielleicht wird das dann das Herz von jemandem berühren, und die Welt wird uns eine Chance geben.”

2 comments:

Mike said...

Hallo,
ich interessier mich seit einiger Zeit für diesen Konflikt und beschäftige mich sehr intensiv damit. Ich finde Ihr Artikel enthält sehr starke pro-Abchasische und nicht neutrale/objektive Ansätze...


- Was war denn vor 1921, welcher Stand hatte damals Abchasien?

- "1991 waren nur noch 20% der Bevölkerung von Abchasien" - _"nur noch"_, man könnte meinen vorher waren 90% der Bevölkerung Abchasier und Georgier wären erst dann eingewandert (was nicht zutrifft).


- „Georgisch wurde zur offiziellen Amtssprache in Abchasien erklärt“ – dies wurde wieder rückgängig gemacht in der georgischen Republik - nicht unwichtig, wie Sie zustimmen werden.

- „Noch gibt es tiefe Parallelen zwischen beiden Konflikten – die “ethnische Säuberung” von Bevölkerungen, die nationalistische Intoleranz in Staat und Medien und der Impuls zu kultureller Vernichtung sowie des militärischen Sieges“ - mit ist bekannt, dass sich die georgische Bevölkerung beschwert hat, weil Abchasier Vorteile genossen. Dies würde die ganze Aussage entkräften.

- "die “ethnische Säuberung” von Bevölkerungen, die nationalistische Intoleranz in Staat und Medien und der Impuls zu kultureller Vernichtung sowie des militärischen Sieges." - nach meinen Informationen stimmt das so nicht. Details würden den Rahmen sprengen.

-„ Kaum ist ein Abchasier zu finden, der nicht Freunde oder Familienmitglieder im Konflikt mit Georgien verloren hat.“ - erweckt den Eindruck des einseitigen Verlusts, was nicht zutrifft. (Später im Text werden "250.000" georgische Flüchtlinge nebenbei erwähnt. – als sei dies unwichtig)


Das waren einige Punkte, dir mir aufgefallen sind. In dem einen oder anderen dürfte ich mich irren oder überinterpretieren, jedoch wird sehr deutlich, dass Sie einen pro-Abchasischen Standpunkt vertreten, diesen Fakt es aber nicht deutlich herausstellen z.B. wenigstens durch einen zusätzlichen Kommentar zum Artikel.

Allgemein ist es nicht fair Menschen "subjektive Information" als objektiv zu verkaufen.

Viele Grüße
Mike

Mike said...

PS: "denn das könnte in den anderen unruhigen Gebiete dazu führen, dass die eingefrorenen Konflikte sich wieder erhitzen (gemeint ist das Adjarische Problem..." Das "Adjarische Problem" würde unter keinen Umständen mit an den anderen Konflikten vergleichen oder gar gleichsetzen, denn in Adjarien sind und _fühlen_ sich fast alle Bewohner als "georgisch". Das Problem hatte ganz andere Ursachen, die zum größten Teil auf eine einzige Region oder sogar auf eine einzige Person zurück zu führen sind.