Wednesday, August 24, 2005

"Düstere Meere"

by TOL
22. August 2005

Könnte eine neue Sicht für das Schwarz-Meer-Gebiet neue Ideen von Demokratie entwickeln, um auch die Ränder Russlands zu fördern?

Es scheint, dass Europa bald eine neue Organisation, eine "Demokratische Allianz" bekommt, die vom Baltischen Meer zum Schwarzen Meer bis hin zur Kaspischen See reicht. Diese Organisation soll “ein starkes Werkzeug" sein, die das "Gebiet von allem befreit: von Abgrenzungen, von Übertretungen der Menschenrechte, von politischen Spannungen, von gefrorenen Konflikten.” Das ist die perspektive für eine "Gemeinschaft für Demokratische Wahl", die sich die Präsidenten Viktor Juschenko aus der Ukraine und Präsident Mikheil Saakashvili von Georgien am 12. August vorstellten. Selbstverständlich ist das in einer gewissen Weise attraktiv. Diese Bemühungen stehen jedoch in Konkurrenz zu anderen Staaten des Schwarz-Meer-Gebiets.

Seit 1992 hat die Türkei größten Einfluß im Gebiet des Schwarzen Meeres. Durch diese Situation und natürlich auch durch die Erdölleitungen, hat die Türkei eine eigene Vorstellung von einem friedlichen und wohlhabenden Schwarzen Meer. Es hat die Wirtschaftliche Zusammenarbeit der BSEC - Organization of the Black Sea Economic Cooperation gruppiert, eine Vereinigung der Länder des Schwarzen Meeres mit ihren unmittelbaren Nachbarn gefördert.

Zudem hat der Westen seit dem Ende des Kalten Krieg seine eigene Vorstellung von einem sicheren Schwarzem Meer - mit der Türkei als ein Eckstein gebildet. Die Türkei ist ein Vorposten der NATO geworden. Nicht nur für die Sicherheit des Schwarzen Meeres auch für eine stabilisierende Kraft im Nahen Osten soll die Türkei stehen. Deswegen unterstützt auch die USA die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union. Eine andere Variante ist, dass die Türkei eine bedeutende Rolle in einem Bündnis demokratischer muslimischer Staaten haben soll. Dieses Bündnis soll sich von den Golfufern des Irak bis zum Bosporus erstrecken .

DER SCHWUNG DER TÜRKEI NACH RUSSLAND

Dieser Anspruch George Bushs wird momentan von der Instabilität des Iraks unterlaufen. Zudem kann die Türkei selbst neue Entwicklungen verfolgen. Die Türkei kann verschiedene Vorstellungen entwickeln, wen sie als Partner im Schwarzen Meer betrachtet– und welche Änderungen für sie wünschenswert sind.

Erstmal bemerkte man wechselvolle Strategien, als die Vereinigten Staaten als Beobachter des BSEC abgelehnt wurden. Diese Entscheidung gegen die Vereinigten Staaten wurde beispielweise von der Slowakei unterstützt, die einen Beobachterstatus darin genießt. Russland wird vorgeworfen, den Vorgang ebenfalls mit einem Veto gehemmt zu haben, obwohl die acht post-kommunistischen Schwarz-Meer-Staaten sich öffentlich dafür einsetzten, dass den Vereinigten Staaten erlaubt werden soll, ihre Versammlung der BSEC zu besuchen. Die Türkei hat sich dazu gar nicht geäußert– was wohl diplomatisch gesehen nicht gerade angemessen ist, einem Land gegenüber, dass ein großer Befürworter für seinen EU-Eintritt ist. Betrachtet man auch, dass die Türkei der Ideengeber für den BSEC war, hätte sicherlich die Türkei den Vereinigten Staaten die Türen öffnen können. Die Hintergründe der ganzen Affäre sind wohl in den schnellen und dramatischen Aufschwüngen der Verhältnisse und Beziehungen mit Russland zu suchen. Indizien dafür sind vor allem der erste Besuch in Ankara durch ein russisches Staatsoberhaupt (im Dezember 2004), danach gab es in nur sieben Monaten vier Versammlungen zwischen dem Präsidenten Vladimir Putin (Russland) und dem Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan (Türkei). Zudem stieg der Handel zwischen beiden Staaten enorm an: immer mehr Gas wurde von Russland durch das Schwarze Meer in die Türkei geliefert. Die Rede ist von mehr Elektrizität und mehr Rohrleitungen.

Zudem haben Russland und die Türkei nicht einfach ihre Beziehung verbessert; sondern sie scheinen ein neuen Weg gefunden zu haben, denn es gibt keine Konflikte hinsichtlich ihrer Interessen. Auf einer Versammlung mit Putin im Juli, hat Erdogan überraschend der Öffentlichkeit übermittelt, dass “unsere Gesichtspunkte zur Lage in der Region sowie zu den Aufgaben, betreffend der Bewahrung der Stabilität in der Welt, völlig zusammenfallen”. Beachtenswert ist auch, dass hinsichtlich der Vorfälle in Usbekistan sich Erdogan kaum geäußert hat. Wie konnte das möglich sein? Türkische Analytiker glauben, und ihre Antwort scheint plausibel zu sein, dass im wesentlichen Ankara sehr zurückhaltend hinsichtlich irgendeiner Kritik gegen Präsident Islam Karimov von Usbekistan gewesen war.

Es sieht so aus, dass die bisherigen Kontrahenten jetzt zusammengehen. Zudem hat zur Überraschung Putins, die Türkei ihr Interesse ausgedrückt, sich der Zusammenarbeit mit Zentralasien zu stellen - also zusammen mit Russland, China, Kazakhstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan etwas auf die Beine zu stellen. Bisher war die Türkei hinsichtlich des Abchasien-Konfliktes in Georgien ein Konkurrent Russland, doch zunehmend übernimmt sie die Rolle als ein Vermittler in der Debatte über Abchasien. Erdogan und Putin haben wohl entschieden, sowohl im Schwarzen Meer und in Zentral-Asien zusammenzuarbeiten.

Wie ist die neue Freundschaft von Ankara mit Moskau zu bewerten? Sicherlich kann man sehen, dass die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei sich aufwärmen, daran gibt es keinen Zweifel. Die Beziehung zwischen der EU und der Türkei sind jedoch keineswegs zu unterschätzen, hinsichtlich der Bändeleien mit Russland. Ankara kann sich mehr zu Moskau hinwenden als Brüssel, aber es wird immer unabhängig von Russland bleiben wollen. Zudem haben zumindest alle größeren europäischen Länder von Europa – Frankreich, Deutschland, und Großbritannien – ganz gute Beziehungen mit Russland, die auch von der zunehmend skeptischen Position der Europäer abweichen. (Zwar können die Beziehungen von Ankara mit Washington schwächer werden, jedoch ist es hauptsächlich die EU, die die Türkei mehr zum Westen bindet.) Darüber hinaus erscheint es günstig, dass die Türkei daran interessiert ist, dass Zentral-Asien stabil bleibt; auch die Vereinigten Staaten hielten sich zurück, hinsichtlich der Ereignisse in Andijan.

Auf jeden Fall gibt es einige Gründe, die Auswirkungen der neuen Beziehungen zwischen Russland und der Türkei in Zentral-Asien für gut zu heißen. Eine Annäherung zwischen Armenien – Russland – und dem Hauptsponsor von Aserbaidschan – der Türkei – könnte den eingefrorenen Konflikt Nagorno-Karabakh auflösen und in wirtschaftliche Beziehungen hineinführen. Eine Verbesserung würde jedem helfen, womöglich auch was die EU-Mitgliedschaft der Türkei betrifft. Und wenn die Türkei eine Lösung zum Abchasien-Konflikt in Georgien liefern könnte, hätte es etwas erreicht, was sonst niemand für möglich hielt.

FÖRDERUNG DER DEMOKRATIE

Die Frage ist nun, wie sich der Gegensatz zwischen den türkischen Bemühungen für Stabilität und denen von Jushchenko und Saakashvili entwickelt. Die Demokratischen Bewegungen sollen einerseits angeschoben werden; die Türkei steht jedoch mehr für eine Verlangsamung dieses Prozesses, denn die Türkei hat seine eigenen, schon lange bestehenden Interessen im Kaukasus und in Zentral-Asien und ist– wie die dornige und neuralgische Beziehung zu Armenien zeigt – durchaus fähig ihren Kurs beizubehalten, die Unbeständigkeit und den Fortschritt im Kaukasus hinsichtlich ihrer Interessen zu verlangsamen. Zwar gibt es einige positiven neuen Bewegungen im Verhältniß zwischen der Türkei und Armenien, aber ein Durchbruch in ihren Beziehungen steht noch in weiter Ferne.

Bezogen darauf werden wir sehen, wie hart es wieder sein wird, bei dem Gipfel zwischen den Azeri und dem armenischen Präsidenten am 26. August, bei der Entscheidung über Nagorno-Karabakh zu vermitteln. Auf jeden Fall werden alle Länder in dieser Region, einschließlich Georgien und Aserbaidschan, Vorsichtig walten lassen hinsichtlich dieser zwei mächtigen Nachbarn, die plötzlich zusammenarbeiten.

Ein anderer Aspekt ist, dass eine demokratische Türkei, eingebettet in die EU, noch lange nicht ein Förderer von demokratischen Veränderungen ist. Tatsächlich glauben Analytiker, dass die Türkei sehr zurückhaltend sein wird, zum Beispiel hinsichtlich des potenziellen Durcheinanders nach parlamentarischen Wahlen in Aserbaidschan in diesem November. Wenn Großbritannien und die Vereinigten Staaten von der Türkei erwarten, in diesem Gebiet tätig zu werden, dann können sie auch gut falsch liegen. Wenigstens vorläufig scheint es, dass der Beitrag der Türkei hinsichtlich politischer Veränderungen passiv sein wird. Dass Jushchenko und Saakashvili jetzt hervorheben, die Demokratie in der Region zu fördern, ist für die Türkei nicht gerade bequem. Die Türkei scheint wohl mehr am Status quo interessiert zu sein als an Veränderungen.

Die Annäherungen an die EU – vorgeführt zwischen Belarus und Polen – sind derzeit schwierig. Die sogenannten "step-by-step" Annäherungen sind sogenannte passive Positionen, bei der sich die EU auf ihre magnetische Anziehung zu seinen Nachbarn verlässt. Das kann gut gehen, wenn seine Nachbarn – beispielweise die Länder des westlichen Balkans – sich zur EU hingezogen fühlen, jedoch bei Belarus – die kein Interesse an der EU hat - wird es problematisch. Die EU, wenn sie politische Entwicklung in Zentral-Asien oder im Kaukasus fördern will, braucht etwas besseres als eine gedämpfte Antwort auf Ereignisse in Andijan. In diesem Fall hat die USA auch versagt, jedoch in der Nachbarschaft zur Türkei hat es (drei) Anziehungskräfte genutzt. Gegen die Regierung in Georgien um Eduard Shevardnadze und dem"weichen Autoritarismus" eines Leonid Kuchma in der Ukraine und der des Askar Akaev von Kirgistan, hat die USA weiche Kräfte, hauptsächlich durch die Unterstützung Bürgerlicher Gesellschaftengruppen eingesetzt.

Gegen den "harten Autoritarismus" im Irak ist es gewalttätig einmarschiert, hat den unsicheren langfristigen Ausgang gewählt. In Usbekistan hat sie ihr Anliegen selbst unterlaufen, indem sie nichts unternahmen, obwohl ihre Truppen im Land waren. Welche praktische Form die Gemeinschaft für Demokratische Wahl hinsichtlich der Förderung der Demokratie übernimmt, werden wir sehen. Gegen die Unzulänglichkeiten von "Modellen" der großen Kräfte (der EU, der Türkei, und den Vereinigten Staaten) – einer Konkurrenz der Ideen zu bilden, wäre doch eine interessante und willkommene Angelegenheit.

Full Text In English (TOL): Murky Seas

Other Textes:
* Ukraine, Georgia Propose "Democratic Alliance" (Civil Georgia / 2005-08-12)
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