Wednesday, December 28, 2005


Einsame Ikonen
Das Museum von Mestia kämpft um den Erhalt seiner Kunstschätze

Von Carsten Probst

Georgien, das Land im Kaukasus an der Schwelle von Orient und Okzident, blickt auf eine über 5000 Jahre alte Kultur zurück. Gerade in seiner langen christlichen Tradition hat es immer wieder neue einflußreiche Kunstformen hervorgebracht. Um diese Kunst zu bewahren, fehlen heute jedoch die Mittel, den bedeutenden Sammlungen des Landes droht ein beispielloser Exodus des kulturellen Erbes.


Das Museum von Mestia fällt auf. Es ist das mit Abstand modernste Gebäude in der dreitausend Einwohner zählenden Bergmetropole, ein geschlossener Betonbau, der so, wie er daliegt, auf einer Gerölllandschaft mitten im kaukasischen Hochgebirge, selber aussieht wie ein riesiger geschliffener Fels. Das Museum ist die Schatzkammer der Region Swanetien, einer wildromantischen Grenzregion im Hochgebirge zwischen Georgien und der Russischen Föderation. Die Swanen galten schon immer als besonders unabhängig und zugleich als besonders geschäftstüchtig. Selbst zu Zeiten der Sowjetunion, heißt es, wurden hier oben Sprache, Kultur und Bräuche ungeniert weitergeführt, die eigentlich längst hätten "sowjetisiert", das heißt abgeschafft werden sollen. Kaum jemand heutzutage hier oben auf dem abgelegenen Hochplateau knapp 2000 Metern über dem Meer Bildschätze von einzigartigem Wert. Doch Ciala Tschartolani, die Museumsdirektorin, belehrt uns eines Besseren:
Die swanetischen Könige waren immer sehr stark an neuen Formen von Heiligendarstellungen interessiert. Nicht zuletzt deshalb galt Swanetien lange Zeit als die Schatzkammer des gesamten Kaukasus. Die Swanen waren wohlhabender als die anderen kaukasischen Bergvölker, sie konnten sich kostbare Materialien und hervorragende Maler und Handwerker leisten. Deshalb gab es hier sehr früh, bereits seit dem sechsten Jahrhundert, eine so große Vielfalt an Bildformen, von kostbarsten Ikonen, Teppichen und Wandmalereien, später auch Skulpturen und illuminierte Handschriften. Vieles von dem, das Sie heute als alte georgische Kunst bewundern können, hat seine ikonographischen Ursprünge in swanetischen Vorbildern.
Die Geschichte der Museumssammlung selbst reicht zurück in die Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Der gebürtige Georgier Stalin führte einen ideologischen Feldzug gegen die uralten religiösen Wurzeln der Region. Alle Formen von religiösem Ritus wurden verboten, Gotteshäuser geschlossen, zerstört und geplündert, nicht allein die der georgisch-orthodoxen Mehrheit, auch Moscheen und Synagogen und die kleinen Kirchen von Minderheiten. Der Katholikos von Mestia versteckte damalszahlreiche der ältesten Ikonen und anderen bedeutenden liturgischen Schätze in der Kathedrale - bis er 1937 von sowjetischen Kommissaren ermordet wurde. Ein bedeutender Teil der swanischen Kunst war zu dieser Zeit bereits ins französische Exil gelangt und ist heute im Nationalmuseum von Tbilissi zu sehen.Viele andere Bildwerke wurden damals jedoch privat von swanetischen Bauern versteckt und überdauerten so auch den Zweiten Weltkrieg. Erst in den siebziger Jahren schlugen sowjetische Kunstwissenschaftler in Moskau Alarm, drängten die Regierung, die Kunst der Swanen als Kulturgut zu bewahren. Ciala Tschartolani wurde später zur Gründungsdirektorin berufen.
Das Museum ist eine reine Staatsgründung. Privatpersonen, Kirchen oder andere potentielle Geldgeber waren damals nie miteinbezogen, auch nach der Eigenständigkeit Georgiens nicht. Heute ist die Lage natürlich eine andere. Die Grundausstattung wird zwar nach wie vor vom Staat übernommen, das heißt heutzutage von der Georgischen Regierung in Tbilissi, aber für alle Maßnahmen, um die Schätze überhaupt vor dem Verfall zu bewahren, müssen wir das Geld irgendwo anders auftreiben, wir sind auf Unterstützung und Initiativen aus dem Ausland angewiesen, vor allem aus der Schweiz, aus Holland und Deutschland.
Offizielle Eröffnung des Museums von Mestia war das Jahr 2003 - nach sage und schreibe zwanzigjähriger Bauzeit. Unter den extremen Bedingungen der Bergwelt haperte es zu Sowjetzeiten immer wieder an Nachschub für Baumaterial und Arbeitsgerät. Am gravierendsten wirkte sich der Niedergang des Sozialismus aus. Georgien wurde unabhängig und hatte im folgenden rasenden Verfall der Wirtschaft jahrelang kein Geld, um das Projekt voranzubringen. Hinzu kam, daß die Swanen selbst das Museum als sowjetische Gründung skeptisch betrachteten, gewissermaßen als Sammellager für den staatlich organisierten Kunstraub. Auch wenn Ciala Tschartolani mittlerweile zu einer Art Grande Dame der kaukasischen Kunstsammlungen geworden und als Hüterin der swanischen Identität akzeptiert ist, gelingt es ihr kaum, die Sammlungen weiter auszubauen.
Noch immer sind auch viele Werke hier oben in Privatbesitz swanetischer Familien, und viele dieser privaten Sammlungen werden hoch geehrt und nicht herausgegeben. Manche davon sind inzwischen durchaus gut restauriert. Andere bedürfen dringend einer Restaurierung. Natürlich bieten wir den Besitzern auch an, Kontakte zu vermitteln oder die Werke im Museum zu verwahren. Aber nach den Erfahrungen aus der Sowjetzeit haben viele Familien Angst, daß sie ihre wertvollsten Dinge, die manchmal seit Jahrhunderten weitervererbt wurden, nicht zurückbekommen. Manche mißtrauen sogar auch mir noch und zeigen mir ihre Bilder nicht einmal.
Kein Zweifel, die Swanen sind stolz auf ihre Schätze, auch auf dieses Museum. Andererseits pflegen sie einen anderen Kunstbegriff als der Westen. Ikonen, auch wenn sie noch so alt sind, bleiben Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Sind sie irgendwann unbrauchbar, wird ein Maler für eine neue Ikone beauftragt. Das Abbild des Heiligen ist, das was zählt. Nicht das historische Alter oder der Rang eines Kunstwerks. Das macht es schwer für jede Museumsdirektorin, der überdies kein Etat für Nachforschungen zur Verfügung steht. Nicht einmal die notwendigsten restauratorischen Arbeiten können aus Geldmangel geleistet werden. Es gibt keine Anlagen, die das Mikroklima für die empfindlichen Handschriften aus dem 10. Jahrhundert regelt. Viele Vitrinen sind undicht, die aggressive Beleuchtung läßt allmählich die Farben bleichen. Die Leitung des Hauses muß ohne Computer und ohne Fachbibliothek auskommen. Das Museum, gerade erst eröffnet, ähnelt in manchem noch immer einem Rohbau. Von einem eigenen Restaurator ganz zu schweigen. Ciala Tschartolani zeigt ihre Verzweiflung ungern, aber sie spiegelt sich doch in ihrer Mimik.
Vielleicht wird es einmal eine Zeit geben, in der wir schon am Beginn eines Jahres sicher wissen, ob und wieviel Geld wir für die nächsten Ausstellungen, Kataloge und sonstigen Arbeiten haben werden. Ob wir uns vielleicht sogar einmal einen Computer leisten können oder eine Restaurierung. Vielleicht werde ich das nicht mehr schaffen, weil ich schon zu alt bin. Aber eines Tages wird es vielleicht einem anderen Direktor gelingen, darauf hoffe ich. Die Hauptsache ist, daß das Museum bestehen bleibt.
In der Tat ist die Zukunft ungewiß. Ein neuer Museumverbund ist für Georgien geplant, der die Verwaltung aller Museen des Landes zentralisieren soll. Die Swanen jedoch fürchten, daß ihre großen alten Schätze auf diesem Weg ebenfalls nach Tbilissi ins Nationalmuseum geschafft werden könnten, eine Tagesreise entfernt. Und bevor das geschieht, heißt es, holen sich die Swanen eher die Bilder aus ihrem Museum zurück.

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