Sunday, September 17, 2006

REPORT: Eine kleine Nacherzählung

Hält man dort an, wird man nicht mehr weggelassen.

Bevor man mit dem Buch am Ende ist, verführt uns Wendell Steavenson noch einmal in einem letzten Kapitel auf kaukasische Art. Rosen waren bei meinen Reisen nach Georgien zwar nicht derart anzutreffen, wie Tulpen in Holland. Doch von Rosen handeln mindestens zwei Geschichten in diesen Land.
Mit der einen Geschichte versuchte man uns immer wieder im Westen vertraut zu machen: mit dem Symbol einer Rosenrevolution. Rosen steckten zwar nicht in Gewehrläufen schwerbewaffneter Georgier, aber mit Rosen wurde hier Edward Shewardnadze aus dem Amt "gejagt".
Eine andere Geschichte erzählt uns die Autorin selbst. Sie bekam 1000 Rosen von einem Verehrer geschenkt, der einmal ihr Geliebter war - ein Deutscher, ein Kriegsfotograf. Die ganze Wohnung wurde eimerweise mit Rosen gefüllt. Sogar auf dem Nachtisch fanden sie Platz. Es roch schwer und wollüstig wie in einem Harem. Der Blumenmarkt hatte nichts mehr anzubieten. Daraufhin vermuteten die zahlreichen Händler die Mafia dahinter - einen Komplott. Einer von den beiden Brüdern, die all die vielen Eimer nach oben brachten, sagte nur: "Oh. Tausend Rosen! Wie bei dem Maler Pirosmani."
Ich frage mich, was an den Geschichten dran ist. Die Revolutionsgeschichte klingt unwahrscheinlich, angesichts der heroischen Berichte von den Kaukasiern - nicht von ungefähr sprach A. Dumas davon, dass das erste literarische Drama aus dem Kaukasus überliefert wurde - wo ein Halbgott an die Felsen geschmiedet wurde und die anderen Akteure noch Götter waren. Der Bursche, der die Eimer schleppte, bemühte eine andere, eine romantische Version einer Rosengeschichte. Um Pirosmani ranken sich viele Legenden. Sicher ist, dass er arm starb, was jedoch im Kaukasus nicht ungewöhnlich war und ist. Zu Lebzeiten vergessen, erinnern nach dem Tode unzählige Geschichten an das vergangene Leben. Geschichten, die Wendell Steavenson für uns gestohlen hat. Ist es ihre Sehnsucht nach solchen Überlieferungen, die sie zwei Jahre im Kaukasus verbleiben läßt? Steavenson stromert durch dieses Land. Sie ist weniger ein Reporter. Sie läßt sich mitnehmen. Sie hat sich unsterblich verliebt. Sie läßt vieles einfach zu und kann im Land Pirosmanis den Geschichten etwas abgewinnen...
Kostspielige Samtrosen waren es, monströs war diese Aufmerksamkeit, eine verrückte Liebe war es, 1000 Rosen, von dessen Geld man manch anderes machen könnte. Wendell erlebte trotz vieler Widrigkeiten, wie sich das Herz weiten kann. Es war eine Genugtuung für sie, im Kaukasus zu sein. Es rettete sie. Und sie fing an vor Glück an zu weinen, sie war bewegt, gerührt ... und schaffte es, uns daher mit Leichtigkeit etwas zu erzählen ...
Bemüht man die Geschichte Pirosmanis, dann bedeutet es gar nichts, einen Lastwagen für unzählige Rosen zu organisieren. Pirosmani hingegen verkaufte gleich sein Haus, um einer Schauspielerin seine Aufwartung zu machen. Er war verrückt vor Liebe. Er gab alles. Und so sagte Wendell zum Schluß des Buches nur noch: "Du bist verrückt." Und: Thomas legte den Kopf schief, schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln und antwortete: "Ja ich weiß, aber das liegt am Kaukasus."
Pasternak weiß davon zu berichten, denn für ihn hat gerade Georgien in gewisser Weise keine Unterbrechung erlitten. Viele Ehrenwertes wurde durch schwierige Zeiten hindurchgebracht. Bedenkenswert war für den Dichter, dass dieses Land "nicht in die Sphäre des Abstrakten übergegangen ist". Dass es ein Land geblieben ist, in dem man besoffen werden kann - vor Glück und Leid. Ein Landstrich, wohin man immer wieder aufbrach. Ein sonniges Land war dieses sizilianische Russland. Ein Land des Weines. Was für ein Land ... (?)

Ralph Hälbig

Dazu: Verdienstvoller Diebstahl

1 comment:

Hans said...

Wendells Buch ist zuerst ein Egotrip. Obwohl recht unterhaltsam, ist ihr Buch in vielen Details oberflächlich, Georgien eigentlich weder besonders gut verstanden noch interpretiert. Und doch: Passagen, wie ihre Reflexionen zu "Ali und Nino" finde ich bemerkenswert.

Pirosmani war weder besonders arm noch besonders zu bemitleiden. Sicherlich kennt aber Deutschland heute mehr materiell und geistig verwahrloste Mitbürger als Georgien, auch prozentual.

"Ja ich weiß, aber das liegt am Kaukasus." - ist einfach nichtsagender Kitsch.

Und "sizilianisches Russland" ist eine irreführende und wirklich unzutreffende Metapher.