Jurriaan Cooiman (Hg.)
CULTURESCAPES ASERBAIDSCHAN
Kultur, Geschichte und Politik zwischen Kaukasus und Kaspischem Meer
Culturescapes Aserbaidschan
CULTURESCAPES Aserbaidschan bietet einen faszinierenden Einblick in ein für viele unbekanntes Land am Rande Europas. Die Kulturlandschaft Aserbaidschans ist geprägt von den grossen Religionen Islam, Judentum, Christentum und Zoroastrismus. Gleichzeitig fand dort Anfang des 20. Jahrhunderts der erste Erdölboom der Welt statt. Heute treffen im Land des Schwarzen Goldes europäische, orientalische, sowjetische und post-sowjetische Traditionen aufeinander und bilden eine Kultur voll spannender Vielfalt.
Das Buch beleuchtet aus historischer, kultureller, sozialer und politischer Sicht die Chancen und Gefahren, die die derzeitigen Entwicklungen für das Land bedeuten. Renommierte Experten aus Wissenschaft, Journalismus und Naturschutz, engagierte Europapolitiker sowie Aktivisten und Kulturwissenschaftler aus Aserbaidschan berichten in lesenswerten Beiträgen und mit eindrücklichen Bildern über die faszinierende südkaukasische Republik: aktuell und historisch, von aussen und innen, differenziert und kritisch. Eine Besonderheit des Buches sind die erstmals ins Deutschte übersetzten Gedichte und Kurzgeschichten junger aserbaidschanischer Schriftsteller, welche ebenfalls präsentiert werden. Darüber hinaus haben zwei Künstler und ein Naturfotograf die unterschiedlichen Aspekte des Lebens und die Naturschönheiten Aserbaidschans in drei Bildessays festgehalten. Die Publikation erscheint anlässlich des Festivals ‹CULTURESCAPES Aserbaidschan› (19.10 – 6.12.2009). Infos: www.culturescapes.ch.
Über den Herausgeber:
Jurriaann Cooimann (geb. 1966 in den Niederlanden) lebt seit 1994 in der Schweiz. Er initiierte 2003 die Festivalreihe CULTURESCAPES. Der studierte Musiker gründete 1997 ‹pass performing arts services› in Basel und hat seither zahlreiche Projekte in den Bereichen Tanz, Theater und Musik produziert. 2004 schloss er sein Nachdiplomstudium Kulturmanagement ab und ist seit 2008 Mitglied des Europäischen Kulturparlaments.
192 Seiten, über 50 Farbabbildungen, gebunden mit Schutzumschlag
© 2009 Christoph Merian Verlag Basel
ISBN 978-3-85616-488-1
CHF 39.– / € 26,–
INTERVIEW MIT JURRIAAN COOIMAN
DIREKTOR CULTURESCAPES
9. März 2009
Die Wortkomposition CULTURESCAPES bedeutet übersetzt Kulturlandschaften. Was sind
Kulturlandschaften für dich?
Jurriaa Cooiman: Kulturlandschaften entstehen aus einer Wechselwirkung zwischen dem, was man auf der natürlichen, geographischen Seite einer Landschaft vorfindet und der Art und Weise, wie die Menschen damit umgegangen sind, um für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können.
Die natürliche Landschaft und die geographische Lage prägen die Bewohner, welche gezwungen sind, sich den äusseren Gegebenheiten anzupassen: die Lebensweisen differenzieren sich aus, die Mittel zur Lebensgestaltung. Dadurch verliert die physische Landschaft an Dominanz. Ihren Platz nimmt ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein ein. Aus der Geschichte resultierend entwickeln sich dann gemeinsame Lebensarten und Verhaltensmuster, Traditionen – man könnte auch sagen:
ein kulturelles Gedächtnis. Kulturlandschaften beschreiben also nicht nur geographische Gegebenheiten, sondern werden gleichermassen zu einer inneren Angelegenheit der Menschen dieser Region.
Grenzen sich dann Kulturlandschaften und Kunst gegeneinander ab?
Kunst ist frei. Kunst basiert auf dem Individuum. Das Kunsthandwerk beruht eher auf der Kulturlandschaft. Zwar kann ein Kunstobjekt auch zum nationalen Gedächtnis werden und somit Teil der Kultur, aber Kunst im eigentlichen Sinn ist frei von Kulturlandschaft – oder sollte das zumindest.
Wenn Kunst frei ist bzw. frei sein soll, liesse sich dann überspitzt sagen, es spielt keine Rolle, woher der Künstler kommt?
Im Prinzip schon. Natürlich verarbeiten Künstler in ihren Werken oft Teile der Kulturlandschaft, setzten sich mit ihrer Umgebung auseinander. Aber indem ein Künstler die ihn prägende Kulturlandschaft verarbeitet, wird seine Kunst gleichzeitig von ihr entkoppelt. Wenn sich eine iranische Künstlerin beispielsweise vom islamischen Frauenbild distanziert, sollte man ihre Kunst nicht nur mit dem Fokus auf ihre Herkunft betrachten. Das greife zu kurz. Denn mittels ihrer Kunst
zeichnet sie ein Gesellschaftsbild, das auch für einen anderen Kontext gelten kann.
Aber kann ein Künstler seine Herkunft ausblenden?
Nein, er kann sie nicht ausblenden. Aber gerade in Zeiten der Globalisierung ist die Prägung manchmal gar nicht mehr nachvollziehbar. Viele Künstler sind "displaced", leben nicht mehr dort, wo sie aufgewachsen sind.
Ist Kunst eine bewusste Ebene der Kulturlandschaft, gerade weil sich Künstler bewusst
loslösen aus einer ihnen unbewussten Kulturlandschaft?
Künstler können sich von einer Kulturlandschaft absetzen, indem sie dagegen protestieren. Die Kulturlandschaft ist das Gelebte, die Kunst das Dagegengesetzte, das Dagegengehaltene, der Protest beziehungsweise die Möglichkeit zum Protest ...
Es kann ein bewusster Umgang sein. Innerhalb einer Kulturlandschaft ist Kunst eine Lebensform, eine Überlebensform, eine Art das Gegebene zu verarbeiten. Aber das will ich nicht verallgemeinern. Das Individuum bleibt Ausgangspunkt und deshalb existieren unzählige Möglichkeiten der Umsetzung.
Findet durch CULTURESCAPES ein Dialog zwischen der Kultur- und der Kunstsphäre statt?
Ja, natürlich. Aber das Verhältnis ist nicht immer einfach. Oft ist eine überspitzte Beziehung zu beobachten. Es kommt vor, dass ein Künstler in seinem eigenen Land keine Anerkennung findet oder dass er die Kultur seines Herkunftslandes kritisch betrachtet, weil er sich von ihr absetzen, distanzieren möchte. Direkte Beziehungen sind da eher selten auszumachen. Dafür gibt es aber inhaltliche Verweise, wenn z.B. ein Film die Aspekte der Landeskultur verarbeitet. Die Unterscheidung zwischen Kulturlandschaft und Kunst wird jedoch nicht didaktisch vollzogen. Es muss nicht für alles beim Festival ein Äquivalent, eine geplante Gegenüberstellung geben. Für die
Programmauswahl sind auch Zufall, Zeitgeist und detaillierte Beobachtungen der Szene
ausschlaggebend.
Wie triffst du die Auswahl der portraitierten Länder? Ist das Zufall, Intuition oder Planung?
Intuition spielte am Anfang eine entscheidende Rolle. Wir porträtierten 2003 Georgien zu dem Zeitpunkt, als die Rosenrevolution in Gang kam. Genau als unsere Podiumsdiskussion "Georgien – wohin?" stattfand – wir hatten sie bereits ein halbes Jahr vorher angesetzt – standen die Panzer vor dem georgischen Parlament. Niemand konnte in der Planungsphase erahnen, dass Eduard Schewardnadse zurücktreten würde. 2004 präsentierten wird die Ukraine zu dem Zeitpunkt als die "Orangene Revolution" das Land in Aufruhr versetzte. Wiederum führten wir unser abschliessendes Podiumsgespräch mit der Frage "Ukraine – wohin?" in dem Moment, als Viktor Juschtschenko zur Stichwahl antrat ... Da war sicherlich Intuition und Glück dabei.
Darüber hinaus spielt auch meine eigene Affinität eine grosse Rolle – wo zieht mich mein Geruchssinn hin. Es kommt aber auch immer mehr Planung hinzu, gerade weil das Festival sich etabliert und damit auch das Verhältnis zur Schweiz und zu unseren Partnern, die das Festival im Wesentlichen mittragen, mehr Gewicht bekommt.
Georgien, Ukraine, Rumänien usw. – lässt sich daraus auf ein geographisches Konzept
schliessen?
Nein. Ich fand Osteuropa als Region spannend, weil dort Kollektivgesellschaften zu Bruch gegangen und Individualgesellschaften am Entstehen sind. Zwar gibt es Parallelen zwischen Georgien, Ukraine, Armenien, Estland und Rumänien, diese sind aber ganz unterschiedlich gelagert. Jedes Land hat seine eigene Dynamik, seine eigenen Ingredienzien und Vorzeichen. In Westeuropa wissen wir über vieles nicht Bescheid, können uns von vielen Entwicklungen kein direktes Bild machen. Hier
einzugreifen und kulturelles Interesse zu wecken inspiriert und motiviert mich.
Mit Asien, China, im nächsten Jahr öffnen wir eine weitere Tür. Nach dem Osten Europas folgt nun Fern-Ost. Irgendwann kommt dann wieder etwas Neues dazu, vielleicht im arabischen oder nordafrikanischen Raum ...
Aserbaidschan als Schwerpunkt von CULTURESCAPES 2009 liegt an der Schwelle zwischen
Osteuropa und Asien. Ein Zufall?
Nein, nicht ganz. Nach der Türkei 2008 schien es interessant, ein kleines Land mit ähnlichen Wurzeln anzuschauen. Ein Land, das dennoch vollkommen anders ist und auf dem Weg nach China liegt.
Liegt dem Konzept CULTURESCAPES ein bestimmter Kulturbegriff zugrunde?
Ich habe einen weiten Kulturbegriff. Was der Mensch mit seinen Händen macht, ist für mich Kultur. Indem er einen Daumen hat, der frei beweglich ist und das Greifen ermöglicht, hat der Mensch im Gegensatz zum Tier andere Möglichkeiten des Handelns bekommen. Eine andere Hirnentwicklung wurde so in Gang gesetzt… was auch immer die Wissenschaft dazu sagt.
Fasst man den Kulturbegriff zu eng, grenzt man bewusst bestimmte gesellschaftliche, kulturelle Phänomene aus. Wenn eine Gesellschaft die Umwelt zerstört oder nicht nachhaltig produziert, wenn im Pop-Musik-Bereich nur nach kommerziellen Gesichtspunkten produziert wird, dann sind diese gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse für mich Kulturäusserungen.
In welchen Spannungsfeldern bewegt sich CULTURESCAPES?
Ein Spannungsfeld ist das Verhältnis zwischen der offiziellen Kulturvertretung und der freien Szene der jeweiligen Länder. Diese Wechselwirkung gilt es immer wieder neu auszuloten.
Ein anderes Spannungsfeld ist dasjenige der inhaltlichen Schlüssigkeit und der vermittelbaren Grösse. Wir streben nach einer konsistenten inhaltlichen Verschränkung in einer "verdaubaren" Grösse. Das Festival könnte sich ohne weiteres stetig vergrössern. Das ist aber nicht Sinn der Sache. Es geht nicht um pure Eventkultur, die zum Ziel hat, eine Halle zu füllen. Vielmehr stellt sich
die Frage, ab wann CULTURESCAPES als Festival innerhalb einer Gesellschaft klar wahrnehmbar ist? Daran tasten wir uns an. Ob wir das schon erreicht haben, weiss ich nicht. Was Basel betrifft, so denke ich, sind wir da auf einem guten Weg.
Ebenso stellt sich immer wieder die Frage nach der wirtschaftlichen Rentabilität von
CULTURESCAPES, wie es für viele Projekte im Kulturbereich gilt. Was ist finanzierbar, realisierbar? Und dann natürlich das Spannungsfeld zwischen Eigeninteresse und Zeit- bzw. allgemeinem Interesse. Komm ich dem nah oder ist die Programmgestaltung noch zu persönlich?
Wie schaffst du den Spagat zwischen der offiziellen Kultur und der freien Szene? Ist es schwierig sich vollkommen neutral zu halten?
Ich nehme beide ernst. Die offiziellen Kulturverwaltungen favorisieren und finanzieren oftmals ein bestimmtes künstlerisches Profil, dass das Land für sie würdig repräsentiert. Als staatliche Organisationen sind sie wichtige Akteure, die es einzubeziehen gilt. Dieses Wechselspiel finde ich sehr spannend. Einerseits erfahre ich viel über die Struktur eines Kulturministeriums, sehe, wieweit es greift, andererseits sehe ich aber auch Künstler, die kritisieren. Inzwischen empfinde ich es sogar als "unique selling points", dass wir diese unterschiedlichen Kontakte haben. Ich lerne beide Seiten der Medaille kennen. Sowohl die Befürwort als auch die Kritiker. So komme ich mit allen Facetten einer Gesellschaft in Berührung. Damit erreichen wir eine andere Griffigkeit und Glaubwürdigkeit. Wenn ich mit den offiziellen Instanzen nicht zusammenarbeiten würde, dann würde ich einen bedeutenden Teil weglassen. Ich kann so nämlich sehen, was die Offziellen wollen und was nicht ...
Wenn ich nur über die freien Kontakte verfügen würde, könnte ich das gar nicht nachvollziehen. Und auch da kann man in die Falle einer selbstherrlichen und besserwisserischen freien Szene tappen. Nur solange ich mich von keiner Seite einnehmen lasse, gewinne ich dazu. Aber natürlich verlangt das Fingerspitzengefühl.
Inwieweit wird das Schweizer Publikum während des Festivals Teil der gezeigten Kulturlandschaft?
Es braucht eine Offenheit für das eigene In-der-Welt-Stehen und das Bewusstsein, dass wir uns alle auf einem Planeten bewegen. Dieses Gefühl ist während des Festivals vermittelbar und erlebbar. Es weckt Neugierde, bringt Spannung. Kunst an sich gibt es nicht ohne Zuschauer. Die Kultur hingegen lebt als System auch für sich, ohne Zuschauer, egal ob als offenes oder geschlossenes System. In der Kunst hingegen braucht es den Zuschauer, wie eine Nussschale den Kern braucht, erst dann ist sie als Ganzes wahrnehmbar.
Was bewirkt die Präsenz eines internationalen Publikums bei Künstlern und
Kunsthandwerkern?
Viele Künstler sagen, dass das Konzept für sie selber interessant ist, dass sie sich in ihrer Entwicklung angesprochen fühlen. Es schränkt sie in gewisser Weise aber auch ein, weil ihr Schaffen und Wirken auf das jeweilige Land reduziert wird. Bei dem estnischen Komponisten Arvo Pärt, den wir 2006 für CULTURESCAPES Estland eingeladen hatten, stellten wir uns zum Beispiel diese Frage. Er wirkt weit über sein Land hinaus, ist fest auf dem internationalen Markt verankert. Ihn im Rahmen eines landesspezifischen Festivals zu zeigen, kann somit auch als eine Einschränkung gesehen werden.
Viele Künstler wollen sich aber auch gar nicht von ihrem Land distanzieren, weil sie so ihre eigene Kultur und ihre Sprache fördern können, wie Arvo Pärt, der trotz seines Erfolges eine intensive und bewusste Beziehungen zu Estland pflegt.
Glaubst du, dass das Schweizer Publikum von der Kultur, die CULTURESCAPES präsentiert, etwas lernen kann? Ist das ein Ziel?
Dann hätte ich Lehrer werden müssen! Wir zeigen nur Möglichkeiten auf. Ich habe das Gefühl, wir lernen – ich lerne – von diesen Ländern Kunst und Kultur, als Notwendigkeit zu begreifen, was mir meine Arbeit für das Programm und meine Reisen, die damit verbunden sind, immer wieder vermitteln. Kultur ist "rooted in need", wie man auf Englisch sagen würde. Ihre Wurzeln liegen in der Notwendigkeit. In den okzidentalen Ländern ist diese Notwendigkeit oft nicht mehr wahrnehmbar. Die
Existenzialität und Tiefe des kulturellen Lebens ist in den Ländern, die ich bereise, greifbarer, weil sie um mehr kämpfen müssen und sich von mehr Dingen absetzen müssen. Sie haben einfach viel zu verarbeiten wie ein Komposthaufen. Wir Mittel- und Westeuropäer sind demgegenüber gesättigt, langweilig und träge. Hier ist es schwierig, einen starken Geist zu finden, der etwas bewegen will.
Wie spürst du die Notwendigkeit in den jeweiligen Ländern?
Die Präsenz gesellschaftlicher und geschichtlicher Themen ist sehr viel prägender für die Kulturarbeiten, als das bei uns der Fall ist. Wenn ich recherchiere und mit Leuten spreche, merke ich, welche Themen mit welcher Dringlichkeit im Raum stehen. In China waren das beispielsweise die Kulturrevolution, die Zwangskollektivierung, die Gewalt gegen Minderheiten. Solche Erlebnisse führen mir die Notwendigkeit vor Augen.
Die Kunst ist also ein Motor zur Veränderung, zur Transformation einer Gesellschaft, kann man das so sagen?
Ich habe Mühe mit diesen Etiketten… Aber ja, vielleicht. Sie ist ein Angebot zur Transformation und irgendwie auch Motor der Veränderung. Manchmal fährt sie in die falsche Richtung, aber das macht nichts, man kann ja wieder wenden.
Ist es Zufall, dass du dich mit den Kulturlandschaften fremder Länder beschäftigst? Was hat das mit deinem Lebensweg, deiner Persönlichkeit zu tun?
Ich bin von Natur aus neugierig. Als ich ein ganz kleiner Junge war, stand ich vor einem Schwimmbecken – ich konnte noch nicht schwimmen – und dachte, das sei der Ozean. Ich erinnerte mich, dass ja am Ende des Ozeans Amerika liegt. Also sagte ich: "Ich geh jetzt nach Amerika!" und sprang ins Wasser, obwohl ich noch nicht schwimmen konnte. So musste ich rausgefischt werden. Das ist vielleicht ein treffendes Bild für meine Neugierde. Darüber hinaus sind Kunst, Theater und
Musik ebenfalls seit meiner Kindheit Konstanten. Ich habe selbst Theater gespielt, eine Tanzausbildung absolviert, eine Musikausbildung angefangen ...
Warum hat dich das immer interessiert? Was geben dir Kunst und Kultur?
Selber Musik zu machen, Konzerte zu geben, war eine unglaubliche Erfahrung. Als Jugendlicher war ich in der klassischen Musik, gar nicht in der Pop-Szene, und hatte dort unglaubliche Erlebnisse. Auch die Selbstdarstellung spielt eine Rolle, man fühlt sich auf der Bühne wie unter Strom. Die Aufmerksamkeit, die das Publikum einem entgegenbringt, führt zu aussergewöhnlichen Momenten, vielleicht gerade weil sie so flüchtig sind.
Kunst und Kultur vermitteln mir die Möglichkeit etwas zu greifen, was in Bewegung ist, was sich nur einen flüchtigen Moment lang zeigt. Das kann sich mit einem anderen Projekt, zu einem anderen Zeitpunkt wieder ganz anderes anfühlen.
Wenn du an CULTURESCAPES Aserbaidschan denkst, worauf freust du dich besonders?
Ich freue mich auf die Buchpublikation im Christoph Merian Verlag, die Uraufführungen im Programm vor allem die von Faradj Garayev und Frangiz Alizade. Ich bin gespannt, wie das Marionnettentheater hier funktioniert oder wie Mugham, die traditionelle Musikform, hier klingen wird. Bis jetzt existiert nur die Vorstellung, dass ich diese Produktionen in die Schweiz hole. Wenn es dann soweit ist, wird es greifbar, hier, in diesen Räumen. Das ist immer wieder spannend, wenn sich Kunst in einen anderen Kontext einschreibt.
In diesem Jahr findet CULTURESCAPES zum 7. Mal statt – ein Wendepunkt?
Man kann sicherlich sagen, die Anfangsjahre sind vorbei. CULTURESCAPES hat sich etabliert, hat eine gewisse Grösse erreicht. Nun geht es um eine längerfristige Sicherstellung. Ist es auf dem Weg zu einer Institutionalisierung mit einer festeren Struktur? Solche Momente weisen auf Veränderungen hin, bringen Neues, deuten aber gleichzeitig auch auf Verlust hin.
Du sprichst von Verlust, was meinst du damit?
CULTURESCAPES verliert die grosse Beweglichkeit und die totale Unabhängigkeit – die grosse Freiheit. Aber es gewinnt an Sicherheit, an kritischer Grösse, die sehr wichtig ist für ein Festival. Es entsteht ein neues Team. Wir denken gemeinsam und sind gemeinsam vielleicht stärker als es der einzelne je sein könnte. Auch die Finanzen spielen da eine wesentliche Rolle oder die seelisch erfahrbare Bestätigung. Das sind eigentlich nur Gewinnpunkte. Was ich dann verliere, will ich auch gerne abstreifen.
Das Gespräch wurde geführt von Yaël Debelle
Das Interview mit Jurriaan Cooiman in voller Länge (pdf) >>>
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Tuesday, June 22, 2010
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