Sunday, March 11, 2012

ARTIKEL Sympathisches Schlitzohr. Von Kira Taszman (neues-deutschland.de)


Integrale Retrospektive von Otar Iosseliani im Arsenal

»Mais c’est le bordel ici! (Das ist ja ein Riesen-Chaos hier!)«, freute sich der ältere schnurrbärtige Herr angesichts der organisatorischen Pannen bei der Entgegennahme seines Preises. Auf der Berlinale 2002 wurde der in Frankreich lebende georgische Regisseur Otar Iosseliani mit dem Silbernen Regie-Bären für seinen Film »Lundi Matin (Montag Morgen)« ausgezeichnet.« Dass Iosseliani die - damals noch - chaotische Preisverleihung so genoss, sagt einiges über seinen Charakter und sein Wirken aus, welches nun den gesamten März über in einer integralen Retrospektive im Kino Arsenal gezeigt wird.
Otar IosselianiDas jahrelange Einfrieren seines Films »Pastorali« (1975) führte schließlich zu Iosselianis späterer Auswanderung in den Westen. Wie in vielen seiner Filme triumphiert hier das Atmosphärische über einen stringenten Plot: Gezeigt wird das sommerliche Zusammenleben eines städtischen Musik-Quartetts mit georgischen Dorfbewohnern. Die Zeit scheint hier seltsam still zu stehen: Landimpressionen der Dorfstraße samt Vieh, Ernteszenen und die vermeintliche Hochkultur gehen hier trotz aller Unterschiede eine hübsche Symbiose ein.
1934 im georgischen Tbilissi geboren und 1982 wegen der Sowjet-Zensur nach Frankreich emigriert, kann Iosseliani eines nicht ausstehen: starre Ordnung. Gegen tumbe Vorschriften rebellieren Iosselianis Helden mit friedlicher, verschrobener Anarchie und Individualität. Viele seiner Figuren sind Aussteiger, die sich eine Auszeit von ihrer Routine nehmen: So der Fabrikarbeiter Vincent in »Lundi Matin«. Ein Ventil findet der Held in einer Reise nach Venedig und in der Kunst. Generell wird in den Filmen des gelernten Pianisten Iosseliani sehr viel musiziert: auf dem Klavier, dem Cello, dem Akkordeon. Auch ertönt viel trotzige Blasmusik, wohl um die Helden in ihrem Widerstandsgeist anzufeuern.
Wurde »Aprili« (1962), der erste Film des Absolventen der Moskauer Filmhochschule, noch verboten (und erst ab den 70ern gezeigt), lässt bereits sein offizieller Erstling »Die Weinernte« (1965) den Iosseliani-Touch erkennen. Das schöne Schwarzweiß-Werk beginnt mit dokumentarischen Aufnahmen von Weinbauern und schildert dann den Kampf eines jungen Inspektors gegen das sture Erfüllen des Fünfjahresplans in einer Weinfabrik. Immer melancholischer wird der junge Niko - doch Iosselianis Helden wissen sich stets zu helfen. Am Ende greift der Idealist zu drastischen Mitteln, um die Weinqualität zu erhalten.
Iosselianis Filme sind Oden auf das Leben, den Wein und den Gesang, ohne dass diese Szenen in fellinieske Exzesse abgleiten würden. Stets wird man bei ihm Zeuge von melodie-trächtigen Saufgelagen, samt Raufereien, auch Missverständnissen unter Freunden - aber am nächsten Morgen ist alles vergessen. Das Leben geht weiter und die Protagonisten verschönern es sich durch viele kleine Ticks, Tricks und Streiche. Iosselianis Sympathie gilt diesen liebenswerten Abweichlern: dem steinreichen Adeligen in »Marabus« (1999), der sich mit einer Modeleisenbahn, Alkohol und skurrilen Schießübungen über seine Langeweile hinwegtröstet oder seinem Sohn, der in der Stadt als Abwäscher jobbt. Lebenskünstler, Exzentriker oder kleine Ganoven: Sie alle finden Platz in seinem Universum.
»Chantrapas« (Frankreich/Georgien, 2010), Iosselianis letzte Regiearbeit, weist viele autobiographische Bezüge auf. Der Film handelt von Niko, einem jungen georgischen Regisseur, der sich sowohl an sowjetischen Zensoren als auch im französischen Exil an kommerz-motivierten Produzenten reibt. Allerdings lässt sich der Regisseur selbst bei ernsthafter Thematik - Niko wird von Sowjetpolizisten misshandelt - nie zu Pathos oder groben Stilmitteln verleiten. So bleibt sich Iosseliani in seinem unverwechselbaren Kosmos stets selbst treu und offenbart sich als ewiger großer Junge, als sympathisches Schlitzohr, dessen Helden trotz aller Hindernisse mit List, Nonchalance und Humor das Leben meistern.

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