Monday, December 27, 2010

INTERVIEW: "Saakaschwili hat Angst vor einem Gericht“ (derstandard.at)

der Standard Crossover Dienstag, 2. November 2010

Georgiens Oppositionsführerin Nino Burdschanadse will die Absetzung von Präsident Saakaschwili erreichen und die Beziehungen zu Russland normalisieren, wie sie im Gespräch mit Tatjana Montik in Tiflis sagt.

Standard: Sie möchten erreichen, dass Präsident Saakaschwili seines Amtes enthoben wird?
Burdschanadse: Leider erscheint mir ein klassisches Amtsenthebungsverfahren unrealistisch. Denn im Parlament wird man dafür keine Mehrheit bekommen. Deshalb will meine Partei eine nationale Versammlung von Vertretern verschiedener Regionen einberufen. Wir werden diese Menschen fragen, ob sie weiter einen Präsidenten dulden wollen, der 20 Prozent unseres Territoriums verspielt hat, der täglich in seinen TV-Auftritten lügt, unter dem unser Land jede Perspektive einer normalen demokratischen Entwicklung eingebüßt hat. Ich halte es für meine Pflicht, die Absetzung dieses Präsidenten zu bewirken und ihn sich für alles, was er verbrochen hat, vor Gericht verantworten lassen.

Standard: Wie sehen Sie die jüngsten Verfassungsänderungen?
Burdschanadse: Niemand zweifelt daran, dass Saakaschwili die Verfassung ändern ließ, um nach seiner Amtszeit als Präsident als Premierminister an die Macht zurückzukehren. Ich bin mehr als überzeugt, dass das Volk dies nicht dulden würde. Freilich verstehe ich Saakaschwilis Motivation: Er hat Angst vor der Zukunft, vor einem gerechten Gericht.

Standard: Es ist kein Geheimnis, dass Russland Ihre Präsidentschaftskandidatur
sehr begrüßen würde. Ihre neutrale Position gegenüber Moskau ist bekannt. Und mit der jetzigen Kreml-Führung verstehen Sie sich recht gut.
Burdschanadse: Ich glaube nicht, dass meine Position in Bezug auf Russland neutral ist. Ich bin einfach überzeugt, dass wir zu Russland endlich gesunde Beziehungen aufbauen müssen, die sowohl Georgien als auch Russland nützen. Dabei geht es natürlich auch um die Integrität und Souveränität Georgiens und um den Schutz georgischer Interessen. Unsere russischen Partner müssen verstehen, dass die georgischen Politiker ihre höchsten staatlichen Interessen verteidigen müssen. Und diese bestehen darin, dass Georgien seine Beziehungen zu Abchasien und dem sogenannten Südossetien wieder regeln muss, damit wir unser Land so einigen, dass sich darin alle Völker, einschließlich der Abchasen und Osseten, wohlfühlen.

Standard: Wer trägt die größte Schuld an dem, was im August 2008 zwischen Georgien und Russland passierte?
Burdschanadse: Ich bin fest davon überzeugt, dass der Krieg von 2008 ein Verbrechen Saakaschwilis gegen sein eigenes Volk war. Er hat einen schicksalsträchtigen Fehler begangen, indem er diesen Krieg entfachte. Leider gab es in seiner Umgebung Menschen, die überzeugt waren, dass man diesen Krieg über Nacht gewinnen könnte. Ich habe mit Saakaschwili darüber kurz vor dem Krieg, am 3. August, gesprochen. Aber ich wurde nicht gehört.

Standard: Wo sehen Sie die Zukunft Georgiens? In der EU, in der Nato oder als neutrales Land?
Burdschanadse: Georgien hat keine Chance auf Nato-Mitgliedschaft. Dafür hat Saakaschwili gesorgt. Und für einen EU-Beitritt sehe ich in den nächsten 20 Jahren keine Chance. Ich will aber, dass Georgien sehr aktiv mit EU und Nato zusammenarbeitet, und glaube nicht, dass dies das Verhältnis zu Russland stören würde.

Standard: Bei allem Negativen, was Sie über Saakaschwili sagen – hat er auch positive Seiten?
Burdschanadse: Natürlich hat er auch einiges erreicht, sonst wäre ich nicht bis April 2008 in seiner Mannschaft gewesen. Zum Beispiel wurde viel gegen die Korruption getan. Heute nehmen weder Lehrer noch Ärzte noch Universitätsprofessoren noch Polizisten Bestechungsgelder an. Dafür ist die Korruption elitär geworden. So kann keine staatliche Ausschreibung für Projekte im Wert von mehr als 100.000 Dollar ohne Absprache mit den höchsten Staatsbeamten gewonnen werden. Unser Staat ist nicht mehr total, sondern nur elitär korrupt.

NINO BURDSCHANADSE (46), ehemalige Universitätsprofessorin für internationales
Recht, galt einmal als engste Mitstreiterin Michail Saakaschwilis, mit dem sie 2003 an der Spitze der friedlichen Rosenrevolution stand. Danach war sie Parlamentsvorsitzende und zweimal kurzzeitig amtierendes Staatsoberhaupt. Jetzt führt siedie Oppositionspartei "Demokratische Bewegung – Vereintes Georgien".

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