(br.de/bayern2) Die Amphore erlebt einen Hype: Winzer in aller Welt machen Wein in riesigen Tonkrügen oder Qvevris. Dabei beherrschen nur wenige Töpfer aus Georgien die Uralt-Technik des Qvevri-Brennens. Eine Reise zu den Ursprüngen des Weins.
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Wir sind in Kachetien, der östlichsten Region Georgiens, nahe der Grenze zu Aserbeidschan. Kachetien ist das Zentrum und die Heimat des traditionellen georgischen Weins. Nicht einmal die Experten können präzise sagen, wann und wo der Mensch angefangen hat, aus Trauben Wein zu machen. Einigen können sie sich höchstens darauf, dass es schon einige Jahrtausende her ist. Und dass die „Wiege des Weinbaus“ irgendwo hier in dieser Weltgegend liegt: im Bereich des südlichen Kaukasus, des nordwestlichen Irans und Ost-Anatoliens.
Natürlich gibt es aus dieser Zeit keinerlei schriftliche Zeugnisse – deswegen ist man auf archäologische Funde angewiesen. Giorgi Dakishvili ist ein renommierter Kellermeister, Winzer und einer der besten Kenner der Geschichte des georgischen Weinbaus. Er erzählt, dass Archäologen überall in Georgien Geräte für die Weinherstellung gefunden haben, die auf das fünfte Jahrtausend vor Christus zurückgehen: „Amphoren, Tongefäße, Stöcke zum Runterdrücken der Beerenschalen, zum Säubern und Weinpressen aus Holz oder Stein. All das beweist, dass Georgien eines der ältesten Weinbauländer ist.“
Georgien ist eines der ältesten Weinbauländer
5.000 Jahre vor Christus! Das wäre lange vor den alten Römern und Griechen. Allerdings reklamiert Giorgi für seine Heimat nicht die Urheberschaft auf den Weinbau. „Eines der ältesten Weinbauländer“ – das klingt schon vorsichtiger als manche Lokalpatrioten, die einfach behaupten: „Georgien, das älteste Weinland der Welt!“ Aber wahrscheinlich ist das ja auch gar nicht so wichtig. Was wirklich zählt, ist, dass die Georgier bis heute uralte Methoden der Weinherstellung lebendig halten. „In meiner Straße hat jeder seinen eigenen Weinkeller und jede Familie erzeugt ein paar Hundert Liter für den Hausgebrauch“, erzählt Winzer Giorgi Dakishvili. „Und jede Familie produziert auf andere Art: unterschiedliche Dauer des Schalenkontakts, wann und wie abgepresst wird, wann der erste Abstich gemacht wird.“ Nur eines hätten alle Weine gemein: den Ausbau in der Qvevri.
Jede Familie macht ihren eigenen Qvevri-Wein
Die größten Qvevris sind über zwei Meter hoch. Sie werden bis zum Hals in den Boden eingegraben, sonst würden sie unter dem Gewicht des Weins platzen. In ihnen reift zunächst der Traubenmost und später der Wein, indem die Beerenschalen lange mit dem Saft in Kontakt bleiben. Für Rotwein ist das internationaler Standard, aber für Weißwein ist die georgische Methode mit monatelangem Schalenkontakt sehr speziell. Und das alles ohne jeglichen Zusatz: keine Zuchthefen, keine Enzyme, keine Filtration, keine oder nur minimale Schwefelung.
Qvevri-Wein oder Orange Wine heißen seit ein paar Jahren die Schlagwörter eines Trends, der Winzer und Weinfreunde auf der ganzen Welt umtreibt und auch polarisiert. Kein Wunder, dass eine solche Jahrtausende alte Weinherstellung gerade sehr im Trend liegt bei Winzern in Westeuropa aber auch in Kalifornien, die besonders naturnah Wein herstellen wollen – ohne das ganze Arsenal hochmoderner Kellertechnologie. Im Prinzip geht das auch ohne Tonamphoren, aber manche Winzer im Westen sagen sich: „Wenn schon, denn schon“ – und lassen sich Tongefäße aus Georgien in ihre Kellerei liefern, um Qvevri-Wein herzustellen. Denn nur am Südhang des Kaukasus gibt es noch einige wenige Töpfer, die das kniffelige Handwerk der Amphoren-Herstellung beherrschen.
Qvevri-Töpfer in sechster Generation
Wir besuchen die Töpferei der Familie Kiblashvili. Hier stellt Zaza mittlerweile in sechster Generation Qvevris her, alles in reiner Handarbeit – und abhängig vom Wetter. Wenn es warm und sonnig ist, kommen die Töpfer gut voran. Dann können sie jeden zweiten Tag einen Streifen von zehn Zentimeter Ton aufsetzen und so die Amphore langsam wachsen lassen. Wenn es kalt und regnerisch ist, wird nur alle vier bis fünf Tage weitergetöpfert.
Ungefähr ein halbes Dutzend halbfertige Qvevris steht in einer kleinen Halle mit offenen Seitenwänden. Sie sind noch ungebrannt, aber schon mannshoch, mehr als einen Meter in der bauchigen Mitte. Jede Qvevri fasst 2.000 Liter. Die Wandstärke ist im Verhältnis zur Riesengröße der Krüge filigran, fast fingerdünn, der rohe Ton von dunkelbrauner Farbe fühlt sich noch weich an. Es dauere drei Wochen bis eine Qvevri getrocknet sei, erzklärt Zaza Kiblashvili. „Dann ist das nicht mehr gefährlich sie zu transportieren, weil sie stabil genug ist und ist nicht mehr so weich wie im Moment.“
Die Dino-Eier bleiben wochenlang im Brennofen
Nur ein paar Schritte sind es von hier bis zu einem Backsteinschuppen, der als Brennofen dient. Eine Seite ist komplett offen. Nach dem Trocknen werden die Qvevris alle hier reingebracht, dann wird auch diese Seite mit Steinen zugeschichtet. „In unserem Ofen können wir acht Tonkrüge gleichzeitig brennen“, erzählt Zaza. Eine Woche lang werden die Qvevris Tag und Nacht 1.200 Grad ausgesetzt - dann beginnt die mehrwöchige Abkühlphase. Auf einer großen Wiese neben dem Brennofen liegen hier gut zwei Dutzend fertig gebrannter Qvevris, wie scheinbar planlos abgelegte, gigantische, rostbraune Dinosaurier-Eier. Spitz zulaufend auf der einen Seite und mit einer kreisrunden Öffnung auf der anderen, durch die ein ausgewachsener Mensch problemlos ins Innere kriechen könnte. Und dennoch wirken die Rieseneier mit ihrer dünnen Schale fast grazil: Ich klopfe behutsam... und höre einen reinen, glockenartig nachschwingenden Ton.
Georgien hat mehr zu bieten als Qvevri-Wein
Nur fünf Qvevri-Manufakturen gibt es noch in Georgien– und die haben schon Probleme, allein die Nachfrage nach Amphoren aus dem Ausland zu befriedigen. Aber seltsamerweise sind die Qvevris im eigenen Land gar nicht so gefragt: Die großen georgischen Kellereien setzen eher auf die Zukunft als auf die Vergangenheit: moderne Kellereiwirtschaft mit Weinen aus dem Edelstahltank oder auch in kleinen Eichenfässern gereift. Fruchtgeprägte Weine, wie sie sich international gut verkaufen. Château Mukhrani, eine der renommiertesten Privatkellereien Georgiens, hat sich mit Patrick Honnef zum Beispiel einen deutschen Chefönologen geholt, der in Bordeaux zu einem Meister seines Fachs geworden ist. Die Zukunft des georgischen Weins sieht Patrick Honnef eher nicht im Qvevri-Wein: „Ich finde es nicht richtig, den georgischen Wein absolut auf Qvevri-Wein zu reduzieren, weil man damit die Vielfältigkeit der Stile in Georgien unterschätzt“. Außerdem sei die Menge an Qvevri-Wein allein durch die Technik sehr stark beschränkt, „das macht vielleicht zwei Prozent der georgischen Weinproduktion aus.“
Schon nach ein paar Weinproben wird auch mir klar, dass georgischer Wein viel mehr ist als urtümlicher Rebensaft aus der Qvevri: Mit seinen über 500 eigenständigen Rebsorten besitzt Georgien ein großartiges Reservoir an Aromen. Trotzdem: Die Qvevris faszinieren. Dass ich einen kleinen Einblick bekommen habe in dieses Jahrtausende alte Handwerk und die archaische Methode der Weinherstellung - das allein hat die Reise nach Georgien schon gelohnt. Beileibe nicht jeder Qvevri-Wein hat mir geschmeckt – aber die besten Exemplare fand ich einfach nur hinreißend.