Monday, October 03, 2005

1. Oktober 2005, Neue Zürcher Zeitung (NZZ)

Kasten: 24 Stunden Strom für jeden, der zahlt
Kasten: Ein Transit- und Bergland mit hohem Agrar- und Tourismuspotenzial

Wirtschaftspolitische Reformen mit revolutionärem Elan

"Die neue Führung in Georgien im Wettlauf gegen die Zeit und gegen alte Tricks
Nach der «Rosenrevolution» ist in Georgien zumindest wirtschaftspolitisch tatsächlich Revolutionäres geschehen. Die jungen Reformer scheinen ernsthaft zu versuchen, Korruptions-Netzwerke zu zerschlagen, die allgegenwärtige Bürokratie zu bändigen und ein liberales Wirtschaftsprogramm durchzusetzen. Doch es gibt bereits Anzeichen dafür, dass ihre Wähler ungeduldig werden. Es ist ein Spiel mit hohem Einsatz.


Trotz all diesen im Vergleich mit den Verhältnissen in der Region bemerkenswerten Errungenschaften wirkt die Stimmung im Land zurzeit allerdings alles andere als euphorisch. Während laut Umfragen der Georgian Opinion Research Business International Ende 2003 mehr als zwei Drittel der Bevölkerung der Ansicht waren, Georgien bewege sich in die richtige Richtung, war es im März 2005 nur noch ein knappes Drittel. Es gibt viele Stimmen, welche die jungen Reformer als technokratisch-entrückt und gefühlskalt oder gar dilettantisch-unerfahren kritisieren. Weit verbreitet ist die Klage, dass sich der individuelle Lebensstandard noch nicht entscheidend verbessert habe. Geschäftsleute loben die Reformen zwar im Grundsatz, kritisieren aber ungeduldig eine noch zu wenig weit gehende Umsetzung. [...]

Auch die neue politische Führung scheint sich zunehmend bewusst zu werden, dass ihr Reformprojekt einem Wettlauf gegen die Zeit gleichkommt. Sie reagiert darauf wenig geschickt mit populistischen Ablenkungsmanövern und zunehmend autoritären Massnahmen. Die Medienlandschaft in Georgien ist wieder deutlich eintöniger geworden - ob als Folge von Zensur oder Selbstzensur, ist umstritten. Laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen wird in georgischen Gefängnissen immer noch gefoltert. [...]

Dabei geht es in Georgien um viel. Sollte es dem sympathischen kleinen Bergvolk gelingen, sich auf zivilisierte Art und Weise der Schattenseiten des sowjetischen Vermächtnisses zu entledigen und dank harter, seriöser Reformarbeit den wirtschaftlichen Aufschwung zu schaffen, wird dies Auswirkungen auf die ganze Region und nicht zuletzt auch auf Russland haben. Georgien könnte zum leuchtenden Modellfall werden. Doch erfolgreiche Reformen brauchen Mut und einen langen Atem. Nur wenn es der neuen Regierungsmannschaft gelingt, die angepackten, wichtigen Reformen zu verteidigen und der Versuchung des billigen Populismus zu widerstehen, kann das ambitiöse Werk gelingen. Der Weg von der Revolutions-Euphorie zu einem nachhaltigen, institutionalisierten Aufschwung ist für Georgien noch nicht gesichert."

Der ganze Text: Wirtschaftspolitische Reformen mit revolutionärem Elan (von Peter A. Fischer)

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