Saturday, October 22, 2005

„Wer weder raucht noch trinkt, wird als sehr gesunder Mensch sterben.“
Retrospektive Otar Iosseliani
03. 11. 2005 - 30. 11. 2005 (Filmhaus Nürnberg)


„Otar Iosselianis Filme sind von alltäglicher Belanglosigkeit, die dennoch voller Poesie ist“, beschrieb der bedeutendste russische Regisseur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Andrej Tarkowskij, das Werk des bedeutendsten georgischen Filmemachers. Iosseliani, geboren 1934 in Tiflis, ist ein stiller, liebevoller Beobachter menschlichen Daseins und menschlicher Schwächen. Letzteres war wohl auch der Grund, warum seine Filme in der Sowjetunion kaum gespielt wurden und erst mit jahrelanger Verspätung auf internationalen Festivals gezeigt werden konnten. Nach PASTORALE (1975) verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen derart, dass Iosseliani 1982 das Land verließ, um fortan in Frankreich georgische Filme zu drehen.

Iosselianis poetische Tragikomödien sind gekennzeichnet durch einen feinen Humor, leise Wehmut, Mangel an Pathos, Reduktion des Dialogs sowie die Präsenz von Wein und Zigaretten, denn wie ein georgisches Sprichwort sagt: „Wer weder raucht noch trinkt, wird als sehr gesunder Mensch sterben.“

Iosseliani studierte zunächst Musik, dann Mathematik, brach jedoch sein Studium ab, um am WGIK in Moskau Film zu studieren. Während des Studium entstanden zwei Kurzfilme und sein Abschlußfilm April (1961). Zurück in seiner Heimatstadt Tbilissi arbeitet er nicht nur als Regieassistent und Cutter in der den Grusia-Filmstudios, sondern auch zeitweise als Fischer und Gießer in einer Metalfabrik. Nach anhaltenden Schwierigkeiten mit den sowjetischen Behörden reist er 1982 nach Frankreich aus, wo er seitdem lebt.

Das Filmhaus Nürnberg, Königstr. 93, 90402 Nürnberg, Tel. 0911 / 231 58 23, zeigt vom 03. bis 30. November in einer nahezu vollständigen Retrospektive 17 Spiel- und Dokumentarfilme des georgischen Regisseurs.

Otar Iosseliani wird am 12. und 13. November zum Publikumsgespräch im Filmhaus zu Gast sein.

Programm:

* MONTAG MORGEN (LUNDI MATIN), F/I 2002, 120 Min., franz./ital. OmU,
Do. 03.11., So. 06.11. bis Di. 08.11.

Ein müder Mann steigt aus seinen Pantoffeln direkt in den R4, wenn er am Montag Morgen zur Arbeit fährt. Abends hält er an derselben Stelle und schlüpft vom Fahrersitz aus direkt in die Pantoffeln. Zwischendurch macht er nicht viel, vor allem eines nicht: rauchen. Das ist für solche Günstlinge des Mondes, die die Filme Otar Iosselianis bevölkern, eine schwer duldbare Strafe. Jeder will schmöken und keiner darf. So entflieht der Arbeiter seiner rauch- und rauschlosen Routine nach Venedig. Alles passiert en passant, ohne Worte. Das Dialogbuch über die kurze Reise ließe sich auf drei Seiten fassen, die Bilderwelt kaum in den Großen Brockhaus. Das Kabinett des Doktor Iosseliani ist voll von kauzigen Details eines Landlebens à la Jacques Tati, wo Pastoren mit Linsen die Damenwelt begutachten und Briefträger behaglich zwischen Wasserkessel und Bügeleisen die Post des Dorfes observieren. Der georgische Impressionist schafft ferne, zeitlose Stimmungen, benutzt die Reise als Anlass für skurrile Momente, die das Leben beleben. Ein Ausflug. Dann muss der Arbeiter zurück an die Arbeit. Und wir aus dem Kino. "Wer diesen Film nicht leichten Herzens verlässt, der hat keins."
* MARABUS (ADIEU, PLANCHER DES VACHES !), F/CH/I 1999, 115 Min., OmU,
So. 13.11. um 19.00 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs,
Mo. 14.11. & Di. 15.11. um 19.00 Uhr
Ein kleines Mädchen, versunken im Spiel. Die Playmobil-Eisenbahn, die unablässig im Kreis fährt. Schnitt. Marabus. Ein Zug im Bahnhof. Nicht nur die vielen Spielzeugeisenbahnen bewegen sich beständig im Kreis in Otar Iosselianis Film.
* BRIGANTEN (BRIGANDS, CHAPITRE VII), F/RUS/I/CH 1996, 118 Min., georg. OmU,
Do. 24.11., Mo. 28.11. & Di. 29.11. (Bei den 53. Filmfestspiele von Venedig erhielt dieser Film von Roman Polanski einen Spezialpreis)
* ALLEIN, GEORGIEN (SEULE, GÉORGIE), F 1994, 236 Min., dF,
So. 20.11. um 17.00 Uhr
* JAGD AUF SCHMETTERLINGE (LA CHASSE AUX PAPILLONS), F/D/I 1992, 115 Min., franz. OmU,
Sa. 19.11. & Di. 22.11.
* UND ES WARD LICHT (ET LA LUMIÈRE FUT), F/D/I 1989, 105 Min., OmU,
Do. 10.11. & Fr. 11.11. um 19.15 Uhr
* EIN KLEINES KLOSTER IN DER TOSKANA (UN PETIT MONASTÈRE EN TOSCANE), F 1988, 53 Min., OF (keine Dialoge), So. 06.11. & Di. 22.11.
(1988) Ein Film über eine kleine Gemeinschaft von Mönchen, die sich in der Toskana niedergelassen haben. Die Beziehungen zu den reichen Bauern der umliegenden Höfe sind ausgezeichnet, man lebt nebeneinander völlig verschiedene Leben. Der Film spürt diesem Nebeneinander nach: die eher städtische Kultur der Bauern und das aus dem Mittelalter herrührende Klosterleben.
* DIE GÜNSTLINGE DES MONDES (LES FAVORIS DE LA LUNE), F/I/SU 1984, 105 Min., franz. OmU,
Sa. 26.11. & Di. 29.11.
* EUSKADI, F 1983, 55 Min., OF (ohne Dialog), So. 13.11. & Mo. 21.11.
Kurz nach seiner Ausreise nach Frankreich dreht Iosseliani einen Film über das Baskenland: EUSKADI (1982), "ein Zeichen des Respekts für die baskischen Hirten und Bauern, die aufrechten Männer, würdevollen Frauen und stillen Kinder, für dieses stolze und mutige Volk, das seine Unabhängigkeit während seiner ganzen Geschichte verteidigt hat."
* PASTORALE (PASTORALI), SU 1976, 95 Min., georg. OmU,
Sa. 12.11. um 19.00 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs, So. 13.11. um 17.00 Uhr
Otar Iosselianis Film PASTORALI, den er 1975 in den Bergen Georgiens drehte, wurde von den Behörden als „zu wenig erbaulich“ verurteilt und durfte lange nicht im Ausland gezeigt werden. Poetisch und realistisch zugleich zeichnet er ein unkonventionelles Bild des georgischen Dorflebens, mit einem kritischen Blick auf Fortschrittsglauben und Funktionärsgebaren. Junge Musiker aus der Stadt verbringen den Sommer in einem abgeschiedenen Dorf bei einem Lastwagenfahrer und seiner Familie, um in Ruhe zu musizieren und ein klassisches Quartett einzustudieren. Sowohl für sie als auch für die Dorfbewohner bedeutet dies die Begegnung mit einer fremden Kultur.
* ES WAR EINMAL EINE SINGDROSSEL (Ikhvo chachvi mgalobeli/Jil pevchii drozd), SU 1970, 85 Min., georg. OmU,
Fr. 25.11. & So. 27.11.
Iosselianis heiter-melancholischer Komödie über einen jungen Musiker, der als Paukenschläger eines Orchesters immer erst in letzter Sekunde vor seinem Einsatz auf der Orchesterbühne erscheint. Das anrührende Porträt des ewig zuspätkommenden Antihelden fand unter den Filmfunktionären keinen Beifall
* DIE WEINERNTE (Guiorguiobistve/Listopad), SU 1967, 100 Min., georg. OmU,
Fr. 18.11. & Mi. 23.11.

KURZFILMPROGRAMM So. 6.11., 19 Uhr
* APRIL, Aprili, Sowjetunion 1962, 30 Min., OF (ohne Dialog),
* GUSSEISEN, Toudji/Tchougoun, Sowjetunion 1964, 17 Min., OF (ohne Dialog),
* ALTE GEORGISCHE LIEDER, Dzveli kartouli simgera/Starinaia gruzinskaia pesnia, Sowjetunion 1968, 20 Min., OF (ohne Dialog),
* DIE BLUME, DIE MAN NIRGENDS FINDEN KANN, Sapovnela/Pesnia o tsvetke, kotori nikto ne mojet naïti, Sowjetunion 1959, 20 Min., OF (ohne Dialog),

Links:
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Montag morgen
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Otar Iosselianis Film Adieu, plancher des vaches.
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„Adieu, plancher des vaches“
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Einsamer Alltag in Iosselianis „Lundi Matin”
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Auf der Suche nach dem wahren Leben. Otar Iosselanis kleine Flucht in großen Bildern
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Das Trauma der Frühe. „Montag Morgen“ von Otar Iosseliani ist ein filmischer Protest gegen das Aufstehen
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Marabus von O. Iosseliani
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Flanieren zwischen arm und reich: "Marabus" ist ein schöner Film. Nur schade, dass Regisseur Iosseliani einen Alki spielte und nicht den weisen Vogel
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Otar Iosseliani
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Otar Iosseliani (einschl. Literaturtipps)
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IOSSELIANI, Otar
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Die Moral des Feierns: In "Montag Morgen" erzählt Otar Iosseliani von der Allgegenwart der Rauchverbote und den Freuden der Verantwortungslosigkeit
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BRIGANTEN
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Sämtliche Filmkritiken zu "Montag Morgen"
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Paradiesvögel von O. Iosseliani

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