Tuesday, November 07, 2006

Wolken über Südossetien

Tshinvali ist die Hauptstadt Südossetiens, einer international nicht anerkannten Region in Georgien, die einen ähnlichen Status hat wie Transnistrien. Vor dem Hintergrund der Anerkennung Montenegros, pocht man mit Nachdruck sowohl in Abchasien, in Südossetien wie auch in Transnistrien auf die Unabhängigkeit – natürlich mit der Unterstützung der Bärenliebe Russlands.
Bei uns herrscht landläufig die Meinung vor, dass in diesen Landstrichen Gangster ihre Geschäfte tätigen, insbesondere Waffen-, Drogen- und Menschenhandel. Die westliche Sicht ist, dass dort aufgrund der früheren imperialen Machenschaften in der Sowjetunion und durch den Zusammenbruch des Imperiums nur noch kriminelle und korrupte Machenschaften das gesellschaftliche Leben bestimmen. Stattdessen gibt es dort jedoch mehr verschlafene und provinzielle Gegenden mit kleinen, ramponierten Straßen, die Assoziationen imperialer Kriminalität überhaupt nicht zulassen. Oft gibt es keinen Strom und die Laptops funktionieren dann auch nicht mehr. In Tshinvali gehen gewöhnliche Leute an ebenso gewöhnlichen Orten ihren gewöhnlichen Verdiensten nach. Tshinvali ist eigentlich nur etwas größer als ein Dorf. Die meisten Einwohner leben dort wie einfache Leute, die gerade mal ihre Ferien verbringen könnten. Sie leben wie die Heerscharen kleiner Leute irgendwo außerhalb Moskaus. Kinder spielen, ältere Frauen knacken Sonnenblumenkerne und Mütter bringen Fladenbrote zu ihren Familien.
Doch in letzter Zeit erhärteten sich die verbalen Attacken. Abchasien und Südossetien wurden mehr und mehr in die außenpolitischen Auseinandersetzungen hineingezogen. Moskau unterstützt abchasische und südossetische Separatisten, wobei die Probleme, die Georgien mit Russland hat, sich verschärfen. Südossetien unterbrach mit der Rückendeckung durch Moskau abrupt die Friedensgespräche mit Tbilisi. Konflikte und Scharmützel brachen in den dünn besiedelten Landstrichen auf der südlichen Seite des Kaukasus wieder auf. Dabei ist kein Ende der Querelen in Sicht. Das führt zu beunruhigten Einschätzungen der Lage, da der Kaukasus sowohl in seiner Vergangenheit wie auch in der Gegenwart, wie zum Beispiel im russischen Nordkaukasus, immer wieder für seine schwelenden kriegerischen Auseinandersetzungen in die Geschichte eingegangen ist. In Tbilisi hofft man auf die vor allem amerikanische Unterstützung und appelliert an Europa, ihnen ebenfalls beizustehen.
Gegenwärtig ist Südossetien weit davon entfernt, sich wieder in das georgische Staatsgebiet einzugliedern. Der südossetische Führer Eduard Kokoity ist zudem mehr als verdächtig. Gerade ist er alles andere als verhandlungsbereit und unterstützt keineswegs die demokratische Entwicklung in Georgien. Er betreibt mit seinen Getreuen eine nationalistische Politik. Provokationen bestimmen die Tagespolitik. Viele Georgier glauben jedoch, dass ein gemeinsamer Weg mit Südossetien möglich ist.

Vordergründig scheint Tshinvali eine normale Provinzstadt zu sein. Für die jungen Männer ist die Zukunft jedoch nicht normal geschweige denn verheißungsoll. Beinahe jede Familie hat irgendjemanden, der in Russland Geld verdient, wovon sie einen beträchtlichen Teil nach Hause schicken. In Südossetien sagt man, dass die Alternative darin besteht, entweder für die Regierung zu arbeiten oder sich in die Obhut der russischen Einflusssphäre nach Nordossetien zu begeben, denn in Südossetien gibt es weder eine auch wie geartete Industrie oder anderweitige Ressourcen, durch die die Einwohner ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Auch gibt es dort keine strategisch wichtigen Regionen, die eventuell auch noch für den Tourismus attraktiv wären. Darüber hinaus trägt keine Diaspora dazu bei, wie etwa in Nagorno-Karabagh, die Infrastruktur wieder in Gang zu bringen. Und gerade deswegen werden die Osseten mehr und mehr abhängig von Moskau als andere separatistische Regionen. Wenn man so sagen kann, ist Ossetien nicht nur der Spielball der großen Einflussmächte im südlichen Kaukasus, sondern es könnte auch die Zündschnur dafür sein, die eh berüchigte Situation auseinander brechen zu lassen.
Dass beinahe alle Osseten russische Pässe haben, verursacht signifikante Probleme. Auf diese Weise lädt Russland die Osseten regelrecht dazu ein, sich ihnen anzuschließen, was die Vorstellungen der Regierung in Tbilisi in Frage stellt. Für die Osseten, die keine andere Wahl haben, bedeutet dies schlicht der einzige Zugang zu Bildung und Arbeit in Wladikawsk oder Moskau, um vielleicht wenigsten für spätere Generationen einen bescheidenen Wohlstand zu erwirtschaften. Für die Osseten ist es ersichtlich, dass es unmöglich ist, sich in Georgien zu integrieren, ohne einen langen und schmerzvollen Weg zu gehen.
Von Vorteil ist es für Russland, dass gerade die ältere Generation Russisch spricht. Ossetisch ist eine iranische Sprache, die sich stark von den kaukasischen Sprachen unterscheidet. Beinahe jeder spricht russisch, jedoch in georgisch beherrschen die Osseten nur ein paar Wörter. Und gerade die einfachen Leute, wozu eben auch die Jugend gehört, bekommen daher keine Arbeit oder gar ein Studium in Tbilisi. Russland springt dort ambivalent in die Breche.
Doch selbst in Georgien gibt es kaum jemanden, der bereit ist hinsichtlich Südossetiens Kompromisse einzugehen. In Ossetien hört man Stimmen, dass, solange ein Ossete in Tshinvali am Leben ist, nie die georgische Armee dort stationiert sein wird.
Nimmt man diese Äußerungen ernst, kann man geradeheraus behaupten, dass man weit davon entfernt ist, bald eine Lösung der Konflikte herbeizuführen. Nicht einmal eine Annäherung kann dadurch stattfinden. Selbst einige Osseten wissen, dass sie von Russland nur deshalb unterstützt werden, weil sie „ureigene“ Interessen haben. Das flößt den Osseten ein gewisses Vertrauen ein. Deshalb schlagen sie sich auf die russische Seite. Und nur daher wollen sie sich in das Spiel einbringen, weil sie aufgrund der russischen Interessen ihre Integrität geschützt glauben.
Ernsthaft kann wohl nicht behauptet werden, dass sich das Zusammenleben der Osseten mit Georgiern über kurze Zeit entwickeln wird, denn nicht nur für die Südosseten scheint die Vereinigung mit Nordossetien die beste Option zu sein. Andere Möglichkeiten einer Beilegung der Konflikte werden nicht in Betracht gezogen. Russland sieht das ebenso.
Gegenwärtig, und das verschärft die Lage, sind alle Osseten gegenüber den Interessen aus Tbilisi feindlich eingestellt. Die Intentionen des georgischen Verteidigungsministeriums verschärfen das Gefahrenpotential ihrerseits. Die rasante militärische Aufrüstung, erhöht die Gefahr der blutigen Auseinandersetzung, wobei fragwürdige Allianzen zum Ausdruck brachten, sich jeder Zeit in die Kampfhandlungen einzumischen. Es besteht also kaum die Aussicht, dass die vielgepriesene Herzlichkeit im Kaukasus gepaart mit Verstand einen notwendigen Einfluss gewinnen. Fatal könnte es auch für Georgien werden, wenn es diesen Konflikt weiterhin kaum ernst nimmt und die etwas mehr 10.000 Einwohner in Tshinvali nicht respektieren. Trotzdem jeder weiß, dass der Stolz der kleinen Völker, die ölgetränkten Späne sind, die das Feuer entfachen können, ist es unbegreiflich, dass diese Gefahr für die Georgier keine Rolle spielt, obwohl sie die kaukasische Mentalität aus eigener Erfahrung kennen müssten.

Letztendlich drohen durch diese ethnischen Machenschaften Konflikte, die schreckliche Ausmaße annehmen können. Deshalb sollte auch Georgien auf seine Art, Gespräche und Verhandlungen suchen, und den kaukasischen Nachbarn den vielbeschworenen Respekt entgegenbringen. Und dabei sollten alle Konfliktparteien sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Von der internationalen Gemeinschaft sollte eine gebührende Unterstützung kommen! Und dabei denke ich gerade an die großen Globalplayer, die, wie mir jedoch scheint, ihre eigenen „großen Probleme“ haben.
Von Ralph Hälbig
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