Tuesday, December 19, 2006

KUNST: Jörg Herold im Kaukasus

Das Kaukasische
Eine Nachlese zu Empfindungen des Herrn Blumenbach

Seit Jahrzehnten begeistern sich Forscher aus aller Welt, an Funden in den staubigen Weiten und felsigen Tiefen Kaukasiens. In Georgien, unweit der Mündung des Flusses Pinesauri in den Maschawera-Fluss, liegt das berühmte Dorf Patara Dmanisi. In seiner Nähe, auf einen kleinen Plateau, fanden Paläontologen Tausende Tierfossilien aus einer Epoche vor 2,5 – 1,4 Millionen Jahren. Im Jahr 2001 gab es dann die Sensation, der Fund eines 1,8 Millionen Jahre alten Frühmenschen, der älteste Homo außerhalb des afrikanischen Kontinents.

Doch das Relikt unseres Ahnen hatte einen extrem kleinen Schädel und Kiefernknochen. Sein Gehirn war nur halb so groß wie das des modernen Menschen „Denke man sich eine Körper hinzu“, kolportierte einer der Ausgräber, „war dieser klein, von schmächtiger Figur, hatte eine kurze Nase und mächtig große Zähne“. Trotz der Verunstaltungen entwickelte sich die Spezies prächtig, das kleine Hirn reichte für die Evolution und begann Europa zu erobern.

Vor über zweihundert Jahren, konnte ein Professor, daheim in Göttingen, noch nichts von dieser Aufgeregtheit ahnen. Herr
Blumenbach sammelt Schädel aller Nationen. Er will ordnen, die Varietäten im Menschengeschlechte klären. Im Lauf von Jahren, mit scharfem Blick auf Hunderte von ausgekochten Köpfen, erregt ihn eine jüngst verstorbene Georgierin. Sein ganzes Augenmerk ist gerichtet auf ihr Ebenmaß, was ihn entzückt. Ganz sanft gerundet sind die Formen, mäßig geebnet die Stirn und nirgends springen die Jochbeine hervor. Der Zahnhöhlenrand ist ziemlich rund, die Vorderzähne in beiden Kiefern stehen senkrecht. Ihr gibt er den ersten Platz in seiner Rassensystematik. Zur „Miss Kaukasia“ gekoren, geistert von nun an eine Typologie in der Welt, die als wundersamer Terminus von der „Kaukasischen Rasse“ bis heute in Volkszählungen fortlebt. Der Natur gemäß erklärt Herr Blumenbach im folgenden die Kaukasische zur ursprünglichen Rasse, den Rest zur Abweichung von der Norm. Natürlich war sich der Professor der Konsequenz seiner Empfindungen nicht bewusst. Konnte er doch nicht in die Zukunft derer sehen, die sich seines Ideals bemächtigten und zum Fanal ihres Rassenwahns verstümmelten. Aber bis in diese Zeit war noch viel zu forschen und zu reisen. Viele machten sich auf den Weg ins gelobte Reich der Kaukasier, dorthin, wo das Maß der Schönheit regiert.

2006 brach der Dokumentararchäologe Jörg Herold auf, um Dmanisi zu sichten und den sagenumwobenen Kaukasus zu bereisen. Vielleicht auch, um die schöne Georgierin des Herrn Blumenbach zu finden, die, wie er hoffte, noch immer strahlte. Im Gepäck, Schriften, Bilder und Mythen die Jahrhunderte Europäischen Geist und Geschichte prägten und aufs engste mit dem alpinen Gebirgszug zwischen Schwarzen- und Kaspischen Meer verbunden sind.

Jörg Herold besuchte das Geburtshaus von Väterchen Stahl, mit Millionen Leichen im Keller. Durchschreittete umgeben von steil aufragenden Felsen die Schlucht Darjal, bis hin zum Grenzland ins russisch-tschetschenische Idyll. Dokumentierte und Inventarisierte eine Bäckerei in Tbilisi und die Flüchtlingswohnung von Frau M., einer vor dreizehn Jahren durch Krieg vertriebenen Georgierin aus Abchasien. Natürlich betritt er die Grabungsstätte von Dmanisi, und wird überrascht von neuen Funden. Er besucht Orte schwäbischer Bauern, die einst aus dem hungernden Deutschland dem Paradies entgegeneilten und ihr Heil und den Heiland beinah begegnet wären. Im
„Heimweh“ blätternd, begegnete Herold Jung-Stilling, den Verfasser des grauen Mannes, dem Boten des tausendjährigen Reich Christi auf Erden. Er sah durch die Brille des in Schädel verliebten Delinquentenjägers, Herrn Lombroso, mit messenden Blick auf die Welt des Verbrechens, so Hoch auf den Gipfeln und doch so tief im Geist.

Heimgekehrt, sind die Erinnerungen vom Kaukasischen frisch in Form gebracht. Zeichnungen, Fotografien, Filme und Objekte sind der Öffentlichkeit ab dem 20. Januar 2007 in Leipzig in der
Galerie EIGEN+ART zugänglich. Spätere Ausstellungen werden im Februar in New York und im März in Brüssel zu sehen sein.

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Frau aus Tiflis

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