Politischer Jahresbericht
Die letzten 12 Monate haben keinen der drei ethnopolitischen Konflikte in der Region einer abschließenden politischen Lösung näher gebracht.
Zwischenzeitliche Hoffnungen auf einen Verhandlungsdurchbruch im Karabach-Konflikt durch wiederholte Treffen der Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans und hohen internationalen Druck wurden enttäuscht. Es rächte sich einmal mehr, dass in keinem der am Konflikt beteiligten Länder in den letzten zehn Jahre eine tragfähige „peace constituency“ für einen Kompromissfrieden vorbereitet worden ist.
Im Falle der Sezessionskonflikte um Südossetien und Abchasien erkennen sich die Konfliktparteien gegenseitig nicht einmal als solche an. Georgien präsentiert Friedenspläne, die sich vor allem an die internationale Gemeinschaft richten und spielt vor dem eigenen Volk
und den sezessionistischen Republiken mit militärischen Optionen. Im Wesentlichen hofft Georgien jedoch darauf, dass wachsender, von den USA auf Russland ausgeübter Druck die Bevölkerung endlich dazu bringt, ihre Unterstützung der Separatisten aufzugeben. In Abchasien
würde man gerne eigene Kontakte zur EU und zu den Nachbarn am Schwarzen Meer aufbauen, um den Würgegriff des russischen Patronats zu lockern, lehnt aber entschieden jedes Angebot ab, das den Weg nach Europa nur über die Reintegration mit Georgien ermöglicht. Die südossetische Führung verzichtet auf eine eigenständige Politik und wirft sich Russland in die Arme.
In Georgien verhindert die Konzentration der politischen Elite auf den eskalierenden Gegensatz mit Russland die Nutzung der Chancen für eine langfristig angelegte, pragmatische Annäherung gegenüber den abgespaltenen Republiken. Innenpolitisch begründet die georgische Regierung von Präsident Saakaschwili ihre zunehmend autoritäre Interpretation demokratischer Prozeduren (z.B. die Missachtung der Unabhängigkeit der Justiz) mit der Notwendigkeit, das „knapp vor dem Ruin gerettete“ Land den Klauen der organisierten Kriminalität und „feindlicher Agenten“ zu entreißen und durch „revolutionäre Maßnahmen“ endgültig im modernen Westen und der NATO zu verankern.
Es wächst die Gefahr, dass die polarisierende Politik des Präsidenten und Rückschritte bei Menschenrechten und Demokratie eher zur weiteren Destabilisierung des Landes führen. Allerdings hat die Regierung wichtige Erfolge bei der Konsolidierung des Staatshaushaltes vorzuweisen und konnte ihren finanziellen Handlungsspielraum für dringend benötigte Infrastrukturinvestitionen erweitern.
Dank dieser hat sich die Versorgung mit Gas, Wasser und Strom erstmals seit vielen Jahren auch in den Regionen verbessert.
In Armenien hat die Regierung im Herbst 2005 durch Manipulationen eines Referendums gegen den Widerstand der Opposition die Annahme von Verfassungsänderungen bewirkt, die ganz im Sinne demokratischer Reform die Gewaltenteilung stärken und die politischen Gestaltungsspielräume der Opposition erweitern sollen. Die absurde Situation, dass die Opposition gegen von ihr selbst ursprünglich geforderte Änderungen agierte, weil sie um jeden Preis einen Abstimmungserfolg der als illegitim betrachteten Regierung verhindern wollte,
hat sie selbst in eine tiefe Krise gestürzt. Das trotz wirtschaftlicher Erfolge nicht populäre Regime von Präsident Kotscharjan hat daher gute Chancen, 2008 die angepeilte Erbfolge „im System“ und damit die Übertragung des Präsidentenamtes auf Verteidigungsminister Sarkisjan erfolgreich umzusetzen.
Die Parlamentswahlen in Aserbaidschan im November 2005 haben nicht die erwartete revolutionäre Demokratisierung“ erbracht. Nur eine marginale Zahl oppositioneller KandidatInnen ereichte nach der – nach übereinstimmender Ansicht internationaler Beobachter – manipulierten Auszählung ein Abgeordnetenmandat. Die massive politische Schwächung der Opposition wird aber eher dazu beitragen, dass gesellschaftliche Polarisierungen in Aserbaidschan zunehmen – zwischen den Profiteuren des Ölbooms und denen, die am Rande und außerhalb der Hauptstadt Subsistenzwirtschaft betreiben; zwischen Angehörigen des Aliev-Regimes und deren radikalen politischen Gegnern, zwischen den Trägern eines westlich ausgerichteten Lebensstils und Anhängern eines fundamentalistischen Islam. Da das „Feindbild
Armenien“ vor diesem Hintergrund als ideologischer Kitt benötigt wird, stehen die Chancen für eine Milderung der aserbaidschanischen Haltung im Karabach-Konflikt nicht gut.
Mehr: Südlicher Kaukasus 2005/2006 (pdf)
Tbilisi, Regionalbüro Südlicher Kaukasus Tbilisi, Juli 2005-Juli 2006
Walter Kaufmann, Heinrich-Böll-Stiftung Regionalbüro Südlicher Kaukasus, Radiani St. 5, 380079 Tbilisi, Georgien,
Leitung: Walter Kaufmann, Fon: +995-32-227705, Fax: +995-32-912897, E-Mail: kaufmann@boell.ge, Homepage: http://www.boell.ge/
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