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Im Gefängnis wegen eines YouTube-Videos?
Samstag, den 14. Juli 2012 von Silvia Stöber
“Ты кто такой? Давай, до свидания!” – “Was glaubst Du, wer Du bist? Los, verschwinde!” – diese Parole entsprach der Stimmung Tausender, die kürzlich in Moskau gegen Wladimir Putin auf die Straßen gingen. Auf Facebook und Twitter machte dieser Spruch die Runde, oft mit Bildern von Putin oder anderen ungeliebten Persönlichkeiten aus dem Post-Sowjet-Raum.
Seinen Lauf nahm der Spruch von Aserbaidschan aus. Dort, tief im Süden des Landes nahe der Grenze zum Iran, entstand der Slogan als Refrain eines traditionellen Sprechgesangs. Bei einer Hochzeit lieferten sich Sänger einen Wettstreit. Auf Russisch, Aserbaidschanisch und Talysch, der Sprache der dort lebenden Minderheit, nahmen sie die Verhältnisse vor Ort aufs Korn. Als YouTube-Video fand die Liedzeile Zuspruch weit über die Region hinaus.
Ins Internet hochgeladen hatte das Video Hilal Mammadov. Er wurde nun des Hochverrats angeklagt. Ihm wird Aufruf zu öffentlichen Unruhen und Spionage für den Nachbarstaat Iran vorgeworfen. Am 21. Juni war er in Baku zunächst wegen Heroin-Besitzes festgenommen worden. Freunde und Kollegen Mammadovs bezweifelten aber öffentlich, dass er etwas mit Drogen zu tun haben könnte.
Die Frage liegt nahe, ob das Video eine Rolle bei der Festnahme gespielt hat. Es wäre nicht das erste Mal im autoritär regierten Staat Aserbaidschan, dass ein Aktivist nach der Veröffentlichung eines satirischen Videos im Gefängnis landet. Im Jahr 2010 hatte es Emin Milli und Adnan Hajizadeh getroffen.
Der 52-jährige Mammadov ist Redakteur der Zeitung “Stimme der Talysch” und tritt für die Rechte der Talysch ein. Diese leben im Süden Aserbaidschans und im Norden des Iran. Sein Vorgänger als Redakteur der Talysch-Zeitung war 2008 ebenfalls wegen Spionage für den Iran angeklagt und dann zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er starb 2009 im Gefängnis.
Die ohnehin schwierigen Beziehungen zum Iran könnten bei Mammadovs Festnahme eine Rolle gespielt haben, da die Spannungen zwischen beiden Ländern in den vergangenen Monaten zunahmen.
Zum Beispiel berichtete Radio Liberty mit Bezug auf einen staatlichen Sender, dass im Iran zwei Aserbaidschaner wegen Spionage verhört wurden. Aserbaidschan unterhält gute Beziehungen zu Israel, wo wegen des iranischen Atomprogramms öffentlich ein Militärschlag gegen Iran erwogen wurde.
Menschenrechtsaktivisten gehen davon aus, dass Mammadovs Festnahme ein weiterer Schritt der Regierung gegen Opposition und Zivilgesellschaft ist. Beobachter und Aktivisten rechnen wenige Wochen nach dem Eurovision Song Contest in Baku mit einem harten Durchgreifen der Behörden.
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte es in den internationalen Medien zahlreiche kritische Berichte über die Lage im Land gegeben. Damit wurden Pläne der Regierung torpediert, den Gesangswettbewerb als PR-Show für die Modernisierung und Europäisierung des Landes zu nutzen. Sie hatte dafür einen zweistelligen Millionenbetrag ausgegeben.
Das Video aus dem Süden Aserbaidschans hingegen erreichte ohne jegliche finanzielle Investition ein Millionenpublikum. Ganz offenbar gab die Botschaft den Ausschlag für den Erfolg.
Stille
Samstag, den 14. Juli 2012 von Silvia Stöber
Tiflis ist voller Chaos, Lärm und Musik. Nachmittags übt eine Frau im Nachbarhaus ihre Sopranstimme. Manchmal Samstags schallt eine kräftige, aber etwas richtungslose Knabenstimme durch die Häuserschlucht. Läuft man durch die Straßen, dringen aus geöffneten Fenstern Klangwolken von Klavieren oder Violinen. Des Abends ertönt hier und da an Straßenecken mehrstimmiger Gesang junger Männer, oft beschwingt durch Alkohol und eine kräftige Prise georgischen Patriotismus’. Jetzt im Sommer treten bei jeder Gelegenheit Bands und Künstler auf. Die Stadt ist voller Klänge von tiefen Männerchören bis zu Arien in den höchsten Tönen, den auch der ruhelose Autoverkehr nicht übertönen kann.
Baku dagegen wirkt sonderbar still. Wenn es Klänge gibt, dann trägt sie der Wind auf das Kaspische Meer hinaus. So blitzsauber und ordentlich die Innenstadt im Vergleich zu Tiflis wirkt, so rein von Musik scheint die Luft. Die Ruhe durchbrechen allein stampfende Bässe aus Autorradios, vereint mit dem Brummen der Motoren. Des Abends dringt hier und da Musik aus Bars und Kneipen.
Wenn aber wahr ist, was der aserbaidschanische Präsidentenberater Ali Hasanov behauptet – 50 Prozent aller jungen Menschen betätigten sich musikalisch und die anderen 50 Prozent schickten sich an, dies zu tun – dann geschieht es hinter verschlossenen Fenstern und Türen. Noch kurz vor dem Eurovision Song Contest ging die Polizei dazwischen, als einige Jungs auf dem zentralen Fontainenplatz zu Hip Hop tanzen wollten. Nur wenige Minuten erscholl die Musik, dann war nur noch das verhaltene Plaudern der Passanten zu hören. Keine lauten Rufe, keine Pfiffe.
400 Kilometer südwestlich: Noch sauberer gefegt, die weißen Straßenmarkierungen immer frisch und die Fassaden in leuchtenden Farben, aber umso stiller ist die Innenstadt von Naxcivan. Es ist die Hauptstadt der gleichnamigen aserbaidschanischen Exklave an der Grenze zu Iran. Mausoleen und das unvermeidliche Museum für den verstorbenen Präsidenten Haidar Alijew sowie eine Statue des Führers auf dem weitläufigen quadratischen Vorplatz prägen die Innenstadt. Man spürt bereits einen starken Hauch Zentralasiens. Es ist ein Begriff, der nach straff geführten Staaten klingt.
Auf den Straßen Nachitschewans dominieren nach sechs Uhr am Abend die Männerstimmen. Frauen sollten in Begleitung von Verwandten oder Ehemännern unterwegs sein, wenn sie nicht schwer missbilligende oder anzügliche Blicke auf sich ziehen wollen. In den Teestuben bedienen Männer Männer. Es wird gemeinsam getrunken und gegessen, selten aber diskutiert, und wenn, dann mit gedämpften Stimmen. An der Universität tragen die Studenten Kleidung im Stil sowjetischer Schuluniformen. Musik wird zur Lobpreisung der Kultur und des Landes gespielt. Unbeschwert wirken die Menschen dabei nicht.
Es ist ein Leben ohne Chaos, Widerspruch und Spontanität. Es ist sauber und ruhig, ganz im Sinne der Regierung, die mit der Ordnung auch Kontrolle über die Menschen durchsetzt. In dieser Stille sehnt das Ohr das Tifliser Chaos herbei, die manchmal lauten Streitereien auf den Straßen und die noch unbeholfen schiefen Tonleitern aus dem Haus schräg gegenüber.
Kaukasische Wahrheiten
Samstag, den 14. Juli 2012 von Silvia Stöber
Merkwürdiges trägt sich zu am Ufer des Sewan-Sees in Armenien. Tagein, tagaus stehen dort Jungen und Männer. Sobald sich auf der Straße am Ufer ein Fahrzeug nähert, breiten sie ihre Arme in voller Länge aus. Hält man an, wird man erfahren, dass sie frisch gefangene Fische anbieten, die mindestens so lang wie ihre ausgestreckten Arme seien. Nun ist der Sewan-See zwar groß, aber so lange Fische hat man dort noch selten gesehen. Tatsächlich bekommt man Forellen präsentiert, die zwar prächtig, aber nicht viel länger als ein Unterarm sind. Und doch werden auch noch in Jahren Männer mit kürzeren oder längeren, aber immer ausgestreckten Armen dort am See stehen sehen.
Denn die Fischer präsentieren die kaukasische Version der Wahrheit, oder was man als Wahrheit versteht. 3000 Kilometer entfernt von Zentraleuropa ist das Verständnis dafür doch ein anderes. Armenier, noch viel mehr aber Georgier und Aserbaidschaner werden ihr eigenes Land immer noch ein Stück rosiger oder auch düsterer als in Wirklichkeit beschreiben. Übertreibung ist Teil der Gesprächskultur. Eine ordentliche Prise Patriotismus spielt mit, vor allem bei gepflegten Unterhaltungen an einer gut gefüllten Tafel. Außerdem gebietet es die hochgeschätzte Gastfreundschaft, den Gast, aber auch den Gastgeber zu loben. Ihre Vollendung findet die Lobhudelei in den Tischreden, die in Georgien der Tamada hält. Er ist der von der Runde bestimmte Redner, der vor jedem Umtrunk einen Trinkspruch ausgibt.
Ein guter Politiker sollte in Georgien ein guter Tamada sein, und der Präsident der Obertamada. Michail Saakaschwili hat diese Funktion in den vergangenen Jahren in Georgien mit ganzem Herzen ausgefüllt. Er scheute keine Mühe, die Zukunft Georgiens in den kühnsten Zügen zu zeichnen. Mal sollte es die Schweiz, mal das Singapur des Kaukasus werden. Poti, Anaklia, Lazika heißen die Orte, in denen die künftigen Handelsdrehkreuze der Welt angesiedelt werden sollten. Auch wenn sich enorm viel getan hat in den vergangenen Jahren und Misha, der Präsident, von einer neuen Klinik zur nächsten (halbfertigen) Fabrik eilt, um sie einzuweihen, sind die Menschen ernüchtert.
Zu kühn waren die Versprechen, zu wenig hat sich vor allem für die zahlreichen älteren Menschen geändert, von denen viele ihr Leben als Kleinbauern, Taxifahrer, Straßenverkäufer oder gar als Bettler bestreiten. Viele richten ihre Hoffnung nun auf Bidsina Iwanischwili, der zwar alles andere als ein guter Tamada ist, dafür aber so vermögend, dass er den gesamten Haushalt Georgiens für ein Jahr bestreiten könnte. Geschichten über kommunistische Zustände in seinem Heimatdorf lassen so manchen auf Geschenke nach der Wahl im Oktober hoffen. Die neoliberal ausgerichtete Regierung sah sich im Zugzwang und legte ein geradezu sozialdemokratisches Programm zur Unterstützung von Bauern und zum Abbau der Arbeitslosigkeit auf. Möge bei diesem Wettstreit der besonnenste Tamada gewinnen, ist man geneigt zu wünschen.
Weitaus orientalischere, aber auch durch das autoritäre System bedingte Versionen der Wahrheit bekommt man in Aserbaidschan präsentiert. So muss man sich nicht wundern, wenn man eine 100 Prozent von der Realität abweichende Aussage zu hören bekommt, ob von Regierungs- oder Oppositionsseite. Wer am stärksten gefährdet und am schwächsten ist, der wird die Regierung von Präsident Alijew in den höchsten Tönen loben. Die orientalische Kultur bringt es zudem mit sich, dass man einander beim Kennenlernen und zum Beginn von Gesprächen schmeichelt, um eine gemeinsame Ebene zu finden. Doch geschieht dies mitunter auf eine Art, die man in Westeuropa als arg übertrieben wahrnehmen würde.
So bleibt nur, zwischen all den kaukasischen Versionen der Wahrheit beständig die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und am besten immer einige Prozente abzuziehen. Mal mehr, mal weniger. Wahlkampfauftritte westlicher Politiker sind in jedem Fall eine gute Schule.
Tuesday, July 17, 2012
BLOG: Silvia Stöber blogt als ARD-Journalistin und Stipendiatin aus dem Kaukasus (medien-mittler.de)
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