(dradio.de) Die Pipeline "Nabucco" galt als eines der ehrgeizigsten Infrastrukturprojekte der EU. Eine Pipeline sollte Erdgas vom Kaspischen Meer bis nach Österreich bringen, um Europa unabhängiger von Russland zu machen. Doch so lang wird die Pipeline wohl nicht mehr werden.
Der aserbaidschanische Öltanker "Schuscha" holt den Anker ein. Fast zehntausend Tonnen Öl sind nun gelöscht. Der Schiffsrumpf hebt sich aus dem Wasser. Der Tanker liegt an der aserbaidschanischen Küste am Kai des Terminals Sangaschal unweit der Hauptstadt Baku. Dieses Terminal an der Westküste des Kaspischen Meeres ist Ausgangspunkt der Ölpipeline von Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Für den Schienentransport führt von dem Ölterminal außerdem eine Eisenbahnlinie an die georgischen Schwarzmeerhäfen.
Aserbaidschan verfügt über gewaltige Ölvorkommen, doch auch an der Ostküste des Kaspischen Meeres, in Kasachstan und Turkmenistan, sprudeln Gas- und Ölquellen. Für den Transport der zentralasiatischen Rohstoffe in den Westen bietet sich Aserbaidschan zudem als Transitland an. Solch eine Route umgeht Russland von Süden her und bedroht das russische Pipelinemonopol über die Bodenschätze der Kaspischen Region.
"Das Kaspische Meer gilt als eines der unruhigsten Meere weltweit. Hier stürmt es 160 Tage im Jahr. Das Kaspische Meer ist der kleine Bruder des Atlantischen Ozeans, dieselben Stürme, dieselben Wellen. Manchmal sind die sogar größer als im Atlantik..."
..schwärmt Ruslan Rusajev, der Zweite Offizier der "Schuscha", die nun wieder in See gestochen ist...
Doch jetzt herrscht Flaute. Die Wasseroberfläche glänzt spiegelglatt in der Sonne. Der Tanker pflügt mit elf Knoten durch das Meer mit Kurs auf den kasachischen Hafen Aktau.
Die aserbaidschanische Flotte hat eine über 100-jährige Seefahrertradition auf dem salzigen Binnensee, der allein über den Wolga-Don Kanal mit dem Schwarzen Meer, damit dann auch mit den Weltmeeren verbunden ist.
Aserbaidschan hat in Russland neue Tanker mit einer Ladekapazität von 13.000 Tonnen, bauen lassen. Größere Schiffe passen nicht durch den Wolga-Don Kanal.
Begrüßung auf hoher See. Der Tanker "Heydar Alijew", benannt nach dem ersten Präsidenten Aserbaidschans, passiert auf halben Weg die Schuscha. Die Heydar Alijew liegt tief im Wasser, denn in ihrem Bauch lagert kasachisches Öl. Auch Kasachstan hat sich eine Flotte zugelegt, und so kreuzen jetzt aserbaidschanische, russische und kasachische Tanker über das Binnengewässer.
"Durch das Kaspische Meer verläuft bisher keine Pipeline, die das Öl von Aktau nach Aserbaidschan bringen könnte, aber eine Pipeline wäre natürlich einfacher, und diese wird es bald geben."
Komran Ibragimov , der 41jährige Kapitän der "Schuscha", steht auf der Brücke seines Tankers, schlürft Tee und schaut über die blaue See.
Ein Streit verhindert bisher den Bau einer Pipeline. Die fünf Anrainer des Kaspi-Binnengewässers können sich nicht über dessen Status und die territoriale Aufteilung einigen. Die Kernfrage: Dürfen allein die direkt betroffenen Staaten einen Pipelinebau von Küste zu Küste beschließen, oder müssen zuvor alle Anrainer ihre Zustimmung dafür erteilen?
Vor allem Russland will den Bau einer Gaspipeline verhindern. Allerdings: Es gibt auf dem Kaspischen Meer keine Gastanker, die solch eine Röhre ersetzen könnten.
Und so propagiert Europa schon seit 2002 den Bau einer Gaspipeline, die von Baku über die Türkei bis nach Wien führen soll. Dieses Projekt trägt den Namen der Verdi-Oper "Nabucco", die vom Auszug der Juden aus der Babylonischen Gefangenschaft handelt. - Europa setzt bei Nabucco langfristig auf die Gasreserven in Turkmenistan am östlichen Ufer des Kaspischen Meeres, denn die Gasreserven in Aserbaidschan reichen allein nicht aus, um die Röhre zu füllen. - Doch auch zehn Jahre später bleibt alles Theorie, obwohl die Verantwortlichen in Turkmenistan nach eigener Aussage bereit stünden:
"In den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass der turkmenische Präsident Berdy-mucha-medov für Turkmenistan und Aserbaidschan das Recht in Anspruch nimmt, eigenständig über eine Pipeline und ohne vorherige Konsultation mit den Anrainern zu entscheiden. Bis zur endgültigen Statusfrage des Kaspischen Meeres sollte man von einem solchen Plan aber die Finger lassen, denn das würde einen Präzedenzfall schaffen..."
...warnt Bella Sirlibajewa. Sie arbeitet im "Institut für strategische Studien" in der kasachischen Wirtschaftsmetropole Almaty, 2000 Kilometer östlich vom Kaspischen Meer entfernt. Kasachstan unterstützt Russland bei dessen Ablehnung eines Pipelinebaus auf dem Grund des Kaspischen Meeres.
Deren Experten führen vor allem Umweltgründe an. Aber die Kasachin gibt zu, dass diese Argumente vor allem als Vorwand dienen, um das russische Erdgas-Monopol in Europa zu schützen. - Das eigentliche Problem mit Nabucco liege derzeit indes in Europa:
"Das ursprüngliche Nabuccoprojekt wird wohl aus finanziellen Gründen nicht realisiert, da es schon jetzt viele Milliarden mehr kosten würde, als in der Anfangsplanung vorgesehen. Aus dem Projekt ausgestiegen sind schon die Ungarn, die deutsche RWE und auch die Engländer haben sich klar abgewandt..."
...erklärt die Expertin im kasachischen Almaty. - Ähnlich ist die Sicht in Aserbaidschan. Der dortige Präsidentenberater Nawrus Mammedov ist sichtlich genervt, dass Europa all die Jahre offensichtlich nur rede, aber nichts unternehme:
"Aserbaidschan beschäftigt sich mit dem Projekt schon seit acht Jahren. Das war ein Vorschlag der EU. Aserbaidschan hat viele Projekte im Rahmen des Süd-Korridors nach Europa verwirklicht. Nabucco ist aber nicht unser Projekt. Europa braucht Gas - und Turkmenistan hat Gas. Wenn beide sich einigen, dann führt der Weg durch Aserbaidschan. Dagegen werden wir natürlich nichts einzuwenden haben."
Mammedov kündigt darüber hinaus noch ein eigenes Pipeline-Projekt an, dass eigenes, aserbaidschanisches Erdgas via Türkei nach Europa pumpen soll, genauso wie es jetzt schon beim Erdöl geschieht.
Am nächsten Abend ist der Tanker "Schuscha" in Aktau angekommen. Über Funk lotst ihn die Aufsicht in den Hafen. Dunkle Wolken verdüstern den Himmel. Ein Sturm beginnt das Kaspische Meer aufzuwühlen. Die Rückfahrt mit kasachischem Erdöl nach Baku könnte sich nun wegen des Unwetters ohne weiteres um einige Tage verzögern.
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