Beim Thema Homosexualität geht der Mehrheit der Georgier ganz schnell das Geimpfte auf. Elf Prozent befürworten ernsthaft die Todesstrafe für Schwule laut einer neuen Umfrage von Gorbi, dem Georgian Opinion Research Business International (sechs Prozent der Befragten in der Hauptstadt Tiflis, 16 Prozent auf dem Land). 19 Prozent der Georgier sind für Gefängnisstrafe und satte 69 Prozent halten bei Homosexualität eine gesetzlich vorgeschriebene psychologische Beratung für gut. Denn wie sagte Patriarch Ilia II., das Oberhaupt der georgischen Kirche, doch noch vor dem weltweiten Tag gegen die Homophobie in diesem Jahr: Homosexualität ist eine "Anomalie und Krankheit".
Ilias Erklärung nahmen im Frühjahr einige Tausend Georgier – ein paar Popen inklusive – als Freibrief für den Angriff auf LGBTs auf dem Rustaveli Boulevard in Tiflis. Mindestens 28 Demonstranten wurden verletzt. Die Polizei rettet einige Demonstranten und fuhr sie mit Bussen weg, tat aber wenig, um die pogromartige Hatz auf Homosexuelle in den Seitenstraßen zu stoppen.
Der 17. Mai 2013 war eine der wenigen Fehlleistungen im Bereich der Bürgerrechte, die Nino Tsagareischwili, Ko-Direktorin des Human Rights Center in Tiflis, nach dem ersten Regierungsjahr der Partei "Georgischer Traum" sieht. Es hätte am Tag der LGBT-Demonstration erheblich mehr Polizei ins Zentrum von Tiflis verlegt werden müssen, sagt sie. Die Beamten öffneten unter dem Ansturm der Homophoben die Absperrgitter und machten damit Angriffe auf die Demonstranten möglich. "Das hat mit der Nicht-Akzeptanz von LGBTs in der traditionellen Kultur Georgiens zu tun", erklärt Nino Tsagareischwili, "aber Gesetz ist Gesetz. Schwule und Lesben haben ein Recht auf freie Rede und Versammlung".
foto: ap photo/misha japaridze
Thomas Hammarberg, EU-Berater
der georgischen Regierung für Verfassungsfragen |
"Trials against the suspected homophobia activists should be accompanied by attempts to explain to the wider public the need for a more respectful attitude towards sexual minorities. It should be made clear that while views may differ, violence is never acceptable."
Gegen vier Personen wurde nach den Angriffen am 17. Mai zumindest ein Verfahren eröffnet. Die Schwulen-Demonstration vor der Schule Nr. 51 am Rustaveli Boulevard sei eine „Propaganda der Perversion vor Kindern“ gewesen, erklärten dagegen die Unterstützer des öffentlichen Briefs an Hammarberg. Der Brief wurde unter anderem vom Dichter Rezo Amashukeli unterzeichnet, dem Filmemacher und früheren Saakaschwili-Minister Goga Khaindrava und dem Schachspieler Nona Gaprindaschwili.
Der Feldzug gegen Homosexuelle hat natürlich auch Eingang in den Wahlkampf für die Präsidentenwahlen am Sonntag gefunden. Giorgi Targamadse, Kandidat und Führer der Christdemokraten, einer kleinen zeitweiligen Oppositionspartei im georgischen Parlament in den letzten Jahren der Saakaschwili-Regierung, schlug einen Zusatz in der georgischen Verfassung vor, der festschreibt, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau eingegangen werden kann. Giorgi Margwelaschwili, der Kandidat der nun regierenden "Träumer" und Favorit der Wahlen, ging auf diese Forderung während einer TV-Debatte nicht ein. Es sei sowieso für jeden klar, was eine Ehe und eine Familie seien, sagte er – eine Institution von Mann und Frau, in der Kinder aufwachsen. "Diejenigen, die das nicht verstehen, sollen die Frage nur weiter studieren", meinte Margwelaschwili ironisch.
Die Meinungsforscher von Gorbi haben in ihrer jüngsten Quartalstudie auch das Verhältnis der Georgier zu ihrer orthodoxen Kirche beleuchtet: 68 Prozent sind der Meinung, dass Politiker, die nicht an Gott glauben, ungeeignet für öffentliche Ämter sind; 61 Prozent hielten es für sinnvoll, dass die georgische Kirche offizielle Vertreter in der Regierung und im Parlament hätte.
"Was wir jetzt sehen, ist das Aufkommen einer post-sowjetischen Ideologie“, räsonnierte dieser Tage ein junger Georgier in einer Kneipe in Tiflis: "Die Kirche hat die Kommunisten ersetzt und verhält sich so autoritär, wie die Roten gewesen sind."
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