Friday, October 18, 2013

INTERVIEW: Georgien: EU-Kurs trotz verschärftem Druck aus Russland. EurActiv.de-Interview mit Außenministerin Maia Panjikidze (euractiv.de)

(euractiv.deWie Georgien dem verschärften Druck aus Russland standhalten will, wie trotz der gegenwärtigen Kohabitation Konsens über den europäischen Kurs herrscht und was es mit den geheimnisumwitterten hochtechnologischen amerikanischen Bio-Laboren an der russischen Grenze auf sich hat, schildert Georgiens Außenministerin Maia Panjikidze im Interview mit EurActiv.de.

Georgiens Außenministerin Maia Panjikidze mit Ministerpräsident Bidzina Ivanishvilis (li.) und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Foto: EC
EurActiv.de: Georgien hat sehr hohe Erwartungen in den EU-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius zum Thema Östliche Partnerschaft und Assoziierungsabkommen. Sind Sie in Berlin auf der Suche nach Verbündeten?

PANDJIKIDZE: Mit dem EU-Gipfel in Vilnius Ende November, bei dem es um die Östliche Partnerschaft geht, verbinden wir sehr große Hoffnungen, dass wir das Assoziierungsabkommen paraphieren werden, dass dieses Abkommen 2014 in Kraft treten kann und wir mit der Implementierung beginnen können. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es nicht so sein wird.

Die EU und die Östliche Partnerschaft haben übrigens ein zusätzliches Forum eingerichtet, das Civil Society Forum, ein neues Format für die Länder der Östlichen Partnerschaft. Bis jetzt wurde es stets in einem EU-Land durchgeführt, in Brüssel oder Berlin. Soeben fand es erstmals in einem Nicht-EU-Land statt, nämlich in Moldau. Ich komme soeben von dort. Das nächste Forum findet in Georgien statt. In Berlin bin ich, weil Deutschland einer der wichtigsten Partner für Georgien ist und wir regelmäßig Konsultationen mit unseren Partnern haben.

EurActiv.de: Warum kommen Sie ausgerechnet während der deutschen Koalitionsgespräche nach Deutschland?

PANDJIKIDZE: Wie gesagt, Deutschland ist einer der wichtigsten Partner für Georgien. Egal, wie die Koalitionsverhandlungen in Deutschland ausgehen, ich bin fest davon überzeugt, dass Berlin seine Einstellung in Bezug auf Georgien nicht ändern wird. Ich wurde von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) eingeladen, einen Vortrag zu halten und über die Situation in Georgien vor den Präsidentschaftswahlen zu sprechen. Ich bin aber auch aus einem zweiten Grund in Berlin, der hat mit dem Regierungswechsel in Berlin zu tun und mit meinem persönlichen Bedauern, dass Außenminister Guido Westerwelle geht. Ich schätze ihn sehr und habe mit ihm sehr gut zusammengearbeitet.

EurActiv.de: Im Fall Georgien scheint es ja mit dem Assoziierungsabkommen zu klappen. Hauptthema in Vilnius wird aber die Ukraine sein: Kommt es zum Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine oder nicht?

PANDJIKIDZE: In der Östlichen Partnerschaft sind sechs Länder. Davon werden in Vilnius voraussichtlich nur drei einen Schritt weiter machen. Die drei werden hoffentlich die Ukraine sein, Moldau und wir. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus und beschreiten den Weg mehr oder weniger gemeinsam. Daher ist eine Abstimmung sehr wichtig. Mit Moldau haben wir jetzt ein Abkommen unterschrieben, wonach wir unsere Ambitionen gemeinsam artikulieren, weil wir ziemlich gleichauf sind.

Ich hoffe sehr, dass diese drei Länder einen Schritt weiter machen werden.

Andere Länder haben eine andere Entscheidung getroffen. Es ist schwierig, immer dasselbe Niveau und den gleichen Rhythmus zu halten. Jedes Land hat seine eigenen Ambitionen. Was uns verbindet, ist der gemeinsame Raum, die osteuropäischen Nachbarn der EU zu sein – aber eben mit unterschiedlichen Ambitionen. Ich hoffe aber, dass sich die anderen Länder stärker für Europa engagieren und früher oder später unserem Beispiel folgen werden.

EurActiv.de: Zur Freude der Russen...

PANDJIKIDZE: Die Politik Russlands ist ganz klar und hat sich im September wieder sehr stark gezeigt: Russland ist nicht glücklich mit der Vorstellung, dass diese Länder einmal den Weg Richtung Europa intensiver gehen und eventuell sogar einmal Mitglied der EU werden. Deshalb hat Moskau als Balance zur EU die Zollunion und die Eurasische Union ins Leben gerufen.

Georgien erlebt jetzt eine besondere Zeit der politischen Kohabitation, aber wenn über etwas einen Konsens gibt, dann ist das der westliche Kurs des Landes, die europäische und euroatlantische Integration, weil das der Wille und die Wahl des georgischen Volkes ist und nicht der Wille und die Wahl nur einer Regierung. Unser Ziel ist des, das Assoziierungsabkommen in Vilnius zu paraphieren. Eines ist ganz klar: Der Teil des Assoziierungsabkommens, der das wichtigste ist – das Deep and Comprehensive Free Trade Area (DCFTA), also die Freihandelszone mit der EU – und die Zollunion sind nicht vereinbar.

EurActiv.de: Wurde und wird auf Georgien besonderer Druck ausgeübt?

PANDJIKIDZE: In Georgien ist der Druck nie aufgegeben worden. Wir hatten von Anfang an Druck, seit der Unabhängigkeit. Zwanzig Prozent des Landes ist zur Zeit von Russland okkupiert. Jetzt wurde der Druck dadurch verschärft, dass Stacheldrahtzäune entlang der Okkupationslinie installiert werden. Das ist Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität Georgiens, des Waffenstillstandsabkommens vom 12. August 2012 und der Menschenrechte. Das einzige Mittel gegen die illegalen Aktivitäten Russlands ist aus unserer Sicht die Konsolidierung der internationalen Unterstützung und ihr Appell an Russland, die illegalen Aktivitäten einzustellen und internationale Verpflichtungen zu erfüllen. Wir sind der NATO, der EU, den USA und anderen Ländern für die Unterstützung sehr dankbar.

Für Georgien kommt es gar nicht in Frage, die Richtung zu ändern. Wir gehen Richtung Europa. Deshalb verbinden wir mit Vilnius ganz starke Hoffnungen. Wir hoffen sehr, dass die Europäische Union das genauso sieht und das Abkommen zustande kommt und wir mit der Implementierung anfangen und alles weiterentwickeln können.

EurActiv.de: Russlands Außenminister Lawrow warf jüngst der EU doppelte Standards vor und war sicher, dass Südossetien und Abchasien künftig von mehr als nur fünf Ländern weltweit anerkannt werden würde. Das klingt nicht nach Annäherung.

PANDJIKIDZE: Es ist leider so, dass Russland seine Linie noch beibehält. In einigen problematischen Bereichen konnten wir die Beziehungen verbessern, in einigen Wirtschafts- und Handelsfragen, in der Kultur und auch in humanitären Fragen. Das ist aber nur die eine Seite der Beziehungen. Auf der anderen Seite geht es um die "roten Linien". Die sind gleich geblieben – für beide Seiten. Für uns bleibt die rote Linie die territoriale Integrität und Souveränität des Landes. Für Russland ist es anders rum. Für Russland sind das drei Länder auf dem Territorium von Georgien.

Für uns ist es die Nicht-Anerkennungs-Politik gegenüber den okkupierten Gebieten, für Russland ist es umgekehrt die Bemühung, mehr Anerkennung in der Welt für die besetzten Gebiete zu erzwingen.

Übrigens, es sind nur noch vier Länder, die die Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien anerkannt haben, nämlich Venezuela und Nikaragua und zwei Inselstaaten, Tuvalu und Nauru. Ein drittes Land im Pazifik, die Inselrepublik Vanuatu, das anfangs nur die Unabhängigkeit von Abchasien anerkannt hatte, hat die Anerkennung wieder zurückgenommen. Vanuatu hat mit uns jetzt sogar diplomatische Beziehungen aufgenommen. So eine Änderung ist auch in den verbleibenden vier Ländern möglich.

Übrigens ist bei diesem Thema die Unterstützung der EU und der USA, aber auch von anderen Partnerländern sehr groß.

EurActiv.de: Von der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Russland sind Sie noch weit entfernt?

PANDJIKIDZE: Diplomatische Beziehungen werden nicht möglich sein, solange die zwei Gebiete okkupiert sind.

EurActiv.de: Russland zeigt sich besorgt über "biologische Aktivitäten" in Georgien nahe der russischen Grenze und meint damit ein Bio-Labor der Amerikaner in Ihrem Land. Was machen die Amerikaner?

PANDJIKIDZE: Die Amerikaner haben das hochtechnologische Labor vor einigen Jahren in Georgien gebaut. Wir sind sehr glücklich, dass wir das haben. Es ist kein Geheimlabor, in dem irgendwelche gefährlichen Untersuchungen gemacht werden. Wir haben übrigens russische Experten eingeladen, sich das anzuschauen, und haben sogar gemeinsame Projekte angeboten.

Nach der gereizten Reaktion der Russen haben wir das ganze diplomatische Corps eingeladen, um zu zeigen, dass es eine ganz normale wissenschaftliche Einrichtung ist, die dem Gesundheitsministerium untersteht und Fragen der Ernährungssicherheit und des Gesundheitswesens behandelt.

EurActiv.de: In den letzten Monaten haben die Amerikaner mit ihren Geheimdienstaktivitäten in Europa für Enttäuschungen gesorgt. Besteht nicht die Gefahr, dass da mehr dahintersteckt? PANDJIKIDZE: Nein, auf gar keinen Fall. Die Enttäuschung teile ich nicht. Für Georgien ist Amerika ein sehr wichtiger strategischer Partner. Wir können uns nicht beklagen. Und es ist ausgeschlossen, dass ohne Wissen der georgischen Behörden irgendetwas stattfindet, was gefährlich wäre. EurActiv.de: Also ist das nur russische Propaganda?

PANDJIKIDZE: Die georgischen Behörden haben die völlige Kontrolle über das, was in diesem Labor passiert. Da ist nichts Gefährliches für irgendjemanden dabei, weder für das Land selbst noch für die Umgebung. Da werden auch keine internationalen Projekte durchgeführt, in die andere Länder involviert wären. Das Labor ist nur für Georgien von Bedeutung.

Georgien bleibt strategischer Partner der USA. Uns verbindet sehr viel. Nichts kann dieser Beziehung schaden. Das wird auch so bleiben.

EurActiv.de: Georgien will ja einmal EU-Mitglied sein. Würden Sie das auch schaffen, selbst wenn Ihr Nachbarland Türkei nie beitreten würde?

PANDJIKIDZE: Ich wünsche auch der Türkei, dass sie der EU beitreten kann. Aber ich verbinde die EU-Beitrittsperspekitve Georgiens nicht mit der Perspektive anderer Länder. Es geht immer um individuelle Entscheidungen. Ich bin sicher, wenn Georgien die Kriterien erfüllt, kann nichts im Wege stehen, dass wir beitreten, ob das nun in zehn oder zwanzig Jahren sein wird. Wir werden alles tun, um dieses Ziel zu erreichen und diesen Traum von Georgien Wirklichkeit werden zu lassen.

Interview: Ewald König

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