Sunday, October 27, 2013

TAGESSCHAU: Wahl zur Nachfolge von Präsident Saakaschwili. Von Silvia Stöber (tagesschau.de)

(tagesschau.de) Alles ruhig - das wäre nicht Georgien

Nach Jahren der Unruhe scheint Georgien auf dem Weg in eine politische Normalität. Vor der heutigen Präsidentschaftswahl war die Stimmung gelassen. Doch es wäre nicht Georgien, wenn nicht doch politischer Tumult drohen würde.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Giorgi Margwelaschwili steht auf dem Balkon seines Büros im Hauptquartier der Partei "Georgischer Traum". Bei all dem Stress als Präsidentschaftskandidat genießt er hier zwischendurch einen Kaffee und eine Zigarette. Dabei bietet sich ihm ein weiter Blick auf die Altstadt der georgischen Hauptstadt Tiflis. Gegenüber steht der Präsidentenpalast, der mit Säulenportal und eiförmiger Glaskuppel entfernt dem Berliner Reichstagsgebäude ähnelt.

Kein Charisma, wenig bekannt

Geht es nach der letzten großen Umfrage von September, so hat Margwelaschwili bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag die besten Chancen, aus der ersten oder spätestens zweiten Wahlrunde als Sieger und künftiger Hausherr des Palastes gegenüber hervorzugehen. Zwar fehlt es dem 43-Jährigen, verglichen mit den bisherigen Präsidenten Michail Saakaschwili, an Charisma. Als Ex-Rektor eines politischen Instituts und Kurzzeit-Bildungsminister war er nicht einmal sehr bekannt. Auf die Frage nach seinen Zielen als Präsident sagt er: "Ich will für politische Stabilität im Land sorgen."

Machtfülle des Präsidenten wird beschnitten

Aber Margwelaschwili ist der Kandidat der Regierungskoalition "Georgischer Traum". Diese gewann vor einem Jahr die Parlamentswahl und schlug sich seitdem recht wacker, trotz Unerfahrenheit vieler ihrer Minister und Abgeordneter. Premierminister Bidsina Iwanischwili hielt als Neu-Politiker die sechs Parteien der Koalition zusammen. Auch bewahrheiteten sich bislang nicht jene Vorwürfe, der schwerreiche Geschäftsmann werde Georgien vom Pfad Richtung Westen und Demokratie abbringen.

Die Stimmung im Land ist recht entspannt. Es liegt nicht nur daran, dass keiner der aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten ein Hitzkopf ist. Auch wird der Präsident ab der neuen Amtszeit die Macht viel stärker mit Parlament und Premierminister teilen müssen. Die Verfassungsänderungen dazu hatte 2010 noch die Nationale Bewegung von Präsident Saakaschwili beschlossen. Er wird nach fast zehn Jahren im Amt ausziehen aus dem Präsidentenpalast, den er für sich erbauen lassen hatte.

Georgien scheint also auf dem Weg zu einem demokratischen Staat mit einem recht normalen politischen Leben, nach mehr als 20 Jahren mit Kriegen und Revolutionen. Doch es wäre eben nicht Georgien, wenn nicht doch politischer Tumult drohen würde.

Kampf zwischen Erz-Rivalen

Es beginnt damit, dass Margwelaschwili nicht in den Präsidentenpalast einziehen will. Er hält ihn für zu protzig. "Mir geht es nicht um meine eigenen Ambitionen. Ich will der georgischen Nation dienen", sagt er und will sich damit von Noch-Präsident Saakaschwili absetzen. Dieser hatte sich in den vergangenen Jahren seinen architektonischen Träumereien gewidmet, während die Bauern, die vielen Arbeitslosen und Alten in Armut leben. Premier kann Hass auf Präsidenten kaum verbergen.

Als Erbauer präsentiert sich Saakaschwili gern. Tatsächlich modernisierte er sein Land, aber mit zunehmend autoritärer Hand. So erlebte Georgien bereits vergangenes Jahr seinen Abhörskandal und Schlimmeres. In den überfüllten Gefängnissen wurden Häftlinge schwer misshandelt. Einige Mitstreiter Saakaschwilis, darunter der Ex-Innenminister, warten im Gefängnis auf ihre Prozesse.

Viele in Georgien können es kaum erwarten, dass Saakaschwili sein Amt verlässt. Am ungeduldigsten sind die "Traum"-Koalitionäre und Iwanischwili. Spricht der Premier den Namen des Präsidenten aus, kann er seinen Hass kaum verbergen. Beide Seiten nehmen sich nichts.

Saakaschwili will nicht weichen

Saakaschwili provoziert immer wieder mit Ankündigungen, er wolle in der Politik bleiben. Zumindest könnte er versuchen, bis Ende November Präsident zu bleiben. Dann würde er den zehnten Jahrestag "seiner" Rosenrevolution noch im Amt erleben. Und er könnte zum für Georgien sehr wichtigen EU-Nachbarschaftsgipfel nach Vilnius fahren. Das wäre möglich, wenn die Verkündung der Wahlergebnisse durch Anfechtungen verzögert wird oder wenn ein zweiter Wahlgang nötig wird.

Offensichtlich ist Iwanischwili mit seiner Geduld am Ende. Am Montag sprach er wieder einmal die Möglichkeit an, dass Saakaschwili vor Gericht landen könnte. Die Generalstaatsanwaltschaft geht "neuen Erkenntnissen" in Fällen nach, die das Land seit Jahren beschäftigen. Außerdem kündigte Iwanischwili an, sein Kandidat Margwelaschwili werde keine zweite Runde bei der Präsidentschaftswahl mitmachen. Margwelaschwili schloss sich an, offensichtlich auch, um die Wähler unter Druck zu setzen.

Schwulenfeindlich gefärbte Äußerungen von Burdschanadse

Offen ließen sie, ob die "Traum"-Koalition dann dem Kandidaten von Saakaschwilis Nationaler Bewegung, David Bakradze, das Feld überlassen will. Oder gar Nino Burdschanadse, für die die vielen Unentschlossenen stimmen könnten. Die 49-Jährige ist ein weiteres Mal aus der politischen Versenkung auferstanden. Einst enge Mitstreiterin Saakaschwilis und glühende Verfechterin der europäischen Demokratie, geht sie jetzt auf Stimmenfang mit Forderungen nach Saakaschwilis Festnahme und schwulenfeindlich gefärbten Äußerungen. Hält der "Georgische Traum"?

Abgesehen von der Unsicherheit über den Ausgang der Wahl sorgt Premier Iwanischwili für weitere Unklarheit. Spätestens wenn Saakaschwili den Präsidentenpalast verlassen hat, will der zunehmend überforderte Iwanischwili seinen Posten aufgeben. Das hatte er zwar schon vor bald einem Jahr angekündigt. Aber noch ist unklar, wer künftig an seiner Stelle die Koalition zusammenhalten soll und ob das mit sechs liberal bis erzkonservativen Parteien überhaupt gelingen kann.

Will "Traum"-Kandidat Margwelaschwili sein Ziel einhalten, politische Stabilität im Land zu schaffen, muss seine Koalition zunächst selbst Klarheit schaffen. Vielleicht erweist sie sich am Ende aber doch als stabil. Vor einem Jahr waren die Zweifel groß, dass der "Georgische Traum" überhaupt bis zu diesem Herbst durchhalten würde.

Stand: 27.10.2013 05:43 Uhr

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