Saturday, October 19, 2013

PODCAST: Alles Homo erectus? Von Michael Stang (dradio.de)

Unterkiefers eines Steinzeitmenschen, der im Sommer 1991 in Dmanisi, Südgeorgien, gefunden wurde. (Bild: AP Archiv)
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(dradio.de) Schädelfund aus Dmanisi gibt neue Hinweise auf die Frühzeit der Gattung Homo.
Von Michael Stang

Paläoanthropologie. - Als 1991 in Georgien die ersten Frühmenschenfossilien mit einem Alter von 1,8 Millionen Jahren entdeckt wurden, war klar, dass Menschen der Gattung Homo den afrikanischen Kontinent schon viel früher als gedacht verlassen hatten. Ein weiterer, erstmals vollständiger Schädel, wurde jetzt in "Science" vorgestellt und kontrovers beurteilt.

Die frühmenschlichen Fossilien aus der georgischen Ruinenstadt Dmanisi sind die ältesten Nachweise von Menschen außerhalb Afrikas. Vier Schädel nebst Skelettmaterial wurden dort, etwa 80 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, bislang entdeckt. Alle Funde wurden auf ein Alter von 1,8 Millionen Jahren datiert. Doch nun stellt ein weiterer Schädelfund alle bisherigen Entdeckungen in den Schatten, so David Lordkipanidze, Direktor des Georgischen Nationalmuseums in Tiflis.

"Diesen Schädel haben wir bereits im Jahr 2005 entdeckt. Er gehört zum selben Individuum, dessen Kiefer wir fünf Jahre zuvor entdeckt hatten. Aber die Analysen haben uns nunmehr acht Jahre Arbeit gekostet."

Das Hirnvolumen ist mit 546 Kubikzentimetern überraschend gering; das ist gerade einmal ein Drittel im Vergleich zu heute lebenden Menschen. Trotz des kleinen Gehirns weist der Schädel ein langes Gesicht auf, besitzt massive Kiefer und lange, große Zähne. Diese seltsame Kombination an anatomischen Merkmalen hätten sie nie zuvor in einem Individuum bei einem frühen Vertreter der Gattung Homo gesehen. Aber um welche Menschenart handelt es sich nun bei dem neuen Fund? Auch wenn Schädel Nr. 5 ein wenig anders aussieht als die ersten vier, so stammen sie alle aus derselben Fundschicht, haben also vermutlich zur selben Zeit gelebt und gehörten alle zu einer Gruppe. Bei der Interpretation gibt sich der Leiter der Studie, David Lordkipanidze, zurückhaltend.

"Ich denke, dass wir nach diesen Funden in Dmanisi vorsichtig damit sein müssen, was wir unter den Begriffen Homo erectus und Homo habilis verstehen. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir hier über biologische Prozesse sprechen. Aber dieser frühe Vertreter unserer Gattung Homo - sei es nun erectus oder habilis - hat auf jeden Fall Afrika früher verlassen als wir zuvor gedacht hatten. Und bei diesem Fund handelt es sich eben nicht um einen klassischen Vertreter von Homo erectus."

Und diese Interpretation überrascht, denn der georgische Forscher ging noch vor wenigen Jahren davon aus, in Dmanisi den Vertreter einer eigenen Menschenart, einen Homo georgicus, entdeckt zu haben. Jetzt macht er eine Kehrtwende: Die Funde aus Dmanisi gehören für ihn zu einer frühen Form der Gattung Homo, wobei es für Lordkipanidze keine Rolle spielt, ob man die Funde als Homo erectus oder Homo habilis bezeichnet. Unabhängig von der Unsicherheit dieser Einordnung gebe gerade der neue Schädelfund völlig neue Einblicke in die Frühzeit unserer Gattung Homo, sagt auch Chris Stringer vom Naturhistorischen Museum in London, der einer der weltweit führenden Experten der Paläoanthropologie und Begründer der Out-of-Africa-Theorie ist.

"Ich denke, dass es ein sehr wichtiger Fund ist, schließlich ist es der am besten erhaltene Schädel samt Unterkiefer, den wir aus dieser Zeit kennen. Und er zeigt auch, wie groß die anatomische Bandbreite der Funde in Dmanisi ist."

Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten der Interpretation zwischen dem britischen Paläoanthropologen Stringer und dem georgischen Studienautor Lordkipanidze. Denn in der Veröffentlichung werden nun alle frühen Funde der Gattung Homo aus Europa, Asien und Afrika zu einer Art summiert. Und dass, obwohl vor rund zwei Millionen Jahren in Afrika teils mehrere Menschenvertreter parallel lebten: Homo rudolfensis, Homo habilis und Homo erectus, hinzu kommen noch einige andere Spezies, deren Einteilung in den menschlichen Stammbaum noch nicht ganz geklärt ist. Jetzt sollen der neuen These zufolge alle diese alten Funde als eine biologische Form betrachtet werden. Diese Einteilung kann Chris Stringer nicht nachvollziehen.

"Ich denke, dass man zurecht sagen kann, dass einige der afrikanischen Funde, die als Homo habilis oder afrikanischer Homo erectus bezeichnet werden, innerhalb der anatomischen Bandbreite der Dmanisi-Funde liegen. Aber ich wäre sehr vorsichtig damit, gleich alles in einen Topf zu werfen. Schließlich kennen wir einige Funde, die definitiv nicht in dieses Muster passen. Vermutlich gibt es eben doch mehr als eine Linie, von daher bin ich skeptisch, wenn man die Lösung des Problems darin sieht, alle Fossilien als Variante von Homo erectus zu bezeichnen. Das wäre meiner Meinung nach doch zu einfach."

Aber, und hier schränkt Chris Stringer ein, weisen die Studienautoren zurecht darauf hin, dass es vergleichbare, gut erhaltene Schädelfunde aus Afrika aus dieser Zeit bislang nicht gibt, um diese Frage zu klären. Bleibt trotz neuer Funde wieder nur die Hoffnung auf weitere und bessere Fossilien, um zu klären, ob der Stammbaum der Menschheit tatsächlich stark verästelt war oder ob er nur wenige Seitenzweige hatte und es eine frühmenschliche Artenvielfalt überhaupt nicht gegeben hat.

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