Monday, April 07, 2008

REPORTAGE (22): Mehr als good will?

Text und Photos von Patricia Scherer

Protest! Ich sitze an Dianas Geburtstagstisch, während über den Bildschirm die ersten Bilder der Demonstrationen über den Fernsehschirm flimmern. Diana und ihre Schwiegermutter haben mit viel Liebe georgische Köstlichkeiten zubereiten. Es könnte das letzte Mal sein, dass ich Hatschapuri, wildes Basilikum, Kompotti und mit Walnüssen gefüllte Auberginen essen werde - zumindest vorläufig. Meine Tage in Tbilissi sind gezählt und innerlich bin ich schon dabei abzureisen, mit wenig Hoffnung im Gepäck, dass sich noch irgendetwas regt oder wirklich verändert - etwas, was über der Resignation steht.

Und doch, jetzt plötzlich bleiben mir die Bissen im Hals stecken; ich schmecke gar nicht, was ich esse. Euphorie steigt in mir hoch, ich kann es kaum fassen: Sie gehen auf die Straße, die Georgier. Endlich. Endlich wieder. Dianas Geburtstag tritt plötzlich völlig in den Hintergrund, weil Menschenmengen vor dem Parlament spontan protestieren.

Meine Freundin ist Filmwissenschaftlerin und Professorin. Sie hat zu ihrem Geburtstag nur kluge Frauen eingeladen, Frauen aus der Tbilisser Elite, Frauen, die mehrere Sprachen sprechen und im Ausland studiert haben. Nein, sagen sie, es sei egal, ob man für oder gegen den sicherlich korrupten Ex-Verteidigungsminister Okruaschwili sei, es gehe hier um die Rechtsstaatlichkeit, um die Demokratie. Man könne nicht zulassen, dass sie so sehr getreten und zurecht gebogen werden.

Hier sitzen wir nun: fünf Frauen unterschiedlichen Alters an einem dieser Tage, an dem man fühlt, dass es Herbst wird. Hier, in einer Wohnung im Hinterhof von einem dieser typischen alten, georgischen Stadthäuser mit verzierten Ballustraden aus blaugestrichenem Holz, und plötzlich geht es darum die Demokratie zu verteidigen. Ist das wahr? Kann das wirklich sein?


Drei Monate lang habe ich mit Gott und der Welt gesprochen: mit den Großen und Mächtigen und mit den kleinen Leuten. Frustration und Resignation waren der allgemeine Tenor. Die einen hielten es nicht für nötig etwas zu unternehmen, die anderen glaubten nicht an ihre Macht und ihre Rechte als Demos, als Volk. In diesem Moment erkenne ich, dass auch ein resigniertes Volk Grenzen kennt, und dass es Grenzüberschreitungen gibt, die das Fass zum Überlaufen bringen können. Plötzlich bäumt es sich auf, und brüllt mit aller Gewalt aus längst versiegt geglaubter Kraft: Nein! So nicht! Nicht mit uns!


Es ist der 28. September 2007 und sicherlich stehen fünftausend Menschen auf dem Rustaweli Prospekt vorm Parlamentsgebäude. In diesem Moment ist mir egal, ob sie "Weg mit Saakashwili!" rufen, so wie sie "Weg mit Schewardnadse!" oder "Weg mit Gamsachurdia!" gerufen haben - Hauptsache sie rufen. Mir war die Lethargie der letzten Monate unerträglich, ja sie hat meinen Zorn geschürt; und meinen Glauben an die Macht des georgischen Volkes geschmälert. Doch da ist es: es steht auf der Straße und protestiert. Ich schaue Sandro an, Dianas Sohn. Auch er blickt gebannt auf den Fernseher und übersetzt die Kommentare für mich. Wenn wir jetzt sofort losgehen, schaffen wir es noch auf die Demonstration bevor sie vorbei ist, schlage ich ihm vor. Auch er ist aufgeregt und zögert nicht lange. Diana hat nächstes Jahr wieder Geburtstag, doch das hier könnte Geschichtsschreibung nach sich ziehen. Schnellen Schrittes laufen wir durch die Straßen der georgischen Hauptstadt.

Die Sommerhitze hat sich verabschiedet, es ist kühl, die Straßen menschenleer. Ich will noch kurz meine Kamera in der Barnovis Kutscha abholen, damit ich georgische Geschichte festhalten kann. Als wir den Rustaweli endlich erreichen, schlendern uns die Menschen schon entgegen. Es brodelt nicht mehr. Eigentlich ist es ein bisschen so, als wäre ein großes Volksfest gerade erst zu Ende gegangen. Meine Euphorie beginnt dem Zweifel zu weichen. Könnte es sein, dass es sich hier um fünftausend Schaulustige handelt? Die tatsächlichen Demonstranten werden mit dem mindestens genauso vielen Polizisten aufgewogen. Einige wenige debattieren noch vor dem Parlamentsgebäude. Es scheint wie eine Welle: Plötzlich kommen sie aus ihren Verstecken, aus ihren Hinterhöfen und Gässchen. Neugierig vielleicht, weil nach der stehenden Sommerhitze endlich etwas passiert. Und gerade am Höhepunkt der Welle, in dem Moment, wo sich Schaumkronen bilden, gehen sie wieder zurück in ihre kleinen Welten um das Tagewerk zu verrichten. Hier und da sitzt noch ein gelangweilter Kameramann herum, einer der die spektakulären Bilder, die in den nächsten Tagen um die Welt gehen werden, längst im Kasten hat. An den Bauarbeitern, die ungesichert in einem der oberen Stockwerke des ehemaligen Iveria Hotels stehen, scheint der Spuk spurlos vorbei gegangen zu sein. Mein Innerstes schreit jetzt: Nein! Das darf es nicht gewesen sein.



Eine halbe Stunde später sitzen Sandro und ich ein wenig abgekämpft im Innenhof des Goethe-Instituts auf einer Mauer. Der Nachmittag scheint surreal, fast wie eine Fatamorgana. Ich klicke etwas verstört durch die Fotos auf meiner Digitalkamera um mich zu versichern, dass er doch wirklich war. Natürlich: Über Proteste einen Regierungswechsel einzufordern hat letztendlich nur rudimentäre Züge von Demokratie. Die Proteste, die im Oktober und November folgen werden, zeigen zumindest den Unwillen des georgischen Volkes sich weiter abzugeben mit opportunistischem Machterhalt und Willkür. Hier lässt sich ein kollektives Unrechtsempfinden erahnen und irgendwie beruhigt mich das, auch wenn noch lange nicht alles gut ist oder sein wird.

Was mich viel mehr beunruhigt ist, dass meine Gespräche mit den ganzen Vertretern internationaler Organisationen darauf schließen lassen, dass hier noch nicht mal eine Vorahnung von dem, was nun geschieht, vorhanden war. Ich kann kaum glauben, dass die meisten dieser ausländischen Experten nicht wahrgenommen haben, wie sehr es hier unter der Oberfläche schwelt und dass sie nicht gewusst haben mit welch unberechenbarem und gefährlichem Mann sie es an der Regierungsspitze Georgiens zu tun haben. Vielleicht liegt es daran, dass das Gros dieser "Expats" kaum ein Wort Georgisch spricht und lieber im hypermodernen Supermarkt "Goodwill" einkauft als bei der Marktfrau an der Straßenecke. Sie sehen vielleicht keinen Sinn in der Bemühung sich mit denen, die Voraussetzung für Demokratie darstellen, auseinander zu setzen. Lieber fahren sie in Panzerglas-Limousinen als in der U-Bahn.

Eine Marschrutka: ich bin nicht sicher, ob so ein hohes Tier von den Vereinten Nationen weiß, was für eine Art Transportmittel das ist. Sicherlich, es mag ketzerisch sein: es wäre durchaus möglich, dass gerade die, die mit dem Auftrag hierher kommen, die Dinge zu verbessern, dazu beitragen eine korrupte und selbstgefällige Regierungselite zu erhalten. Mit ihren Einkäufen bei Goodwill und ihren Dinnerparties, auf denen sie unter sich bleiben, betreiben und fördern sie eine Parallelwelt - eine Welt, die wenig zu tun haben könnte mit der georgischen Realität und deren Hoffnung auf Stabilität: Eine Stabilität ohne autoritäre Züge, ein georgische Kosmos, in dem die Marktfrau an der Ecke wirklich entscheiden und wählen kann, wer ihre Interessen am Besten vertritt.

Photos by Patricia Scherer (Set)

Patricia Scherer in Georgia (Caucasus) (Set)

Teil (23): Reise ohne Widerkehr

Teil (21): Georgisch-orthodoxe Stalinismen

Following photoes are taken may be 2-3 months ago (more) and I have no Idea why I did not upload before

Hochgeladen am 7. April 2008 von http://georgien.blogspot.com/search/label/Gela%20Bedianashvili




1 comment:

Hans said...

Patricia in Höchstform !