Monday, February 19, 2007

MUSIK HEILT
Ruth Olshan, 1970 in Moskau geboren, 1971 nach Israel emigriert, lebt seit 1975 in Deutschland. Nach dem Studium der Film- und Theaterwissenschaft in Berlin hat sie Filmregie an der Kunsthochschule für Medien in Köln Regie studiert. „Wie Luft zum Atmen“ ist ihr erster Kinofilm.

Wie kamst Du auf das Thema des Films?
Ich bin in Moskau geboren. Meine Mutter war eine litauische Sängerin. In der Sowjetzeit waren die Gesänge und Tänze der Georgier eine der Exportperlen des Staates. Sie wurden in der ganzen UDSSR geliebt, und im Ausland machte man damit Geld. Daher ging meine Mutter oft mit den georgischen Sängern auf Tournee oder sang selbst in Georgien. Unter den wenigen Dingen, die wir in die Emigration nach Israel mitnehmen durften, war eine Platte des Sängers Hamlet Gonashvili, der bis heute eine Legende und Stimmwunder in Georgien ist. Wenn es mir als Kind nicht gut ging, wenn ich traurig war, sagte mir meine Mutter, ich solle georgische Musik hören. Sie heilt das Herz und die Seele. Wenn ich allerdings diese Musik meinen gleichaltrigen Freundinnen vorspielte, war ich allein mit meiner Verzückung. Damals wuchs in mir der Wunsch, diese Musik auch anderen Menschen zugänglich zu machen.

„Wie Luft zum Atmen“ fügt sich in die Welle der Spiel- und Dokumentarfilme, die derzeit Singen und Tanzen als Lebensbewältigungsdrama verhandeln, ob dokumentarisch oder fiktiv (z.B. „Wie im Himmel“; „Rhythm is it“). War Dir die thematische Nähe zu diesem ‚Trend’ bewusst?
Nein, überhaupt nicht. Ich achte nicht auf Trends. Filme zu machen ist anstrengend genug. Wenn man dann auch noch ‚Trends’ in Betracht ziehen müsste und sich danach orientieren wollte, wird es verwirrend. Ich habe diesen Film gemacht, weil für mich Musik Teil meiner Biographie ist. Lebensbewältigung erfolgte auch in meiner Familie mit Hilfe der Musik.

Wie präsent war die Gefahr, zwischen Folklore und Bergidyll in Kitsch abzudriften?
Es wird ja immer in sehr pointierten Einstellungen und Schwenks bewusst gegen das Bild von folkloristischer Idylle gesteuert ... Ehrlich gesagt, hatte ich diesen Gedanken nur kurz in den Bergen. Der Kameramann Marcus Winterbauer und ich haben einfach versucht, die Bilder,
die uns umgaben, einzufangen. Georgien ist und war berühmt für seine Naturschönheiten. Die Kriege haben bestimmte Gebiete unbegehbar gemacht, daher werden sie auch verklärt, ihre Schönheit gepriesen. Aber man sieht im Film ja auch die schreckliche Zerstörung dieser Schönheit, die unmenschliche, kaputte Architektur der UDSSR - Kommunismus pur.

Die Tonqualität der Gesangs-Aufnahmen, ob im kleinen Wohnzimmer oder auf der Bergwiese, sind außerordentlich gut. Sind alle Aufnahmen im O-Ton entstanden, oder gab es nachträgliche Einspielungen?
Es gibt eine einzige Einspielung: Der Männerchor, der im Kreis singt - das war ein Playback. Ansonsten sind alle Aufnahmen im O-Ton entstanden. Der Produzent Peter Kreutz und ich waren uns einig, dass dieser Film eine größere Aufmerksamkeit für den Ton braucht, als im Dokumentarfilm vielleicht üblich. Deshalb wurde für diesen Posten auch höher kalkuliert, und mit Paul Oberle haben wir einen erfahrenen Tonmann gefunden.

Gibt es Pläne für einen Soundtrack zum Film?
Ja, die gibt es, aber Einzelheiten sind noch nicht geklärt.

Seitdem Georgien autonom ist, geht es mit der Wirtschaft bergab. Das ehemals blühende Land droht in eine Depression zu verfallen. Doch die Bevölkerung bewahrt sich den Lebensmut durch ihre Musik.

INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER

„Die Menschen in Svanetien (Gebiet in Georgien/d. Red.) waren so glükklich über unseren Besuch. Wir waren dort das erste Filmteam seit 20 Jahren. Georgien gilt als gastfreundlich, aber dort wurden wir förmlich vor Gastfreundschaft verschlungen“. Ruth Olshan reist mit ihrem Filmteam nach Georgien und erkundet dort die Musik des Landes. Dabei trifft sie auf professionelle Musiker, Bands und Chöre. Sie findet aber auch junge Frauen, die in den Wohnungen der heruntergekommenen Plattenbauten mit Gesängen ihr von der wirtschaftlichen Depression des Landes getrübtes Leben aufheitern oder alte Männer, die auf der Wiese sitzen und genügsam die alten Lieder anstimmen. Zwischen wunderschönen Naturaufnahmen und der heruntergekommenen Architektur des Kommunismus findet Olshan den Lebensmut der Bevölkerung in der Musik.

CHRISTIAN MEYER
WIE LUFT ZUM ATMEN
Dokumentarfilm - Deutschland 2004 - Regie: Ruth Olshan - Buch: Ruth Olshan -
Kamera: Marcus Winterbauer - Verleih: Salzgeber

Quelle: http://media7.big7.net/choices/pdf/upload/printmedia/CH0078_0.pdf

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