Sunday, April 08, 2012

ARTIKEL: Aserbaidschan. Unsere Stars aus Baku. Von Fabian von Poser (faz.net)

(faz.net) Aserbaidschan veranstaltet Ende Mai den Eurovision Song Contest. Die Musik spielt hier schon lange. Und Musik ist in Aserbaidschan immer auch Politik.

Nouruz-Fest in Baku
Baku tanzt, und das nicht erst seit bekannt wurde, dass der Eurovison Song Contest im Mai zu Gast sein wird

Der Direktor der Philharmonie ist unruhig. Er zupft an seiner Jacke, zieht die Hände aus den Taschen, steckt sie wieder hinein. Dann dreht er eine Runde zwischen den Sitzreihen und kehrt zurück. „Du kommst aus Deutschland, und wir bieten dir nichts als dieses Trauerkonzert?“ 
 
Afet Mikayilow steht auf der mit Stuck verzierten Balustrade der Philharmonie in Baku. Durch die Türen weht ein eisiger Wind. Es ist kalt an diesem Tag, der im grauen Monat liegt, wie die Bakuer den Februar nennen; im Konzerthaus haben sie nicht einmal die Heizung angeschaltet, an diesem Tag, an dem es in der ganzen Stadt nur ein einziges Konzert gibt. Das ganze Orchester ist in Schwarz gekleidet. Die Musik, die sie spielen, ist getragen. Nach den Liedern gibt es keinen schallenden Applaus, keine Standing-Ovations, nur verhaltenes Klatschen. 

Kaum Musik, kein Tanz, nicht einmal Karaoke 

Am Trauertag Chodschali ist alles anders in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans: kaum Musik, kein Tanz, nicht einmal Karaoke. Die Aserbaidschaner gedenken der mehr als 600 Landsleute, die bei einem Massaker im Jahre 1992 während des armenisch-aserbaidschanischen Krieges im Dorf Chodschali in Nagornyi Karabach getötet wurden. Die Clubs, in denen sonst bis in die frühen Morgenstunden die Bässe wummern, sind still. Vor den Türen bilden sich keine Menschentrauben, die Bühnen bleiben leer. „We open tomorrow“, steht an einer Karaoke-Bar in der Altstadt - wir machen morgen wieder auf. Ein ungewöhnliches Bild für Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans, die Musikmetropole am Kaspischen Meer. 

Es ist viel geschrieben worden über den totalitären Staat, der seit 1993 vom Alijew-Clan regiert wird, über mangelnde Pressefreiheit und Unterdrückung, aber selten über das blühende Kulturleben, selten über Baku als eine der Kulturhauptstädte der Welt. Siebzig Jahre lang fristete die Musikkultur unter dem Joch der Sowjetunion ein bescheidenes Dasein, derzeit erlebt sie eine Renaissance. 

Wer durch Baku schlendert, der stößt an jeder Ecke auf Musik. Die Philharmonie, 1912 im Stil der italienischen Renaissance gebaut und 1936 zum Konzerthaus umfunktioniert, wird in diesem Jahr hundert Jahre alt. An der Hafenpromenade wurde vor vier Jahren das nach der traditionellen aserbaidschanischen Volksmusik benannte International Mugham Center eröffnet. Wie ein Raumschiff erhebt es sich über die Gestade des Kaspischen Meeres. Dort finden die besten Konzerte der Volksmusik statt. Gespielt wird mit dem Zupfinstrument Tar, der Trommel Gaval und dem Streichinstrument Kamandscha. Hinzu kommen jede Menge Clubs: das Green Theatre unter freiem Himmel, in dem immer wieder türkische Ensembles gastieren, oder der Face Club, in dem sich gerne russische Hiphop-Bands und DJs zeigen. Im Sommer jagt ein Festival das nächste. Es gibt das Mstislav Rostropovich International Music Festival, das Baku Jazz Fest, das Space of Mugham und das Music Festival in der Ortschaft Gabala in den Höhen des Kaukasus. 
 
Dass Baku zur Musikmetropole wurde, sei kein Zufall, sagt Jahangir Selimkhanow, Musikwissenschaftler, Mitglied des Europäischen Kulturparlaments und Mitbegründer von Yeni Musiqi, der Gesellschaft für zeitgenössische Musik in Aserbaidschan. „Der Ölboom Ende des 19. Jahrhunderts zog viele Künstler aus der ganzen Welt an. Zuerst kam der Jazz nach Baku, später dann die klassische Musik.“ 

Den Musikern stehen alle Türen offen 

Schon früh mischte der Komponist Usejir Hadschibejow traditionelle Musik mit westlichem Kompositionsstil. 1908 wurde seine Oper „Leila und Madschnun“ uraufgeführt - es war die erste im islamischen Orient. Noch zur Sowjetzeit erlangten dann Künstler wie Fikret Amirow und Kara Karajew Weltruhm. Heute stehen Musikern aus Aserbaidschan alle Türen offen. Auch, weil die Studenten hier westliche und östliche Instrumente lernen. „Viele junge Musiker studieren in Deutschland, Österreich, Frankreich und auch in der Türkei“, sagt Selimkhanow. Namen, die in der Musikwelt bekannt sind, lauten: Faraj Karajew, Alim Gasymow und Aziza Mustafa Zadeh, eine junge Jazz-Pianistin, die in Deutschland lebt. 
 
Baku schmiegt sich wie ein Amphitheater um die Bucht am Kaspischen Meer. In der Altstadt, seit dem Jahr 2000 Welterbe der Unesco, reihen sich Jugendstilfassaden aneinander, viele sind renoviert. An allen Ecken wird hastig geschweißt, gemauert, zementiert. Das Regime will der Welt zum Eurovision Song Contest eine strahlende Stadt zeigen. Auf den Boulevards rollen so viele Mercedes-Limousinen, dass man keine große Vorstellungskraft benötigt, um zu erkennen, wo die deutsche Automobilindustrie ihr Geld verdient. In Baku gibt es keine Bettler, keine Rosenverkäufer. Obwohl 85 Prozent der aserbaidschanischen Muslime Schiiten sind, sieht man kaum Kopftücher - die, die man sieht, sind von Prada und Armani. Überall entstehen neue Hotels wie das „Fairmont Hotel“ in einer der „three flames“, den drei verspiegelten Hochhaustürmen. Wie Haifischzähne ragen sie in den Himmel Kaukasiens. Seit 2006 fließt Öl durch die Pipeline von Baku nach Ceyhan in der Türkei und spült jede Menge Devisen zurück. 

Baku gilt als eine der teuersten Städte der Welt, doch hinter den glänzenden Fassaden gibt es eine Realwelt - und Menschen, die nicht vom Boom profitieren. Die Schattenseiten sind kaum zu übersehen, je näher man der Crystal Hall kommt, in der sich am 26.Mai 25000 Menschen für den Eurovision Song Contest versammeln werden. Der gesamte Stadtteil Bajil soll abgerissen, Tausende zwangsumgesiedelt werden. Das bringt viele Bakuer in Rage. 

Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben sich deshalb zum Bündnis „Sing for Democracy“ zusammengeschlossen und laden zu einem alternativen Song Contest mit Liedern über Demokratie und Freiheit. Einige Tage vor dem Grand Prix soll der Wettbewerb stattfinden. „Wir erhoffen uns davon, dass die Welt aufmerksam darauf wird, was bei uns passiert“, sagt einer der Organisatoren. Musik ist in Aserbaidschan auch Politik. 

„Jetzt wissen die Leute: Es gibt Öl und Eurovision“ 

Die schönste Stunde des Tages in Baku ist die, in der die Altstadt wie ein riesiger Juwelierladen beleuchtet wird und im letzten Tageslicht funkelt. Wie Strasssteine flackern die Lichter von Bars wie dem „Chinar“ oder der „Azza Bar“ im 17. Stock. Nur einen Steinwurf entfernt, in einer alten Karawanserei, spielt eine Mugham-Band. Seit 2003 gehört die traditionelle Musik zum Weltkulturerbe der Unesco. Leid, Freude, Liebe, Entsagung schmettern die Musiker ins Rund. 

Für viele in Baku hat der Eurovision Song Contest etwas Gutes: „Alle kennen Georgien und Armenien, aber kaum einer kennt Aserbaidschan“, sagt Afet Mikayilow, der Direktor der Philharmonie. „Bislang wussten die Leute nur, dass es hier Öl gibt. Jetzt wissen sie: Es gibt Öl und Eurovision.“

Quelle: www.faz.net

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