Oppositionsführer Ali Karimli: "Der Welt zeigen, dass wir einen Wechsel wollen." |
Oppositionelle leben gefährlich in Aserbaidschan: Ali Karimli
von der Volksfront-Partei sitzt ohne Pass in Baku fest, er wird
überwacht. Dennoch arbeitet er an einer sanften Revolution. Im Interview
sagt er, was ihm Hoffnung macht - und was er von einem Boykott des
Eurovision Song Contest hält.
Ein Café im aufgemotzten Zentrum von Baku. Wenn Ende Mai Tausende Musikfans zum Finale des Eurovision Song Contest
anreisen, werden sie historisierende Fassaden bestaunen können, sie
werden über kunstvoll gestaltetes Pflaster schreiten und
Haute-Couture-Läden bevölkern, die heute noch menschenleer sind.
Im Café wartet Ali Karimli, Vorsitzender der aserbaidschanischen
Volksfront-Partei. Seit 18 Jahren kämpft der Politiker für mehr
Demokratie und Reformen im Land. Unter Albufas Elchibei, dem ersten
gewählten Präsidenten nach dem Ende der Sowjetunion,
war er Staatssekretär. Heute sitzt Karimli ohne Reisepass und
Parteibüro in Baku fest und wird auf Schritt und Tritt verfolgt. Dennoch
glaubt er fest an das Ende des Regimes.
SPIEGEL ONLINE: Aserbaidschan ächzt unter dem autoritären und korrupten System von Ilham Alijew, der das Präsidentenamt sozusagen von seinem Vater geerbt hat. Gibt es Hoffnung auf einen politischen Frühling in Baku?
Karimli: Die Regierung Alijew hat alles getan, um den jungen
Leuten die Politik auszutreiben. Sie erleben überall nur Begrenzung: Sie
können sich nicht frei bewegen, ihre Meinung sagen oder sich in
unabhängigen Medien informieren. Das einzige, das ihnen als
erstrebenswert vorgegaukelt wird, ist eine Karriere im Sport oder im
Showbusiness. Aber die Zeit arbeitet für uns.
SPIEGEL ONLINE: Genau wie die jungen Regimekritiker, die
derzeit für ihre Überzeugung demonstrieren, ins Gefängnis gehen oder
sich von der Polizei verprügeln lassen.
Karimli: Ja, das Internet und die sozialen Netzwerke haben das
Informationsmonopol der Regierung empfindlich gestört. Deshalb gibt es
diese jungen und gebildeten Aktivisten, die genau verfolgen, was im Land
vor sich geht und für die Demokratie auf die Straße gehen. Die Zahl der
Polit-Blogger steigt täglich, es gibt immer mehr ernstzunehmende
eigenständige Jugendorganisationen, die sich engagieren.
SPIEGEL ONLINE: Wird es in Aserbaidschan eine Revolution nach arabischem Vorbild geben?
Karimli: Wir sind nicht Ägypten oder Syrien.
Aber die Menschen haben erkannt, dass Widerstand möglich ist, dass man
ein autoritäres Regime besiegen kann. Das ist eine unglaublich wichtige
Erkenntnis. Von 1918 bis zur Eroberung durch die Bolschewiki 1920 war
Aserbaidschan eine demokratische und pro-westliche Republik. Wir haben
Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre lang und verlustreich für
die Unabhängigkeit von der Sowjetunion gekämpft. Es mangelt uns also
nicht an Erfahrung. Aber letztlich gilt: Wir können eine Revolution
nicht organisieren. Sie geht vom Volk aus.
SPIEGEL ONLINE: Könnte ein Umschwung ohne Blutvergießen ablaufen?
Karimli: Ich glaube, dass die Regierung klug genug ist, nicht
mit Gewalt gegen das eigene Volk vorzugehen. Alijew kann nicht
gleichzeitig östlicher Tyrann und moderner Europäer sein, das sollte er
wissen. Aserbaidschan ist im EU-Rat, wir hoffen langfristig auf eine
Integration in die Europäische Union.
Deshalb kann es nur einen gewaltfreien Weg geben. Wir wollen unser Land
verändern, aber wir wollen es auf eine zivilisierte Weise tun.
SPIEGEL ONLINE: In welchem Zustand ist die Opposition in Aserbaidschan?
Karimli: Wir werden von allen Seiten unter Druck gesetzt. Die
Behörden haben mir meinen Pass weggenommen, ich darf das Land nicht
verlassen. Vor Jahren stürmten Spezialeinsatzkräfte das Parteibüro der
Volksfront und warfen uns hinaus. Seitdem haben wir kein Hauptquartier
mehr. Wer sich bereit erklärt, uns Räume zu vermieten, wird noch am
selben Tag festgenommen. Wir haben keinen Zugang zum Fernsehen, dürfen
nirgendwo auftreten und keine öffentlichen Versammlungen abhalten.
SPIEGEL ONLINE: Klingt desolat. Sind sie müde?
Karimli: Nein, im Gegenteil. Wir erleben gerade ein
Zusammenfließen der Kräfte. Gestandene Idealisten und Polit-Profis
treffen auf junge Pragmatiker. Wir sind in der Lage, Wahlen zu gewinnen,
Mitstreiter in großer Menge zusammenzubringen und Demonstrationen zu
organisieren. Ab dem 8. April wird es eine neue Welle von Meetings
geben. Das Zentrum wird uns dafür verwehrt bleiben, aber wir tun das
auch 20 oder 30 Kilometer vor der Stadt - ein Kompromiss, den wir in
Kauf nehmen. Wir müssen der Welt zeigen, dass wir einen Wechsel wollen.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch tun Sie sich schwer, die oppositionellen Kräfte zu bündeln.
Karimli: Wir haben ein breitgefächertes Bündnis gebildet aus
Volksfront und der national-demokratischen Partei Musawat, kleineren
Parteien, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und der
Intelligenz. Es sollen so viele Reformer wie möglich zusammenkommen. Die
Volksfront selbst ist eine Massenpartei, wir können auf Zehntausende
Unterstützer im ganzen Land zählen.
SPIEGEL ONLINE: Obwohl ihnen Repressionen drohen?
Karimli: Ja. Seit der Alijew-Clan herrscht, wurden mindestens
1000 Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung verhaftet. Allein aus
unserer Partei sind noch immer acht Leute in Haft. Vor wenigen Tagen
wurde mein Schwager Elnur Sejidow, Aufsichtsrat-Mitglied der
Technika-Bank, wegen angeblicher Unterschlagung zu drei Monaten Haft
verurteilt. Ohne Beweise, einfach weil er mit mir verwandt ist.
SPIEGEL ONLINE: Sollte Deutschland den Eurovision Song Contest angesichts dieser Zustände boykottieren?
Karimli: Auf keinen Fall. Je mehr Menschen nach Aserbaidschan kommen und mit eigenen Augen sehen, was hier vor sich geht, desto besser.
Vor der Tür hat ein bulliger Mann in hellbrauner Lederjacke
Stellung bezogen. Am Nebentisch sitzt ein Paar in inniger Umarmung, und
lauscht aufmerksam jedem Wort der Unterhaltung. Karimli quittiert die
offensichtliche Überwachung mit einer wegwischenden Handbewegung.
SPIEGEL ONLINE: Immer wieder kam es bei Wahlen in
Aserbaidschan zu schweren Verstößen. Werden Sie trotzdem bei den
Präsidentschaftswahlen 2013 kandidieren?
Karimli: Wir werden sehen.
SPIEGEL ONLINE: Wie würden Sie gegen Korruption und Vetternwirtschaft im Land vorgehen?
Karimli: Das ist eine gigantische Aufgabe: Bei uns sind nicht
nur der Zoll oder die Steuerbehörde zu 100 Prozent korrupt. Auch im
Gesundheits- und Bildungswesen, die beide komplett daniederliegen,
werden Bestechungsgelder gezahlt. Unsere Wirtschaft nennt sich liberal,
aber das ist ein Witz. Es gibt keinen freien Wettbewerb, weil nicht
jeder teilnehmen kann. Die Oligarchen der Alijew-Familie bilden den
innersten Kern des Systems. Deshalb setzt ein Wandel kardinale
Umwälzungen voraus.
SPIEGEL ONLINE: Was würden Sie konkret unternehmen?
Karimli: Das gesamte Personal in maßgeblichen Positionen muss
ausgewechselt und durch glaubwürdige Kandidaten ersetzt werden. Die
Monopole müssen aufgebrochen, die Wirtschaft nach innen und außen
geöffnet und endlich diversifiziert werden. Wir müssen eine unabhängige
Justiz und freie Medien zulassen, freie Wahlen garantieren. Ein
Anti-Korruptionsprogramm soll für Transparenz sorgen, vor allem bei den
öffentlichen Ausschreibungen.
SPIEGEL ONLINE: Präsident Alijew soll seinem Waffenlieferanten
Israel Zugang zum aserbaidschanischen Luftwaffenstützpunkt Sitalcay
verschafft haben. Damit würde ein Angriff auf Iran aus logistischer und strategischer Sicht einfacher. Glauben Sie, dass Alijew die geschätzt 15 Millionen in Iran lebenden Aserbaidschaner mutwillig gefährden würde?
Karimli: Ich weiß nur, dass entsprechende Berichte von den
aserbaidschanischen Behörden offiziell zurückgewiesen wurden. Unser Volk
reagiert sehr empfindlich auf die geopolitischen Entwicklungen in der
Region. Nicht nur, weil wir Irans Nachbarn sind und seit Jahrhunderten
enge Beziehungen pflegen, sondern weil ein großer Teil der Bevölkerung
aserbaidschanische Wurzeln hat. Deshalb wollen die Bürger unseres Landes
auf keinen Fall eine militärische Lösung, sondern eine diplomatische.
Ich bin der Meinung, dass wir uns um jeden Preis aus diesem Konflikt
heraushalten sollten.
SPIEGEL ONLINE: Wir verlässlich ist Alijew als strategischer Partner?
Karimli: Aserbaidschan positioniert sich irgendwo zwischen
Iran, Russland und Europa. Während der ersten Jahre seiner Herrschaft
machte Ilham Alijew vielen Ländern Versprechungen, die miteinander
kollidierten und gar nicht zu erfüllen waren. Mit den Jahren wurde klar,
dass das Regime unberechenbar ist. Seitdem sind die internationalen
Beziehungen abgekühlt, die Stellung Aserbaidschans ist geschwächt. Für
uns liegt die Zukunft eindeutig in Europa.
Das Interview führte Annette Langer
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