Sunday, April 08, 2012

INTERVIEW: Oppositionsführer Ali Karimli in Baku. "Wir können das Regime besiegen"

Oppositionsführer Ali Karimli: "Der Welt zeigen, dass wir einen Wechsel wollen."
Oppositionsführer Ali Karimli: "Der Welt zeigen, dass wir einen Wechsel wollen."
Oppositionelle leben gefährlich in Aserbaidschan: Ali Karimli von der Volksfront-Partei sitzt ohne Pass in Baku fest, er wird überwacht. Dennoch arbeitet er an einer sanften Revolution. Im Interview sagt er, was ihm Hoffnung macht - und was er von einem Boykott des Eurovision Song Contest hält. 

Ein Café im aufgemotzten Zentrum von Baku. Wenn Ende Mai Tausende Musikfans zum Finale des Eurovision Song Contest anreisen, werden sie historisierende Fassaden bestaunen können, sie werden über kunstvoll gestaltetes Pflaster schreiten und Haute-Couture-Läden bevölkern, die heute noch menschenleer sind.

Im Café wartet Ali Karimli, Vorsitzender der aserbaidschanischen Volksfront-Partei. Seit 18 Jahren kämpft der Politiker für mehr Demokratie und Reformen im Land. Unter Albufas Elchibei, dem ersten gewählten Präsidenten nach dem Ende der Sowjetunion, war er Staatssekretär. Heute sitzt Karimli ohne Reisepass und Parteibüro in Baku fest und wird auf Schritt und Tritt verfolgt. Dennoch glaubt er fest an das Ende des Regimes.
 
SPIEGEL ONLINE: Aserbaidschan ächzt unter dem autoritären und korrupten System von Ilham Alijew, der das Präsidentenamt sozusagen von seinem Vater geerbt hat. Gibt es Hoffnung auf einen politischen Frühling in Baku?
Karimli: Die Regierung Alijew hat alles getan, um den jungen Leuten die Politik auszutreiben. Sie erleben überall nur Begrenzung: Sie können sich nicht frei bewegen, ihre Meinung sagen oder sich in unabhängigen Medien informieren. Das einzige, das ihnen als erstrebenswert vorgegaukelt wird, ist eine Karriere im Sport oder im Showbusiness. Aber die Zeit arbeitet für uns.
SPIEGEL ONLINE: Genau wie die jungen Regimekritiker, die derzeit für ihre Überzeugung demonstrieren, ins Gefängnis gehen oder sich von der Polizei verprügeln lassen.
Karimli: Ja, das Internet und die sozialen Netzwerke haben das Informationsmonopol der Regierung empfindlich gestört. Deshalb gibt es diese jungen und gebildeten Aktivisten, die genau verfolgen, was im Land vor sich geht und für die Demokratie auf die Straße gehen. Die Zahl der Polit-Blogger steigt täglich, es gibt immer mehr ernstzunehmende eigenständige Jugendorganisationen, die sich engagieren.
SPIEGEL ONLINE: Wird es in Aserbaidschan eine Revolution nach arabischem Vorbild geben?
Karimli: Wir sind nicht Ägypten oder Syrien. Aber die Menschen haben erkannt, dass Widerstand möglich ist, dass man ein autoritäres Regime besiegen kann. Das ist eine unglaublich wichtige Erkenntnis. Von 1918 bis zur Eroberung durch die Bolschewiki 1920 war Aserbaidschan eine demokratische und pro-westliche Republik. Wir haben Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre lang und verlustreich für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion gekämpft. Es mangelt uns also nicht an Erfahrung. Aber letztlich gilt: Wir können eine Revolution nicht organisieren. Sie geht vom Volk aus.
SPIEGEL ONLINE: Könnte ein Umschwung ohne Blutvergießen ablaufen?
Karimli: Ich glaube, dass die Regierung klug genug ist, nicht mit Gewalt gegen das eigene Volk vorzugehen. Alijew kann nicht gleichzeitig östlicher Tyrann und moderner Europäer sein, das sollte er wissen. Aserbaidschan ist im EU-Rat, wir hoffen langfristig auf eine Integration in die Europäische Union. Deshalb kann es nur einen gewaltfreien Weg geben. Wir wollen unser Land verändern, aber wir wollen es auf eine zivilisierte Weise tun.
SPIEGEL ONLINE: In welchem Zustand ist die Opposition in Aserbaidschan?
Karimli: Wir werden von allen Seiten unter Druck gesetzt. Die Behörden haben mir meinen Pass weggenommen, ich darf das Land nicht verlassen. Vor Jahren stürmten Spezialeinsatzkräfte das Parteibüro der Volksfront und warfen uns hinaus. Seitdem haben wir kein Hauptquartier mehr. Wer sich bereit erklärt, uns Räume zu vermieten, wird noch am selben Tag festgenommen. Wir haben keinen Zugang zum Fernsehen, dürfen nirgendwo auftreten und keine öffentlichen Versammlungen abhalten.
SPIEGEL ONLINE: Klingt desolat. Sind sie müde?
Karimli: Nein, im Gegenteil. Wir erleben gerade ein Zusammenfließen der Kräfte. Gestandene Idealisten und Polit-Profis treffen auf junge Pragmatiker. Wir sind in der Lage, Wahlen zu gewinnen, Mitstreiter in großer Menge zusammenzubringen und Demonstrationen zu organisieren. Ab dem 8. April wird es eine neue Welle von Meetings geben. Das Zentrum wird uns dafür verwehrt bleiben, aber wir tun das auch 20 oder 30 Kilometer vor der Stadt - ein Kompromiss, den wir in Kauf nehmen. Wir müssen der Welt zeigen, dass wir einen Wechsel wollen.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch tun Sie sich schwer, die oppositionellen Kräfte zu bündeln.
Karimli: Wir haben ein breitgefächertes Bündnis gebildet aus Volksfront und der national-demokratischen Partei Musawat, kleineren Parteien, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und der Intelligenz. Es sollen so viele Reformer wie möglich zusammenkommen. Die Volksfront selbst ist eine Massenpartei, wir können auf Zehntausende Unterstützer im ganzen Land zählen.
SPIEGEL ONLINE: Obwohl ihnen Repressionen drohen?
Karimli: Ja. Seit der Alijew-Clan herrscht, wurden mindestens 1000 Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung verhaftet. Allein aus unserer Partei sind noch immer acht Leute in Haft. Vor wenigen Tagen wurde mein Schwager Elnur Sejidow, Aufsichtsrat-Mitglied der Technika-Bank, wegen angeblicher Unterschlagung zu drei Monaten Haft verurteilt. Ohne Beweise, einfach weil er mit mir verwandt ist.
SPIEGEL ONLINE: Sollte Deutschland den Eurovision Song Contest angesichts dieser Zustände boykottieren?
Karimli: Auf keinen Fall. Je mehr Menschen nach Aserbaidschan kommen und mit eigenen Augen sehen, was hier vor sich geht, desto besser.
Vor der Tür hat ein bulliger Mann in hellbrauner Lederjacke Stellung bezogen. Am Nebentisch sitzt ein Paar in inniger Umarmung, und lauscht aufmerksam jedem Wort der Unterhaltung. Karimli quittiert die offensichtliche Überwachung mit einer wegwischenden Handbewegung.
SPIEGEL ONLINE: Immer wieder kam es bei Wahlen in Aserbaidschan zu schweren Verstößen. Werden Sie trotzdem bei den Präsidentschaftswahlen 2013 kandidieren?
Karimli: Wir werden sehen.
SPIEGEL ONLINE: Wie würden Sie gegen Korruption und Vetternwirtschaft im Land vorgehen?
Karimli: Das ist eine gigantische Aufgabe: Bei uns sind nicht nur der Zoll oder die Steuerbehörde zu 100 Prozent korrupt. Auch im Gesundheits- und Bildungswesen, die beide komplett daniederliegen, werden Bestechungsgelder gezahlt. Unsere Wirtschaft nennt sich liberal, aber das ist ein Witz. Es gibt keinen freien Wettbewerb, weil nicht jeder teilnehmen kann. Die Oligarchen der Alijew-Familie bilden den innersten Kern des Systems. Deshalb setzt ein Wandel kardinale Umwälzungen voraus.
SPIEGEL ONLINE: Was würden Sie konkret unternehmen?
Karimli: Das gesamte Personal in maßgeblichen Positionen muss ausgewechselt und durch glaubwürdige Kandidaten ersetzt werden. Die Monopole müssen aufgebrochen, die Wirtschaft nach innen und außen geöffnet und endlich diversifiziert werden. Wir müssen eine unabhängige Justiz und freie Medien zulassen, freie Wahlen garantieren. Ein Anti-Korruptionsprogramm soll für Transparenz sorgen, vor allem bei den öffentlichen Ausschreibungen.
SPIEGEL ONLINE: Präsident Alijew soll seinem Waffenlieferanten Israel Zugang zum aserbaidschanischen Luftwaffenstützpunkt Sitalcay verschafft haben. Damit würde ein Angriff auf Iran aus logistischer und strategischer Sicht einfacher. Glauben Sie, dass Alijew die geschätzt 15 Millionen in Iran lebenden Aserbaidschaner mutwillig gefährden würde?
Karimli: Ich weiß nur, dass entsprechende Berichte von den aserbaidschanischen Behörden offiziell zurückgewiesen wurden. Unser Volk reagiert sehr empfindlich auf die geopolitischen Entwicklungen in der Region. Nicht nur, weil wir Irans Nachbarn sind und seit Jahrhunderten enge Beziehungen pflegen, sondern weil ein großer Teil der Bevölkerung aserbaidschanische Wurzeln hat. Deshalb wollen die Bürger unseres Landes auf keinen Fall eine militärische Lösung, sondern eine diplomatische. Ich bin der Meinung, dass wir uns um jeden Preis aus diesem Konflikt heraushalten sollten.
SPIEGEL ONLINE: Wir verlässlich ist Alijew als strategischer Partner?
Karimli: Aserbaidschan positioniert sich irgendwo zwischen Iran, Russland und Europa. Während der ersten Jahre seiner Herrschaft machte Ilham Alijew vielen Ländern Versprechungen, die miteinander kollidierten und gar nicht zu erfüllen waren. Mit den Jahren wurde klar, dass das Regime unberechenbar ist. Seitdem sind die internationalen Beziehungen abgekühlt, die Stellung Aserbaidschans ist geschwächt. Für uns liegt die Zukunft eindeutig in Europa.

Das Interview führte Annette Langer

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