Aus berichtet Annette Langer
Bildergalerie: Zwangsumsiedlungen in Baku: "Sie machen Obdachlose aus uns!"
(spiegel.de) Großreinemachen vor der Schlagersause: Zum Eurovision Song Contest will sich Aserbaidschans Hauptstadt Baku modern und aufgeräumt präsentieren. Deshalb müssen alte Häuser und ihre Besitzer weichen. Wer
nicht freiwillig geht, wird mit perfiden Methoden dazu gezwungen.
Am 17. März, kurz vor Mitternacht, schreckte Großmutter Schirinbadschi mit Herzrasen aus dem Schlaf hoch: Ein ohrenbetäubendes Krachen hatte sie geweckt. Sie rannte zum Zimmer, in dem ihr zweijähriger Enkel und dessen Mutter schliefen. "Ich habe meinen Augen nicht getraut - jemand hatte mit einem Schaufelbagger durch das Dach einen riesigen Betonklotz ins Zimmer geschleudert." In der Decke klafft jetzt ein fünf Quadratmeter großes Loch.
Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Für die sieben Menschen in der etwa 50 Quadratmeter großen Wohnung in der Agamirsa-Alijew-Straße war klar: Dies war ein Anschlag - auf die Unversehrtheit, den Stolz und den bescheidenen Besitz der Familie Rsajew.
"Wir haben die Feuerwehr angerufen, aber die haben nur gefragt, warum wir nicht endlich an die Stadt verkaufen." Die Rentnerin atmet schwer, ihre Augen funkeln vor Zorn. Seit 2009 werden Immobilienbesitzer in Baku verstärkt genötigt, ihre zum Teil noch aus der Zeit des ersten Öl-Booms im 19. Jahrhundert stammenden Häuser und Grundstücke unter Preis zu verkaufen - um Platz für moderne Neubauten zu schaffen. "Der Präsident will auf meine Kosten sein neues Baku aufbauen, da mach ich nicht mit", schimpft Rsajewa.
Im Februar kam ein Behördenvertreter auf die Familie zu und drängte sie, doch bitte endlich ihr Haus zu verkaufen. "Die wollten mir Angst machen, so etwas mag ich gar nicht", empört sich Rsajewa. Das Angebot, das ihr unterbreitet wurde, lag weit unter dem Wert der Immobilie im Zentrum der Stadt und galt für nur 41 der eigentlich 50 Quadratmeter - man hatte Küche und Bad abgezogen.
Rsajewa weigerte sich und ging vor Gericht. Ein regierungstreuer Gutachter erklärte, das Haus müsse verkauft werden, weil es baufällig sei und eine Gefahr darstelle. "Na klar, mein Dach ist aus Versehen ins Schlafzimmer geplumpst", ärgert sich die Besitzerin.
Noch während die alte Dame ihr Schicksal beklagt, reißen für einen Hungerlohn angeworbene Hilfsarbeiter in der Nachbarschaft ein Haus ab - obwohl im Nebengebäude noch Kinder spielen. Schnell hat sich eine Traube von Anwohnern gebildet, wütend beschimpfen sie den Abreißtrupp, der in
einer Wolke von Staub stur seinem Auftrag nachgeht.
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Foto (1) Elmar, 43, Elektriker: "Ich bin hier in der Schamsi-Badalbeili-Straße geboren. Mein Großvater hat das Haus noch mit Goldmünzen bezahlt. Jetzt lebe ich 40 Kilometer von Baku entfernt, bin arbeitslos. Die Stadt hat
mir 1500 Manat (etwa 1400 Euro) pro Quadratmeter geboten. Doch das reicht nicht, um sich in der Innenstadt eine neue Wohnung zu kaufen. Die Preise liegen bei 5000 Euro pro Quadratmeter. Ich habe mich ein halbes Jahr lang geweigert, den Kaufvertrag zu unterschreiben. Dann bin ich eingeknickt. Inzwischen ist alles verwüstet. Nicht nur das Haus und die Straße - unser ganzes Leben haben sie uns weggenommen. Sie behandeln uns wie Indianer, die man in ein Reservat steckt."
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"In Aserbaidschan herrscht Anarchie", schnaubt Rsajewa. "Unser Präsident ist unfähig, wir sind praktisch führungslos." Tatsächlich garantiert die aserbaidschanische Verfassung in Artikel 13 die Unantastbarkeit von
Eigentum - "es wird durch den Staat geschützt", steht darin. Doch seit die Stadt Baku im Namen von Präsident Ilham Alijew im Februar 2011 ein Dekret erließ, wonach Staatsinteressen in diesem Fall vor Privatinteressen gehen, sieht es schlecht aus für die Hausbesitzer.
Die Methoden der Behörden, günstig an Grundstücke im Zentrum zu kommen, sind perfide: Mal reißen sie ein Dach auf, damit die Feuchtigkeit die Bausubstanz zerstört, dann lassen sie ihre Schergen Müll in die Treppenhäuser werfen, damit die Bewohner freiwillig vor dem Gestank und den Ratten flüchten. Immer wieder werden Gas oder Strom
abgestellt. Dennoch harren viele unter lebensgefährlichen Bedingungen in den instabilen Häusern aus.
Nicht alle Bewohner verfügen über gültige Dokumente, auch weil die Besitzverhältnisse in den Gemeinschaftswohnungen der Sowjetunion nicht immer klar waren. Larisa Mammadli hat Papiere, steht aber dennoch vor den Trümmern des Hauses, in dem sie mit drei Kindern und drei Enkeln auf 18 Quadratmetern lebte. Heute ist sie obdachlos. "Ich lebe mal hier mal da, die Kinder habe ich bei Freunden auf dem Land gelassen. Ich werde bis in die letzte Instanz um meine Rechte kämpfen." Dazu fehlt es den Flüchtlingen aus Bergkarabach, die hier vom Staat einquartiert wurden, an Mut. Sie werden über ihre Zukunft völlig im Ungewissen gelassen.
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Foto (2) Ilgar, 52, Invalide: "Ich hatte 2000 einen Schlaganfall, fünf Jahre später eine schwere Thrombose. Ich wurde an der Aorta operiert, ein Bein musste amputiert werden. Arbeiten werde ich nie wieder können. Dies ist
mein Zuhause, alles was mir geblieben ist. Mein Großvater war Juwelier, ihm gehörte früher das ganze Haus. Ich wohne hier mit meiner Frau, die Tochter haben wir zur Großmutter gegeben. Sie haben mir das Gas abgestellt, die Antenne geklaut. Die Stadt bietet 40.000 Manat (rund 38.500 Euro) - sie haben nur 33 Quadratmeter von insgesamt 56
veranschlagt. Das ist vollkommen indiskutabel. Deshalb habe ich Klage eingereicht. Ich habe keine Alternativen. Wenn ich nicht hier bleiben kann, springe ich aus dem Fenster.."
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Das gesamte Areal rund um den geplanten Winterpark nahe der Schamsi-Badalbaili-Straße sieht aus wie nach einem Bombenangriff. In der Mitte tut sich eine riesige Baugrube auf, ringsherum türmen sich Schuttberge und Müll. Im Haus Nummer 38 hatte ein Räumtrupp im August 2011 das Büro des "Instituts für Frieden und Demokratie" abgerissen.
"Ich wollte noch Möbel, Computer und vor allem unser Archiv retten, aber es ist alles in den Trümmern geblieben", erinnert sich Azat Isazade, Psychologe und Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation. Das angegliederte Zentrum für Frauen in Krisensituationen musste lange geschlossen bleiben.
Seit 2009 verschärfte sich die Situation zunehmend. Dem Institut zufolge haben mindestens 20.000 Menschen ihre Wohnungen durch staatliche Intervention verloren. "Teilweise waren die Objekte zehnmal mehr wert als der Kaufpreis", sagt Leyla Yunus, Direktorin der Menschenrechtsorganisation, die sich seit Jahren um die Hausbesitzer kümmert. Man kann sich ausrechnen, welche Gewinne bereits erzielt wurden.
Foto (3) Jasaman, 50, Unternehmerin:"Ich hatte in diesem Haus 150 Quadratmeter Bürofläche auf zwei Etagen. Anfangs wollten die Behörden mir gar kein Geld geben, sondern boten mir eine 60-Quadratmeter-Wohnung am Stadtrand zum Tausch an. Ich bin vor Gericht gegangen. Nach zwei Monaten boten sie mir 1500 Manat (rund 1400 Euro) pro Quadratmeter, allerdings nur für den Wohnraum, ohne Küche, Bad und Flur. Nachdem ich in einer Fernsehsendung
unsere verzweifelte Situation beschrieben hatte, kamen die Bulldozer und rissen mein Haus nieder - obwohl das per Gerichtsbeschluss untersagt worden war. Bürgermeister Hajibala Abutalibow macht einfach Obdachlose aus uns!
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Vordergründig geht es auch um den Eurovision Song Contest. Der wird Ende Mai in Baku ausgetragen. Und soll eine ganz heiße Sache werden. "Light your fire" lautet das Motto - als ob es in Baku nicht ohnehin schon überall züngelte, loderte und flackerte. Flammen, wohin man auch schaut - aus Glas und Beton, Pappmaché und Glitzersteinen oder ganz real auf den Ölfeldern vor der Stadt.
90 Prozent der Exportleistung Aserbaidschans werden allein durch Öllieferungen erbracht. Weil selbst enorme Reserven endlich sind, setzt der autoritär regierende Präsident Ilham Alijew zunehmend auf Erdgas und prahlt, dass er Europa "die kommenden 100 Jahre" damit versorgen könne. Da will man mit Symbolen und Superlativen Zeichen setzen.
Auf einem Hügel nahe dem Kaspischen Meer thronen die drei "Flammentürme", ein riesiger Wohn- und Bürokomplex in Form eines "ewigen Feuers". 235 Meter ragt der höchste Tower in den Himmel - nicht hoch genug. Der aserbaidschanische Konzern Avesta soll jetzt südlich der Hauptstadt ein 1050 Meter hohes Business Center aus dem Boden stampfen und damit den bisherigen Weltrekordhalter Burj Khalifa in Dubai ablösen.
Wo Neues entsteht, muss Altes weichen. Um das Veranstaltungszentrum für den "Eurovision Song Contest" hochzuziehen - die "Kristallhalle" am Ende der Bucht von Baku, unweit des höchsten Fahnenmasts der Welt - wurden blockweise Wohnhäuser niedergerissen. Auf einem Video ist zu sehen, wie brutal die Behörden bei der Evakuierung vorgehen. Der Bau ist noch nicht fertig, und viele bezweifeln, dass er es bis Mitte Mai sein wird.
"Der Eurovision Song Contest ist nur ein Vorwand für unsere Regierung, sich noch mehr auf Kosten der Bürger zu bereichern", sagt Menschenrechtsaktivistin Leyla Yunus. "In Aserbaidschan hat sich ein mafiöses System etabliert. Das heißt, man kann Menschen ungestraft schlagen, foltern, ins Gefängnis werfen, ihre Häuser zerstören und ihren Besitz vernichten."
Aserbaidschan ist eines der korruptesten Länder der Welt, rangiert auf Platz 143 von 183 Staaten auf dem Index von Transparency International. In nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens werden inzwischen Bestechungsgelder gezahlt.
"Die Menschen in Aserbaidschan haben nur eine einzige Waffe im Kampf gegen die mächtigen Behörden - das Wort. Wenn sie davon Gebrauch machen, werden sie erbittert verfolgt", sagt Yunus.
Foto (4) Adil, 50, Kinderärztin: "Die Polizei wollte uns evakuieren, sie kamen mit neun Leuten, mein Mann ist übers Dach geflüchtet, weil er eine Festnahme fürchtete. Die Kinder waren vollkommen verschreckt. 'Wir stecken dir
Rauschgift in die Tasche', hat ein Polizist mich gewarnt. 'Dann bist du geliefert.' Wir haben es mit Menschen ohne Moral zu tun. Die Trupps, die hier die Häuser abreißen, bestehen aus Billiglöhnern und Kriminellen - normale Leute würden es ablehnen, diesen Job zu erledigen. Sie benehmen sich wie Piraten auf dem Kaspischen Meer. Das alles ist möglich, weil es bei uns nur sehr arme oder extrem reiche Leute gibt. Ich verdiene als Kinderärztin 150 Manat (rund 140 Euro) im Monat. Für jede Geburt gibt es einen Zuschlag von 2 Manat, pro Nachtschicht 1 Manat. Ich habe zwei
Töchter, die ich durchbringen muss. Seit Mai 2011 ist unser Fall vor Gericht, wir halten die Stellung."
Quelle: spiegel.de
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