Sunday, April 01, 2012

INTERVIEW: Georgischer Milliardär Iwanischwili - "Westerwelle hat mich gekränkt" (spiegel.de)

(spiegel.online) Im Land der gekauften Opposition ist er der letzte freie Mann: So sieht sich der georgische Milliardär Bidsina Iwanischwili. Im Interview erklärt er, wie er die Wahlen gegen Präsident Saakaschwili gewinnen will - und warum ihn eine Einladung des deutschen Außenministers enttäuscht hat.

Wenige Tage, nachdem Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bei seinem Georgien-Besuch Pressefreiheit und "Respekt für die Rechte der Opposition" anmahnte, geht Präsident Micheil Saakaschwili in großem Umfang gegen politische Gegner vor. Über hundert Anhänger des Oppositionsführers und Oligarchen Bidsina Iwanischwili wurden zu Vernehmungen einbestellt. Amnesty International spricht angesichts stundenlanger Verhöre von einer gezielten Einschüchterungskampagne.

Iwanischwili, 2003 noch Finanzier von Saakaschwilis "Rosenrevolution", will das Präsidentenlager bei den Parlamentswahlen im Herbst besiegen. Seine im Dezember 2011 gegründete Bewegung "Georgischer Traum" kommt in Umfragen auf 28 Prozent. Saakaschwilis Regierung hat bereits Gesetze zur Parteienfinanzierung verschärft und Iwanischwili, dessen Vermögen vom US-Magazin Forbes auf fünf Milliarden Dollar taxiert wird, die Staatsbürgerschaft entzogen.

Wie will er sich dagegen zur Wehr setzen? Wie sehen seine politischen Ziele konkret aus? Im Interview mit SPIEGEL ONLINE steht er Rede und Antwort:

SPIEGEL ONLINE: Herr Iwanischwili, bis vor kurzem haben Sie keine Interviews gegeben. Sie sagen, dass Sie Journalisten nicht leiden können und das Rampenlicht hassen. Woher rühren nun plötzlich Ihre politischen Ambitionen?

Iwanischwili: Das ist meine Philosophie: Ich halte mich lieber abseits der Öffentlichkeit. Ich liebe die Freiheit. In den letzten Jahren aber hat der Druck auf mich immer weiter zugenommen. Ich musste wählen: Entweder das Land verlassen, in dem es für mich gefährlich geworden ist. Oder in den Kampf ziehen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Ihnen Öffentlichkeit so sehr zuwider ist, warum unterstützen Sie nicht eine bestehende Oppositionspartei?

Iwanischwili: Saakaschwili hat eine Partei nach der anderen aufgekauft. Das sind Pseudo-Oppositionelle. Aber auch die wenigen ehrlichen Oppositionspolitiker haben das Vertrauen der Bürger verloren. Der letzte freie Mann in diesem Land bin ich. Ich habe Geld, aber mein wichtigstes Kapital ist das Vertrauen des Volkes.

SPIEGEL ONLINE: Das sind große Worte. Falls Sie siegen: Was haben Sie vor?

Iwanischwili: Europa ist unser Vorbild, Ziel und Schicksal. Wir wollen ein Teil davon werden. Wir werden sehr schnell unsere Institutionen nach dem Vorbild Europas gestalten, wir befreien die Justiz und schaffen unabhängige Medien. Nach anderthalb oder zwei Jahren ziehe ich mich dann aus der Politik zurück.

SPIEGEL ONLINE: Erst bezeichnen Sie sich als der "letzte freie Mann" Georgiens. Und dann wollen Sie alles wieder hinschmeißen. Wie passt das zusammen?

Iwanischwili: Ich werde mit der Zivilgesellschaft arbeiten. So passiv wie früher werde ich natürlich nicht. Ich werde der Gesellschaft helfen, die Regierung, die ich hinterlasse, zu kontrollieren.

SPIEGEL ONLINE: Warum schalten Sie ganzseitige Anzeigen in US-Zeitungen wie der "Washington Post"? Darin fordern Sie den Westen auf, seine Unterstützung für Saakaschwili zu beenden.

Iwanischwili: Amerika hat Georgien als Junior-Partner ausgewählt. Die USA glauben, Saakaschwili schafft ein demokratisches Georgien, doch das sind nur Fassaden. Ich will den Amerikanern sein wahres Gesicht zeigen. Saakaschwili führt sie hinter das Licht.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie?

Iwanischwili: Die ersten zwei Jahre nach seinem Amtsantritt 2004 baute er wirklich an einem demokratischen System. Doch er hat diesen Weg verlassen. Er errichtet einen totalitären Staat.

SPIEGEL ONLINE: Was fordern Sie vom Westen?

Iwanischwili: Es steht mir nicht zu, etwas zu fordern. Ich bitte darum, dass der Westen sich die wirkliche Situation in unserem Land anschaut und sich nicht länger von Saakaschwili zum Narren halten lässt. Europa und Amerika sollen Georgiens Führung nach Taten beurteilen, nicht nach ihren Worten und Versprechungen. Saakaschwili verwandelt Georgien sonst in eine Diktatur.

SPIEGEL ONLINE: Was schlagen Sie vor?

Iwanischwili: Ich spreche in diesen Tagen viel mit Botschaftern europäischer Länder. Ich hoffe, Europa wird uns dabei helfen, wirklich freie und demokratische Wahlen durchzuführen. Georgien braucht einen Präzedenzfall: einen Machtwechsel durch Wahlen, nicht wie sonst bei uns üblich durch Revolution. Ich werbe für internationale Beobachter, die sechs Monate lang den Wahlkampf überwachen, etwa von der OSZE.

SPIEGEL ONLINE: Malen Sie Saakaschwili nicht in viel zu schwarzen Farben? Er hat eine Polizeireform durchgeführt, die auch im Ausland viel beachtet wurde.

Iwanischwili: Die Polizeireform war erfolgreich. Tausende Polizisten haben aufgehört, Bestechungsgelder zu nehmen, während überall in der ehemaligen Sowjetunion Ordnungshüter die Hand aufhalten. Auf den unteren Ebenen wird die Korruption bekämpft, aber auf höchster Ebene bereichert sich eine kleine Gruppe.

SPIEGEL ONLINE: Werfen Sie Saakaschwili persönliche Bereicherung vor?

Iwanischwili: Natürlich. Er hat dieses System geschaffen. 15 bis 20 Personen beherrschen die Wirtschaft. Der Generalstaatsanwalt kontrolliert große Teile der georgischen Wirtschaft, Ex-Verteidigungsminister David Keseraschwili das Benzin- und Öl-Geschäft.

SPIEGEL ONLINE: Die Regierung nennt Sie im Gegenzug einen Agenten des Kremls. Sie haben Ihr Vermögen in Russland gemacht. Wie sehr sind Sie Russland verpflichtet?

Iwanischwili: Gar nicht. Ich bin meinem Land verpflichtet. 99 Prozent meiner Ausgaben sind für Georgien. Ich habe alle Theater renovieren lassen, alle Museen. Ich habe Straßen bauen lassen und 50 neue Schulen. Wenn russische Agenten so handeln würden, müsste mein Land auf mehr solcher Spione hoffen. Ich bin seit zehn Jahren nicht mehr in Russland gewesen.

SPIEGEL ONLINE:
Der Kaukasus ist ein Pulverfass. In Ihrer Nachbarschaft liegt Iran, das Ziel israelischer Luftschläge werden könnte. Aserbaidschan rüstet auf. Georgiens Konflikt mit den Separatisten in Südossetien und Abchasien ist ungelöst. Braucht Georgien da nicht stabile Verhältnisse statt einen Premier wie Sie, der nach zwei Jahren zurücktritt?

Iwanischwili: Das kleine Georgien hat nur geringen Einfluss auf die Konflikte, die auf globaler Ebene gelöst werden müssen. Ja, wir können zum Opfer solcher Entwicklungen werden. Eine schwierige regionale Lage darf aber doch nicht das Verharren eines einzelnen Mannes an der Macht rechtfertigen. Mir ist klar, dass Demokratisierung ein sehr komplizierter Prozess ist.

SPIEGEL ONLINE: Wie wollen Sie den Konflikt mit Südossetien und Abchasien lösen?

Iwanischwili: Wir werden die direkten Gespräche mit unseren Brüdern und Freunden wieder aufnehmen. Wir werden mit Russland sprechen. Wir müssen uns an unsere Geschichte erinnern, wir haben lange friedlich zusammen gelebt.

SPIEGEL ONLINE: Unter welchen Bedingungen können Sie eine Unabhängigkeit der Gebiete akzeptieren?

Iwanischwili: Einer Unabhängigkeit wird das georgische Volk niemals zustimmen.

SPIEGEL ONLINE: Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle wollte Sie Mitte März in Tiflis treffen. Warum haben Sie die Einladung ausgeschlagen?

Iwanischwili: Ehrlich gesagt hat er mich sogar ein wenig gekränkt. Er hat mich zu dem gleichen Treffen eingeladen wie die von Saakaschwili gekauften Pseudooppositionellen. Vielleicht war er falsch informiert. Letztlich ging davon das fatale Signal aus, der Westen schere sich nicht um unsere Koalition. Kaum war Westerwelle weg, wurden Hunderte meiner Unterstützer verhört.

SPIEGEL ONLINE: Der russische Oligarch Michail Chodorkowski forderte einst Putin heraus. Er war noch reicher als sie, sitzt nun aber im Gefängnis. Fürchten Sie, das gleiche Schicksal zu erleiden?

Iwanischwili: Meine Entscheidung werde ich nicht zurücknehmen. Ich habe keine Angst vor dem Gefängnis, aber es gibt noch schlimmere Gefahren. Sie sind zu allem fähig.

Das Interview führte Benjamin Bidder

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