(nzz.ch) Moskauer Milliardäre aus der «Roten Siedlung»
Das im stalinistischen Zuckerbäckerstil erbaute Hotel «Ukraine» befindet sich in aserisch-bergjüdischen Händen. (Bild: Keystone/EPA) |
Die ungekrönten Immobilienkönige Russlands stammen aus einer kleinen jüdischen Siedlung in Aserbeidschan. In der Moskauer Diaspora gibt es einige Millionäre und Milliardäre aus der bergjüdischen Gemeinde.
Von Gerald Hosp, Moskau
Ungeduldig winkt Akif Gilalow im Moskauer Nobelrestaurant «Wanil» einen seiner sieben Leibwächter herbei. Er solle ihm Visitenkarten bringen, sagt der 34-jährige Gilalow. Aus einem Bündel von unterschiedlichen Karten sucht er schliesslich eine Variante mit Schnörkelschrift in Goldfarbe aus. Warum es genau diese sein soll – die Visitenkarte ist schwer zu lesen –, bleibt sein Geheimnis. Der untersetzte, völlig in Schwarz gekleidete Gilalow liebt wohl Glamour. Nebenbei fällt die Bemerkung, er habe Michail Gorbatschew in der Schönheitsklinik La Prairie am Genfersee kennengelernt.
Marktwirtschaft am Anfang
Der Geschäftsmann Gilalow spricht nicht gerne übers Geschäft. Seine Zar Group ist vor allem in der Immobilienbranche tätig und betreibt unter anderem Einkaufszentren. Gilalow interessiert sich zudem für das Geschäft mit Metallen wie seltenen Erden. Nach seiner Angabe ist er milliardenschwer. Er ist aber auch der Präsident des Weltkongresses der Bergjuden. Die Organisation ist eine von vielen ähnlichen Vereinigungen, die mitunter auch in Konkurrenz stehen. Als Bergjuden bezeichnet man die einheimische jüdische Bevölkerung in der russischen Republik Dagestan und in Aserbeidschan. Die Vorfahren der Bergjuden sollen aus dem alten Persien stammen, die Sprache ist an Farsi angelehnt.
Anzeige:Gilalow, dessen Vater der Leiter des Rechnungshofes in der Sowjetunion war, wurde im jüdischen Viertel Krasnaja Sloboda («Rote Siedlung») der Stadt Quba im Norden Aserbeidschans geboren. Krasnaja Sloboda gilt als eine der geschlossensten jüdischen Siedlungen ausserhalb Israels. Die Bevölkerungszahl ist über die Jahre auf nun rund 3000 Einwohner gesunken; Russland, Israel, Europa und die Vereinigten Staaten lockten mit Arbeit. Das aserische Städtchen scheint aber ein gutes Pflaster für Unternehmer zu sein: Die russische Ausgabe von «Forbes» kürte vor kurzem Sarach Iliew und God Nisanow zu den Immobilienkönigen Russlands. Ihre Unternehmen sollen jährlich Mieteinnahmen von 780 Mio. $ erhalten. Beide Unternehmer sind in Krasnaja Sloboda aufgewachsen. Zu ihren Objekten in Moskau gehören das prunkvolle Hotel Ukraine und das riesige Einkaufszentrum Ewropeiski. Der ebenso reiche Telman Ismailow stammt zwar nicht aus Quba, er ist aber auch Bergjude aus Aserbeidschan und unterstützt Krasnaja Sloboda finanziell. Jakow Jakubow, die Nummer 21 in der «Forbes»-Liste der grössten Immobilienunternehmer in Russland, ist ebenso Mitglied der bergjüdischen Diaspora in Moskau. Iliew, Nisanow und Ismailow sind dabei die bekanntesten aserisch-bergjüdischen Geschäftsmänner, ihre Schicksale sind eng miteinander verknüpft.
Die Grundlage des Reichtums von Ismailow, Iliew, Nisanow, Gilalow und einigen anderen liegt in den grossen Märkten, die in Moskau nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegründet worden waren. Der bekannteste darunter war der Tscherkisowo-Markt, einst Osteuropas grösster Handelsplatz. Der Markt galt als Stadt in der Stadt. Auf einer Fläche von bis zu 300 Hektaren gab es in der zweistöckigen Markthalle neben Verkaufsständen auch illegale Wohnheime, Nähstuben, Cafés, Massagesalons, Übersetzungsbüros, Arztpraxen und vieles mehr. Im Jahr 2009 wurde der Markt von der Polizei offiziell wegen Verstössen gegen Gesundheitsvorschriften und Brandschutzbestimmungen geschlossen. Gründer und Betreiber des Marktes war Ismailow, der bereits den Luschniki-Markt eröffnet hatte. Iliew war auch am Tscherkisowo tätig, aber nicht als Partner von Ismailow, wie dieser in einem seiner seltenen Interviews der Zeitung «Wedomosti» sagte. Iliew hatte Containerplätze, um diese weiterzuvermieten. Nisanow soll zunächst für Ismailow gearbeitet haben, und er spannte danach mit Iliew zusammen. Laut Akif Gilalow war auch sein Vater bei der Entwicklung des Marktes dabei.
Nichts für zarte Gemüter
Das Geschäftsmodell wandelte sich von offenen Märkten und Handelsplätzen hin zu Einkaufszentren. Die Immobilienimperien entstanden. Es kamen Restaurants, Hotels, Handelsketten und andere Beteiligungen hinzu. Das Geschäftsgebaren in Russland ist mitunter rau. Die wenig zugängliche Welt der «ethnischen Unternehmer» und deren Aufstieg in den turbulenten 1990er Jahren laden zu Spekulationen ein, mit welchen Methoden das Geld gescheffelt wurde. Gilalow hat nicht ohne Grund Leibwächter: Sein älterer Bruder Saur wurde im Jahr 2004 in Moskau erschossen, sein Vater war bereits sieben Jahre früher einem Anschlag zum Opfer gefallen. Ob es sich dabei um eine Vendetta mit einem feindlichen Clan oder um Auftragsmorde im Zusammenhang mit den Geschäften der Familie handelte, ist unklar. Akif Gilalow spricht aber von sich als von einer Generation mit einer neuen Mentalität. Er meint den Übergang zu zivilisierten Methoden, ohne es zu sagen. Grundsätzlich seien Bergjuden arbeitsam, stur, prinzipientreu und gute Händler, meint Gilalow. Bereits zu Sowjetzeiten sei Krasnaja Sloboda ein reiches Dorf gewesen, es wurde rege mit Produkten gehandelt, an denen es im kommunistischen System mangelte. In den 1980er Jahren sei es im Ort modisch gewesen, im Adidas-Trainingsanzug als Zeichen von Exklusivität zu heiraten, erinnert sich Gilalow. Der Geschäftssinn von God Nisanow war wohl auch dadurch geschärft worden, dass sein Vater zu Sowjetzeiten der Direktor der Konservenfabrik in Quba war.
Von einem quirligen Geschäftszentrum ist Krasnaja Sloboda derzeit weit entfernt. «Es gibt nicht mehr viele Leute, die hier arbeiten. Die Jungen gehen weg, nach England, nach Amerika, nach Russland», sagt Boris Simandujew, der betagte Obmann der jüdischen Gemeinde von Krasnaja Sloboda, den Zustand bedauernd. Auch seine fünf Kinder sind weggezogen und leben jetzt in Baku, Moskau, Riga und in der Ukraine; ein Enkel studiert in Israel. Simandujews Blick ist melancholisch, Traurigkeit und eine würdevolle Distanz liegen eng beisammen. Er schätzt es, dass die zu Reichtum gekommenen Geschäftsmänner der bergjüdischen Diaspora in Moskau Krasnaja Sloboda nicht vergessen haben. Für die kleine Gemeinde stehen zwei prächtig renovierte Synagogen zur Verfügung, in der Zarenzeit hatte es noch deren 13 gegeben.
Das jüdische Viertel wird nicht nur geografisch vom Rest der muslimischen Stadt Quba durch den Fluss Kudyal getrennt, auch optisch liegen Welten dazwischen. Das Strassenbild von Krasnaja Sloboda wird von Kindern und älteren Männer geprägt, die Frauen seien zu Hause, heisst es. Männer im arbeitsfähigen Alter sind selten zu sehen. Es gibt drei Teestuben, kein Restaurant. Die Strassen sind sauber asphaltiert, zweistöckige, meist leerstehende Prachtbauten reicher Auswanderer unterbrechen die monotonen Häuserreihen, der Friedhof ist herausgeputzt, die letzte Ruhestätte für jene, die sich in der Ferne nach der alten Heimat gesehnt haben. Auch der Vater von Gilalow liegt hier begraben. Der Rest der Stadt hat keine reichen Gönner.
Abschottung bringt Vertrauen
Der muslimische Teil von Quba ist eine normale aserische Kleinstadt mit Schlaglöchern in den Strassen, mit einem hektischen und bunten Treiben, die Häuser sind niedrig. Simandujew erzählt, dass es zwischen Muslimen und Juden im schiitisch geprägten Aserbeidschan keine Probleme gebe. Der aserische Präsident Ilham Alijew spricht von den Juden als seinen Freunden, von den Bergjuden als seinen Brüdern. Die Wertschätzung wird mit Loyalität gegenüber dem Präsidenten bezahlt. Die Bedrohung für das jüdische Leben in Krasnaja Sloboda liegt eher in der ökonomischen Perspektivenlosigkeit, trotz den Geldern der Milliardäre aus Moskau und aus anderen Weltgegenden.
Akif Gilalow setzt ein entwaffnendes Lächeln auf. Wenn er das Geheimnis für den Erfolg der Bergjuden aus Krasnaja Sloboda kennen würde, würde er es verkaufen, meint er. Die Lösung des Rätsels liege möglicherweise in der Abschottung und der Kleinheit der bergjüdischen Gemeinde. Die engen Verwandtschaftsverhältnisse halfen ein Grundproblem in postsowjetischen Gesellschaften zu überwinden: den Mangel an Vertrauen. Man lieh sich gegenseitig Geld, in der Fremde konnte man auf vertraute Gesichter setzen. Ein erfolgreicher Geschäftsmann kann dabei mehrere andere mitziehen. Die Bekanntschaft Ismailows und anderer Exponenten aus sowjetischer Zeit mit dem früheren Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow wirkte wohl zusätzlich unterstützend. Gilalow geht, wie er kam: mit grosser Geste. Das iPad unter den Arm geklemmt, gestikuliert er in Richtung seiner Leibwächter und verschwindet.
No comments:
Post a Comment