(spiegel.online) Sie werden beim Sex gefilmt, abgehört, verprügelt. Kurz vor dem Eurovision Song Contest erhöht die autoritäre Regierung Aserbaidschans den Druck auf Journalisten. Oppositionelle warnen nun: Auch deutsche Reporter und Schlager-Touristen sollten sich in Acht nehmen.
Am 7. März bekam Chadidscha Ismailowa einen anonymen Brief, darin ein Umschlag mit sechs Fotos "intimer Art", wie sie es nennt. Dazu die Botschaft: "Schlampe, reiß dich zusammen oder du wirst entehrt." Nur eine Woche später war ein Video im Internet zu sehen, das die Journalistin beim Sex mit ihrem Freund zeigte. Gleichzeitig bezichtigten zwei regierungstreue Zeitungen sie einer laxen Moral - mit Hinweis darauf, wo man das Video abrufen könne.
Ismailowa sitzt rittlings auf einem mit Intarsien verzierten Stuhl, die Lehne hält sie fest umschlungen. Die vergangenen Wochen haben dunkle Schatten unter ihren Augen hinterlassen, die Journalistin ist sichtbar erschöpft. "Die Regierung hat mich gedemütigt und zum Objekt gemacht, aber die Gesellschaft ist für mich aufgestanden", sagt sie mit finsterer Miene.
Das Gespräch findet bei einer Freundin statt, vor der Haustür ragt die ehrgeizige Skyline von Aserbaidschans Hauptstadt Baku in den Himmel. In einigen Wochen soll hier der Eurovision Song Contest stattfinden. Die Frühlingssonne bricht sich an den bläulichen Fassaden der "Flammentürme" - eines der architektonischen Vorzeigeprojekte des autoritär regierenden Präsidenten Ilham Alijew. Das Licht schmerzt in den Augen.
Die Wohnung der Reporterin ist als Treffpunkt tabu, spätestens seit sie ahnte, dass hier Kameras und Mikrofone auf sie gerichtet waren - im Wohnzimmer, vielleicht im Bad, vor allem aber im Schlafzimmer. Dass Beamte aus höchsten Kreisen hinter der Aktion stecken, steht für die Journalistin außer Zweifel: "Sie haben gedacht, ich tauche ab, aber das war eine Fehleinschätzung. Wäre ich nur einen Schritt zurückgegangen, ich wäre geliefert gewesen." Ihre Beharrlichkeit zahlte sich aus: Selbst regierungstreue Medien nahmen davon Abstand, das heimlich aufgenommene Video oder Fotos davon zu zeigen.
"Den Gerichten sind Beweise egal"
Ismailowa erstattete Anzeige, wegen Verletzung der Privatsphäre. Jetzt laufen die Ermittlungen. Große Erwartungen hat sie nicht: "Den hiesigen Gerichten sind Beweise egal, sie werden ohnehin eine politische Entscheidung treffen." Man werde bis zur letzten Instanz gehen, um dann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf das Beste zu hoffen.
Nun sind Schmutzkampagnen dieser Art generell keine schöne Sache. Sie sind umso verheerender, wenn das Opfer eine unverheiratete Frau in einer muslimischen Gesellschaft ist. Zwar gebärdet sich die Regierung säkular, verbietet das Tragen von Kopftüchern in Schulen und geht demonstrativ gegen den Bau von Moscheen vor. Dennoch spielt die religiöse Moral unter den überwiegend aus Schiiten bestehenden Gläubigen eine große Rolle. Deshalb überraschte es Chadidscha Ismailowa umso mehr, dass sogar muslimische Autoritäten ihr den Rücken stärkten: "Sie haben verstanden, dass es hier nicht um Persönliches, sondern um Politik geht."
"Wir sind keine Journalisten, wir sind Partisanen", sagt Vidadi Memmedov, seit vielen Jahren Redakteur bei der regierungskritischen Zeitung "Azadliq". Immer wieder würden er und seine Kollegen verfolgt und bedroht. "Wir wissen, wer uns festnehmen, erpressen, schlagen oder gar töten wird. Aber wir kämpfen für die Freiheit des Wortes. Wir halten das für unsere Pflicht."
Jeden Abend geht Ismailova bei "Radio Liberty" auf Sendung. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die gestandene Reporterin durch ihre investigative Arbeit. In mehreren Publikationen versuchte sie die heimliche Privatisierung von Staatsunternehmen durch die Präsidentenfamilie aufzudecken. "Ich habe mich zu ausgiebig mit den Töchtern von Ilham Alijew beschäftigt, das hat ihnen nicht gefallen." Zuletzt berichtete sie über mutmaßliche Beteiligungen von Lejla und Arzu Alijew an der Telefongesellschaft Azerfon - über in Panama registrierte Firmen.
"Sex nur unter der Bettdecke und bei abgeschaltetem Licht"
Zwar sind sich alle Menschenrechtler einig, dass die Welt für den Eurovision Song Contest nach Baku kommen sollte, um sich selbst ein Bild von der Situation im Land zu machen. Ismailowa warnt aber ausländische Journalisten, dass auch sie ausgespäht werden könnten - im Hotelzimmer, auf der Straße, überall: "Jeder sollte sich Sorgen machen. Big Brother ist überall."
Davon konnte sich auch SPIEGEL ONLINE überzeugen. Während eines Treffens mit einem Oppositionsführer verfolgte ein "Liebespaar" am Nebentisch im Café jedes Wort des etwa einstündigen Interviews, während vor der Tür mehrere Sicherheitsbeamte in Zivil Stellung bezogen hatten. Auf der Straße nahmen mindestens zwei Personen die Verfolgung auf. Eine weitere machte Fotos.
"Sex nur unter der Bettdecke und bei abgeschaltetem Licht" lautet der durchaus ernst gemeinte Rat der regimekritischen Aktivistengruppe Freie Jugend an die Besucher des Eurovision Song Contest in Baku.
Die öffentliche Bloßstellung von Journalisten und Oppositionellen ist in Aserbaidschan kein neues Phänomen. Unter dem Titel "Die nackte Wahrheit über die Opposition" zeigte der Fernsehsender Lider kurz vor den Parlamentswahlen 2010 zur Primetime gleich mehrmals ein unzensiertes Sex-Video mit dem Herausgeber des Oppositionsblatts "Asadliq". Der Sender gehört einem Cousin von Präsident Alijew.
Immer wieder werden Kollegen von Ismailowa Ziel solcher Kampagnen. "Als erste Videos mit Freunden von mir auftauchten, habe ich ein Zelt in meiner Wohnung aufgestellt, um wenigstens ein bisschen Intimsphäre zu haben. Später habe ich erkannt, wie grotesk das ist - und es wieder abgebaut."
Aserbaidschan ist seit 2001 Mitglied im Europarat und hat die Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Der Drang der Herrscherfamilie gen Westen, ihr modernistisches Gehabe, der Wunsch, sich dem europäischen Geldadel anzudienen und ein gigantisches neues Dubai am Kaspischen Meer zu etablieren, lässt den Kontrollwahn und die archaischen Methoden noch unheimlicher erscheinen.
Heroin in die Tasche gesteckt
Es sind die global denkenden, gebildeten jungen Aserbaidschaner, die derzeit gegen das Regime auf die Straße gehen. Der heute 21-jährige Blogger und Politaktivist Jabbar Sawalan ist einer der berühmtesten unter ihnen. Er sitzt im Oppositionellencafé Araz, wo Polizisten und Regimekritiker ungewohnt einträchtig zusammenkommen, rauchen und zu lauter Musik warme Kichererbsen mit Butter essen.
Sawalan nahm im Februar 2011 an einem Meeting teil. Laut seiner Aussage jubelten ihm Sicherheitsleute ein Gramm Heroin unter. Noch auf dem Nachhauseweg wurde er wegen Drogenbesitzes festgenommen und im Mai zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 2011 wurde er vorzeitig entlassen. Das Europäische Parlament und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hatten sich für seine Freilassung eingesetzt.
Natürlich habe er mit seiner Festnahme gerechnet, seit er kritische Artikel über den Alijew-Clan veröffentlicht hatte. Die ungerechtfertigte Anklage habe ihn dennoch schwer getroffen. "Die Zeit im Gefängnis hat mich aber stark gemacht. Ich will, dass unser Volk aufwacht, seine Rechte kennt und für sie kämpft."
Auch Chadidscha Ismailova denkt nicht ans Aufgeben: "Meine Wut ist größer als meine Angst."
Am 7. März bekam Chadidscha Ismailowa einen anonymen Brief, darin ein Umschlag mit sechs Fotos "intimer Art", wie sie es nennt. Dazu die Botschaft: "Schlampe, reiß dich zusammen oder du wirst entehrt." Nur eine Woche später war ein Video im Internet zu sehen, das die Journalistin beim Sex mit ihrem Freund zeigte. Gleichzeitig bezichtigten zwei regierungstreue Zeitungen sie einer laxen Moral - mit Hinweis darauf, wo man das Video abrufen könne.
Ismailowa sitzt rittlings auf einem mit Intarsien verzierten Stuhl, die Lehne hält sie fest umschlungen. Die vergangenen Wochen haben dunkle Schatten unter ihren Augen hinterlassen, die Journalistin ist sichtbar erschöpft. "Die Regierung hat mich gedemütigt und zum Objekt gemacht, aber die Gesellschaft ist für mich aufgestanden", sagt sie mit finsterer Miene.
Das Gespräch findet bei einer Freundin statt, vor der Haustür ragt die ehrgeizige Skyline von Aserbaidschans Hauptstadt Baku in den Himmel. In einigen Wochen soll hier der Eurovision Song Contest stattfinden. Die Frühlingssonne bricht sich an den bläulichen Fassaden der "Flammentürme" - eines der architektonischen Vorzeigeprojekte des autoritär regierenden Präsidenten Ilham Alijew. Das Licht schmerzt in den Augen.
Die Wohnung der Reporterin ist als Treffpunkt tabu, spätestens seit sie ahnte, dass hier Kameras und Mikrofone auf sie gerichtet waren - im Wohnzimmer, vielleicht im Bad, vor allem aber im Schlafzimmer. Dass Beamte aus höchsten Kreisen hinter der Aktion stecken, steht für die Journalistin außer Zweifel: "Sie haben gedacht, ich tauche ab, aber das war eine Fehleinschätzung. Wäre ich nur einen Schritt zurückgegangen, ich wäre geliefert gewesen." Ihre Beharrlichkeit zahlte sich aus: Selbst regierungstreue Medien nahmen davon Abstand, das heimlich aufgenommene Video oder Fotos davon zu zeigen.
"Den Gerichten sind Beweise egal"
Ismailowa erstattete Anzeige, wegen Verletzung der Privatsphäre. Jetzt laufen die Ermittlungen. Große Erwartungen hat sie nicht: "Den hiesigen Gerichten sind Beweise egal, sie werden ohnehin eine politische Entscheidung treffen." Man werde bis zur letzten Instanz gehen, um dann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf das Beste zu hoffen.
Nun sind Schmutzkampagnen dieser Art generell keine schöne Sache. Sie sind umso verheerender, wenn das Opfer eine unverheiratete Frau in einer muslimischen Gesellschaft ist. Zwar gebärdet sich die Regierung säkular, verbietet das Tragen von Kopftüchern in Schulen und geht demonstrativ gegen den Bau von Moscheen vor. Dennoch spielt die religiöse Moral unter den überwiegend aus Schiiten bestehenden Gläubigen eine große Rolle. Deshalb überraschte es Chadidscha Ismailowa umso mehr, dass sogar muslimische Autoritäten ihr den Rücken stärkten: "Sie haben verstanden, dass es hier nicht um Persönliches, sondern um Politik geht."
"Wir sind keine Journalisten, wir sind Partisanen", sagt Vidadi Memmedov, seit vielen Jahren Redakteur bei der regierungskritischen Zeitung "Azadliq". Immer wieder würden er und seine Kollegen verfolgt und bedroht. "Wir wissen, wer uns festnehmen, erpressen, schlagen oder gar töten wird. Aber wir kämpfen für die Freiheit des Wortes. Wir halten das für unsere Pflicht."
Jeden Abend geht Ismailova bei "Radio Liberty" auf Sendung. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die gestandene Reporterin durch ihre investigative Arbeit. In mehreren Publikationen versuchte sie die heimliche Privatisierung von Staatsunternehmen durch die Präsidentenfamilie aufzudecken. "Ich habe mich zu ausgiebig mit den Töchtern von Ilham Alijew beschäftigt, das hat ihnen nicht gefallen." Zuletzt berichtete sie über mutmaßliche Beteiligungen von Lejla und Arzu Alijew an der Telefongesellschaft Azerfon - über in Panama registrierte Firmen.
"Sex nur unter der Bettdecke und bei abgeschaltetem Licht"
Zwar sind sich alle Menschenrechtler einig, dass die Welt für den Eurovision Song Contest nach Baku kommen sollte, um sich selbst ein Bild von der Situation im Land zu machen. Ismailowa warnt aber ausländische Journalisten, dass auch sie ausgespäht werden könnten - im Hotelzimmer, auf der Straße, überall: "Jeder sollte sich Sorgen machen. Big Brother ist überall."
Davon konnte sich auch SPIEGEL ONLINE überzeugen. Während eines Treffens mit einem Oppositionsführer verfolgte ein "Liebespaar" am Nebentisch im Café jedes Wort des etwa einstündigen Interviews, während vor der Tür mehrere Sicherheitsbeamte in Zivil Stellung bezogen hatten. Auf der Straße nahmen mindestens zwei Personen die Verfolgung auf. Eine weitere machte Fotos.
"Sex nur unter der Bettdecke und bei abgeschaltetem Licht" lautet der durchaus ernst gemeinte Rat der regimekritischen Aktivistengruppe Freie Jugend an die Besucher des Eurovision Song Contest in Baku.
Die öffentliche Bloßstellung von Journalisten und Oppositionellen ist in Aserbaidschan kein neues Phänomen. Unter dem Titel "Die nackte Wahrheit über die Opposition" zeigte der Fernsehsender Lider kurz vor den Parlamentswahlen 2010 zur Primetime gleich mehrmals ein unzensiertes Sex-Video mit dem Herausgeber des Oppositionsblatts "Asadliq". Der Sender gehört einem Cousin von Präsident Alijew.
Immer wieder werden Kollegen von Ismailowa Ziel solcher Kampagnen. "Als erste Videos mit Freunden von mir auftauchten, habe ich ein Zelt in meiner Wohnung aufgestellt, um wenigstens ein bisschen Intimsphäre zu haben. Später habe ich erkannt, wie grotesk das ist - und es wieder abgebaut."
Aserbaidschan ist seit 2001 Mitglied im Europarat und hat die Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Der Drang der Herrscherfamilie gen Westen, ihr modernistisches Gehabe, der Wunsch, sich dem europäischen Geldadel anzudienen und ein gigantisches neues Dubai am Kaspischen Meer zu etablieren, lässt den Kontrollwahn und die archaischen Methoden noch unheimlicher erscheinen.
Heroin in die Tasche gesteckt
Es sind die global denkenden, gebildeten jungen Aserbaidschaner, die derzeit gegen das Regime auf die Straße gehen. Der heute 21-jährige Blogger und Politaktivist Jabbar Sawalan ist einer der berühmtesten unter ihnen. Er sitzt im Oppositionellencafé Araz, wo Polizisten und Regimekritiker ungewohnt einträchtig zusammenkommen, rauchen und zu lauter Musik warme Kichererbsen mit Butter essen.
Sawalan nahm im Februar 2011 an einem Meeting teil. Laut seiner Aussage jubelten ihm Sicherheitsleute ein Gramm Heroin unter. Noch auf dem Nachhauseweg wurde er wegen Drogenbesitzes festgenommen und im Mai zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 2011 wurde er vorzeitig entlassen. Das Europäische Parlament und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hatten sich für seine Freilassung eingesetzt.
Natürlich habe er mit seiner Festnahme gerechnet, seit er kritische Artikel über den Alijew-Clan veröffentlicht hatte. Die ungerechtfertigte Anklage habe ihn dennoch schwer getroffen. "Die Zeit im Gefängnis hat mich aber stark gemacht. Ich will, dass unser Volk aufwacht, seine Rechte kennt und für sie kämpft."
Auch Chadidscha Ismailova denkt nicht ans Aufgeben: "Meine Wut ist größer als meine Angst."
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