Tuesday, May 14, 2013

TBILISI: "Kulturgüter von unschätzbarem Wert" & Gefährdetes Jugendstil-Juwel im Kaukasus - Von Tatjana Montik (derstandard.at)

(derstandard.at) Eine Wiener Restauratorengruppe konzentrierte sich auf Gitter, Balkone, Vordächer und Portale 

Ein Beispiel für kunstvolle Jugendstil-Gitter auf einem Friedhof in Tiflis.
vergrößern 800x600 foto: tatjana montik
Wien/Tiflis - Nachdem Präsident Michail Saakaschwili 2003 an die Macht gekommen war, wurde sich Georgien zunehmend seines kunst- und kulturhistorischen Erbes bewusst, und es begannen Projekte zur Restaurierung der alten Bausubstanz. Als Mäzen trat oft der Milliardär Bidzina Iwanischwili auf; damals ein Mitstreiter Saakaschwilis, zählt der heutige Premierminister mittlerweile zu dessen erbittersten Gegnern. 
Im Rahmen eines der Projekte führte eine Gruppe österreichischer Fachleute, geleitet von dem in Wien lebenden georgischen Künstler Giorgi Okropiridse, Restaurierungen von mehreren Objekten aus der Zeit des Fin de Siècle in Tiflis durch. Neben dem georgischen Kulturministerium waren daran das österreichische Außenministerium und die Tiflisser Kunstakademie beteiligt.

Auszug aus dem Projekt "Schmiedeeisengitter aus dem Jugendstil" der Wiener Werkstätte für Metallrestauration von Elisabeth Krebs und Claudia Magin: "Tiflis besitzt mit seiner noch vorhandenen Menge und Vielfalt an Jugendstilobjekten Kulturgüter, die aus konservatorischer Sicht einen unschätzbaren Wert darstellen. Beispiele dieser Zeitepoche sind nur in wenigen europäischen Städten in solch komplexer Weise erhalten. Die Gebäude im Zentrum von Tiflis zeigen zum Großteil noch ihr originales Erscheinungsbild. Fassaden mit Stuck, originale Fenster und Türen, Schmiedeeisengitter, Balkone und Treppengeländer sowie die oft noch erhaltenen Tapeten und Malereien in den Stiegenhäusern lassen die ehemalige Pracht der Jahrhundertwende erahnen. Derart reich gestaltete Stiegenhäuser finden sich in Europa nur mehr in Stadtpalais, und sie werden dort aufwändig restauriert."

Im Rahmen des Projektes untersuchte und fotografierte die Restauratorengruppe mehr als 500 Jugendstilgitter, Balkone, Vordächer, Tore, Türen und Metallobjekte aus der Jahrhundertwende. Danach wurden die ausgewählten Objekte zusammen mit einer Restauratorenklasse der Kunstakademie Tiflis auf ihre Originalfarbe hin untersucht und restauriert.

Der in Wien lebende georgische Künstler Giorgi Okropiridse leitete ein Restaurationsprojekt.
vergrößern 800x532 foto: tatjana montik - Der in Wien
lebende georgische Künstler Giorgi Okropiridse

Projektleiter Okropiridse: "Weitere Projekte wären aus gesamtrestauratorischer und denkmalpflegerischer Sicht äußerst wünschenswert gewesen ... Doch alles scheiterte daran, dass die georgische Seite kein besonderes Interesse mehr bekundete."

Tatsächlich wurde in den letzten Jahren am äußeren Bild von Tiflis und anderen Städten viel getan. Ganze Stadtviertel von Tiflis wurden restauriert. Doch viele Fachleute bemängeln die Qualität der Arbeiten. So entstanden Potjemkin'sche Dörfer. (tm, Crossover, DER STANDARD, 14.5.2013)

Gefährdetes Jugendstil-Juwel im Kaukasus

Von den starken kulturellen Bindungen Georgiens an Europa zeugen unter anderem viele Jugendstilbauten in der Metropole Tiflis und anderen Städten

Ein Beispiel für buchstäblich vordergründige Renovierung in Tiflis.
foto: tatjana montik - Vordergründige Sanierung
Tiflis ist bekannt für seine uralten Kirchen, die bis ins 4. Jahrhundert zurückdatieren, seine von der Kunst des Islam geprägten Häuser, das orientalische Erscheinungsbild der Schwefelthermen und die kunstvoll geschnitzten Holzbalkone. Doch kaum jemand würde die Stadt mit Jugendstilbauten in Verbindung bringen.

Dabei prägt die Architektur des Fin de Siècle das Gesicht mehrerer Altstadtviertel: Sololaki, Vere, Mtatsminda, Awlabari und Tschugureti. Dort werden mehr als 250 Gebäude dem Jugendstil oder seinen Mischformen zugeordnet. Zu den berühmtesten Jugendstilbauten von Tiflis zählen das Zentralbankgebäude, das Mardschanischwili-Theater, die TBC-Bank-Zentrale, die Zentralbibliothek und das Apollo-Kino. Darüber hinaus gibt es weniger bekannte, gleichwohl prachtvolle Objekte wie zahlreiche Miets- und Herrenhäuser, eine Tabakfabrik und einen Friedhof.

Jugendstil-Ornamentik auf Georgisch: Ein Saal in der heutigen Kunstakademie von Tiflis.
vergrößern 800x600 foto: tatjana montik
Maia Mania ist Professorin für Architekturgeschichte an der Tiflisser Kunstakademie. Die Akademie befindet sich in der Gribojedow-Straße in einem 1856 von einem armenischen Kaufmann erbauten Haus, das 1902 vom Jugendstil-Architekten Simon Kldiaschwili umgebaut wurde.
 
Der Jugendstil sei um die Jahrhundertwende auch im Kaukasus hochaktuell gewesen, bezeugt Maia Mania. Gebäude im Jugendstil gibt es nicht nur in Tiflis, sondern auch in anderen georgischen Städten, wie Kutaisi, Sochumi, Poti, Kobuleti, Duscheti und Batumi. Diese Stilrichtung gelangte unter anderem über Russland nach Georgien, doch teilweise auch direkt auf dem Seeweg über den Schwarzmeerhafen Batumi. Die georgische Oberschicht hatte damals viele Verbindungen nach Europa und brachte die neuesten Kunstströmungen mit nach Hause.

Im Gegensatz zu Baku, heute Hauptstadt des benachbarten Aserbaidschan, wirkten in Georgien überwiegend einheimische Architekten: Michail Ochadschanow, Lazar Sarkisian, Simon Kldiaschwili, Pawel Zurabian, Grigol Kurdiani. Eines der imposantesten Jugendstil-Gebäude in Tiflis ist das Wohnhaus des Cognac-Magnaten David Saradschischwili in der Matschabeli-Straße 13. Seit 1920 beherbergt es das "Haus des Schriftstellers".

Guga Koketischwili, ein Tiflisser Künstler, Designer und Jugendstil-Liebhaber, ist gerade dabei, das Saradschischwili-Haus zu restaurieren. Er hatte Glück. Im Dachgeschoss des Hauses wurden viele Originalmöbel und alte Fotos gefunden. "Davon, dass wir Georgier schon damals sehr nahe an Europa waren, zeugt etwa ein kleines Detail: Bei der Restaurierung haben wir auf der Gartenterrasse schöne Kacheln von Villeroy & Boch gefunden, von denen uns einige fehlten. Wir wandten uns an die Vertretung von Villeroy & Boch in Tiflis. Dabei erfuhren wir, dass es exakt solche Kacheln auf der Titanic gegeben haben soll."

Jugendstil-Führerin: Nestan Tataraschwili.
Jugendstil-Führerin: Nestan Tataraschwili.
2006 trat Tiflis dem europäischen Jugendstilnetzwerk bei, was auch das Verdienst der Architektin Nestan Tataraschwili ist. Sie hat auch eine Touristenroute für Jugendstilliebhaber entwickelt und einen Reiseführer zusammengestellt. Ihre Diplomarbeit hatte sie 1983, ermuntert von ihrem Professor, Simon Kintsuraschwili, dem Jugendstil gewidmet. Damals, in den letzten Jahren der Sowjetunion, war das fast undenkbar, da die Kunstrichtung unter den Kommunisten als dekadent galt. Jugendstilbauten wurden höchstens oberflächlich renoviert.

Auch deshalb sind laut Maia Mania heute viele Tiflisser Jugendstilhäuser baufällig. Der andere Grund sei der unsensible Umgang mit der historischen Bausubstanz insgesamt, sagt Manfred Nawroth von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die im Auftrag von Präsident Michail Saakaschwili in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erfolgte Restaurierung des imposanten Davit-Aghmaschenebeli-Prospektes im historischen deutschen Viertel steht als Paradebeispiel dafür, wie historische Bausubstanz beschädigt wird.

"Politische Entscheidungsträger und Investoren verfolgen eigene Interessen, die andere sind, als die Erhaltung der Bausubstanz. Ein Neubau oder ein scheinhistorisches Fake tun es da auch. Tiflis droht sein historisches Gesicht zu verlieren", sagt Nawroth. Daher müssten die Mahnungen von Fachleuten stärkeres Gehör finden, um die Stadt im Wahn der schnellen Veränderung nicht vollständig zu zerstören. (Tatjana Montik, Crossover, DER STANDARD, 14.5.2013)




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