Tuesday, May 31, 2005

Berge, Sprachen und Tourismus im Kaukasus

Im Internet fand ich eine sehr schöne Seite zu einem Projekt "Die Namen der Berge" , dass sich auch mit dem Kaukasus befasste.




"Bereits seit etlichen Jahren werden in Forschung, Ausstellungsbetrieb, aber auch in den Medien die Berge verstärkt wahrgenommen. ... So wie auch in einer Reihe von kleineren Forschungsarbeiten, ist es dem INST ein Anliegen, im Zusammenhang mit seinem Berg-Projekt kulturelle Zugänge der Menschen zu den Bergen in den Mittelpunkt zu stellen."

Auf der Internet-Seite findet man einen Text von Guram Lebanidze:
Georgien - paradoxes Spiegelbild des Abendlandes
"Wenn aber das alles stimmt - und das stimmt ohne Zweifel - muß die georgische Identität jene antinomische Struktur besitzen, die in ihrer Tiefe zwei sonst miteinander unvereinbare Pole - das mit der griechischen Orthodoxie gemeinte Glaubenswesen und das mit die westeuropäischen sozialen Struktur gemeinte Individualität - birgt und miteinander paradoxerweise verbindet."
und und u.a. Texte zur:
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Ökologie und Kultur, von Thomas V. Gamkrelidze (Staatliche Ivane Dshawachischwili Universität)
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Die sakrale Gemeinde, von Surab Kiknadze (Staatliche Dshawachischwili Universität, Tbilissi)
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Mythologie und Gegenwart - der Kaukasus im Europäischen Bewusstsein, von Herbert Arlt (Wien)



Der Kauskasus im sprachlichen Weltraum* Kaukasus: Berg der Sprachen, von Robert Schmitt-Brandt (Universität Heidelberg)
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The Main Socio-Linguistic Tendencies in the Post-Soviet Caucasus, von Teimuraz Gvantseladze (Staatliche Ilia Tschawtschawadze Universität für Sprache und Kultur, Tbilissi)
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The Language Psychology of the Georgians, von Amiran Lomtadze / Manana Tabidze / Revaz Scherozia (alle von der Staatlichen Ilia Tschawtschawadze Universität für Sprache und Kultur, Tbilissi)
Der Berg als kaukasischer Kulturraum
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Religiöse Richtungen im Pankissital, von Chwtiso Mamisimedaschwili (Forschungszentrum für Kaukasiologie, Signagi)
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Die mittelalterlichen georgischen Kulturdenkmäler - Architektur und Wandmalerei, von Ani Kldiaschwili (Staatliche Ilia Tschawtschawadze Universität für Sprache und Kultur, Tbilissi)
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Historical Monuments of Highlands of South Georgia, von Devi Berdzenishvili (Staatliche Ivane Dshawachischwili Universität Tbilissi)
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Mountain as a Concept of Human Nature. Alienation in Time and Space: Vision of the World as a Unity of Order and Drama, von Kote Gogolashvili (Ilia Chavchavadze State University)
Der Kauskasus als touristischer Kulturraum* Mountainous Regions - Potential and Prospects Legislative Space and Analyses or International Assistance, von Koba Arabuli (Ilia Chavchavadze State University) / Tea Giorgadze (Caucasus Highland Center, Tbilisi)
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Tourism Development Perspectives in Svaneti, von Shota Chartolani (Akademie der Wissenschaften Georgien)
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Das kulturelle Erbe Georgiens und der Tourismus, von Vasha Tschintscharauli (Caucasus Higland Center, Tbilisi)
Vom 14. bis 22.5.2005 veranstaltete die Ilia Tschawtschawadze Universität für Sprache und Kultur Tbilissi ein Kulturseminar: Städte, Kurorte, Berge, Mythen und Weinbau Georgiens:
Am 1./2. Mai 2003 fand an der Universität in Tbilissi eine Konferenz zum Thema "Berge, Sprachen und Tourismus im Kaukasus" mit einer breiten überregionalen Beteiligung statt. Vom 28.7. bis 5.8.2003 erfolgte eine Besteigung des Kasbegi (5.047 m). Und 2005 folgt ein Kulturseminar und eine Konferenz.

Auch dieses Jahr bietet Kaukasus-Reisen eine Bergtour auf den Kasbegi an! Internet: http://kaukasus.blogspot.com/2005/05/climbing-mount-kasbek-july-2005.html
Ziel der INST-Kulturseminare ist es, eine kulturwissenschaftliche Vermittlung eines Landes zu ermöglichen bzw. Kenntnisse durch eine solche kulturwissenschaftliche Ermittlung zu erhalten und dabei die Sinnlichkeit (Anschauung, Geschmack, Gehör) nicht zu vernachlässigen. Für die Kulturseminare stehen ausgewiesene WissenschafterInnen des Landes zur Verfügung. Verantwortlich für die Organisation ist Dr. Koba Arabuli (Leiter des Tourismus-Institutes der Universität).

Die Konferenz "Mythen und Berge" hat zum Ziel, einen weltweiten Vergleich von Berg-Mythen durchzuführen. Die Ergebnisse werden auf den INST-Bergeseiten publiziert werden sowie auf der CD, die dem Buch "Das Verbindende der Kulturen" beiliegen wird, das im Oktober 2004 bei der Buchmesse in Frankfurt am Main präsentiert werden soll.
Internet: http://www.inst.at/kuse/tbilissi.htm
Hier finden Sie das Programm: Mythen und Berge/Myths and Mountains

Monday, May 30, 2005

PIPELINE: "Die längste Schlange der Welt" (heise.de)

Thomas Pany veröffentlichtete heute in Telepolis einen Artikel zur längsten Pipeline der Welt im Kaukasus, die von Aserbaidschan (Baku) durch Georgien in die Türkei (Ceyhan) verläuft. In Anlehnung an das "wilde Kurdistan" nennt er das Ganze: "Pipelinistan" - Das große Spiel um Zentralasien

Im Teaser wird schon deutlich: "Es ist ein Jahrhundertbauwerk, das am letzten Mittwoch im Sangachal-Terminal an der aserbaidschanischen Küste des kaspischen Meeres
eingeweiht wurde.

Die Meldungen über die "Milliardenröhre" (Handelsblatt) blieben meist dem Wirtschaftsteil vorbehalten, aber alle Kommentatoren waren sich darüber einig, dass die "BTC-Pipeline" nicht nur "Aseri Light" transportiert, sondern auch für geopolitischen Zündstoff der ersten Klasse sorgen kann."

Dazu gibt es noch einen ausführlichen Artikel vom 08. Dezember 2003 in Telepolis:
"Georgien und das Öl"

Sunday, May 29, 2005

REISE: Kaukasus-Reisen mit Hans Heiner Buhr

Hans-Heiner Buhr betreibt im Kaukasus in sehr kleines, feines Reiseunternehmen. Als Reiseführer zeichnet er sich gerade dadurch aus, dass er auf spezielle Wünsche der Kunden einzugehen versteht!


Link: www.kaukasus-reisen.de

RADIO: Von wahrer Freundschaft, heiliger Tradition und unerschöpflicher Gastfreundschaft im Kaukasus

Manuskript gesendet April/2004 auf dem SWR
von Ralph Hälbig

Gia war auf der Flucht. Einst wurde sein Freund für den Tod eines anderen festgenommen. Gia nahm die Schuld auf sich und versteckte sich in den Bergen. Hier wurde er geboren, hier lebt heute noch ein Teil seiner Familie, und hier blieb Gia, ständig auf der Flucht. Die Polizei wusste, dass er hier steckte. Die Häscher sahen darüber hinweg, wenn er an hohen Feiertagen oder zu Familienfesten zu seiner Frau und seinen Kindern ins Tal ging – hier, in Tuschetien, ist es undenkbar, dass ein Mann bei solchen Anlässen fernbleibt. Zudem waren sich die Polizisten sicher, dass Gia danach wieder in die Berge zurückgeht – für einen Ehrenmann versteht sich das von selbst. Heute kann sich Gia halbwegs frei bewegen, seine Schuld ist sozusagen abgebüßt.
Es gibt in Georgien kaum einen besseren Ort als Tuschetien für eine solche Flucht. Der höchste Punkt der Region im Nordosten der Kaukasusrepublik liegt auf 4500 Metern, der niedrigste immer noch in 1600 Meter Höhe. Die Flüsse heißen hier schon mal Tschan-tscha-chow-nisz-kali, die Straßen Zchwris-Chorchi, was selbst für georgische Ohren einigermaßen fremdartig klingt. Die Menschen leben hier als Bauern und Hirten, die ihre Schafe vor Hyänen, Bären und Wölfen schützen. Es gibt einige wilde Ecken in Georgien, aber Tuschetien ist diejenige, wo die althergebrachte Lebensweise beinahe ursprünglich ist. 12 Jahre lang ist hier Gia von Dorf zu Dorf gezogen, von einem Verwandten zum nächsten Freund, Ehrensache für alle, die ihm halfen – so will es die Tradition. .

Von seiner eigenen Geschichte macht der Mann nicht viel Aufhebens, aber wenn es um sein Land geht, kommt er ins Schwärmen. Die Tuschen sind zwar Georgier, haben aber ihren eigenen Dialekt und eine eigene regionale Kultur. Omalo heißt der Hauptort der Gegend; Alt-Omalo ist immer noch ein Dorf mit kompakten Häusern aus Schiefern und engen Gassen, das sich in den Bergen duckt. Oder Dartlo, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

RADIO: Ostern in Georgien. Von Ralph Hälbig

Manuskript gesendet April/2004 auf dem SWR


Tika erzählte mir, dass sie deutsche Vorfahren habe. Überhaupt trifft man hier in Georgien öfters jemanden, der berichtet, dass die Urgroßmutter Ungarin war, oder der Urgroßvater ein französischer Offizier.

Tikas Mutter jedenfalls war Russin und kam irgendwoher aus diesem riesigen Reich. Damals war sie 15 Jahre alt. Hier in der Sonne fühlte sie sich wohl, lernte erstaunlich schnell die schwierige Sprache. Und das schönste war, dass sie in einem so genannten italienischen Innenhof heranwuchs. Hier verbrachte sie unzählige Stunden. Dann berichtete sie, dass dort im Keller ehemals ein berühmter Maler wohnte. Niko Pirosmani war sein Name. Damals hatte er keinen Platz zum leben, und er fand dort einen Ort, wo er bleiben konnte: einen dunklen und feuchten Weinkeller, aber er war zu stolz, den Eigentümer zu bitten, ihm einen besseren Platz zu geben.

Pirosmani war mir ein Begriff. Mir sagte mal jemand, er sei der Begründer der naiven Malerei. Doch nach einem solchen Leben – er starb in Armut und an Hunger – war mir das nicht ganz einleuchtend. Niko sah die Menschen, ihre Gewohnheiten und ihr Verhalten und malte das ganze Land, seine Geschichte, seine Schönheit. Dann verstaute er seine Bilder; und die Leute in der Nachbarschaft diskutierten über ihn. Sie liebten seine Bilder: "Tamar" (die berühmte Frau des 12. Jahrhunderts), "Rustaveli" (den alten Schriftsteller), "Giorgi Saakadze" (eine historische Figur), "Irakli den II." (ein legendärer König) und viele andere. Niko war glücklich, seiner Passion zu folgen. Aber andere Leute, die seine Kunstwerke sahen, konnten ihn nicht schätzen; bekannt war er als Obdachloser und Trinker.

Gerade an Ostern erinnerte ich mich dann an eine Leinwand Pirosmanis mit dem Titel: Ostern. Wir weilten in Ratscha – einem der lieblichsten Landstriche in Georgien. Hier sollen die langsamsten Menschen der Welt wohnen. Wie wahr – ständig mussten wir auf unsere Freundin Tamuna warten. Die Landschaft auf dem Bild könnte Ratscha sein. Christus schwebt langsam gen Himmel und im Vordergrund auf der Wiese gibt es eine reich gedeckte Tafel. Gemerkt hatte ich mir, dass darauf ein Teller mit einem Berg roter Eier zu sehen war.

Den Tag der Kreuzigung von Jesu Christi nennt man in Georgien "Roten Freitag". Zur Erinnerung daran kocht man Eier und färbt sie rot mit Blut. Die Tradition, gefärbte Eier zu verschenken, war in vielen Kulturen bekannt. Der Brauch war oft mit dem Beginn eines neuen Jahres verbunden. Ein Philosoph erklärte, das Ei sei ein Symbol für die Schöpfung, ein Symbol der Wiedergeburt und des ewigen Lebens. Das Ei war das Symbol der Naturkraft. In Persien glaubte man, dass bis zur Entstehung der Welt nichts war außer Gott. Alles war dunkel. Dann wurde ein Ei geboren. Das älteste Kind Gottes, die Liebe, sorgte für das Ei. Es wuchs und wuchs – es entwickelte sich die ganze Welt. In Klöstern werden dort immer noch kunstvolle Eier bewahrt – als Zeichen der ewigen Geburt. Das Osterei ist ein Symbol der Überwindung des Todes und des Lebens nach dem Tod. Wie das Ei aus einer harten Schale Leben entlässt, so erstand der aus dem Grab, der uns neues Leben verleiht. Um daran zu erinnern deckt man in Westgeorgien die Gräber der Angehörigen mit roten Eiern zu. Dann ging man auf das Feld und feiert mit den gesegneten Gerichten das Osterfest. In Kachetien schlachtet man ein Lamm mit einem roten Band um den Hals und rollt rote Eier über die Gräber der Verstorbenen. In Georgien ist eine Sage aus Ratscha verbreitet: "Ostern saßen die Juden zusammen und kochten einen Hahn. Jemand erzählte, dass Jesus selber ein Kind schickte, um seine Auferstehung zu verkünden. Die Juden lächelten: Jesus sei so sicher wieder auferstanden, wie der Hahn im Kochtopf wieder lebendig werden würde. Nach diesen Worten sprang der Hahn aus dem Topf und krähte."

In der Sowjetzeit gingen die Leute am Ostersonntag auf den Friedhof. Nach den orthodoxen Regeln ist der Montag der Tag, an dem man zu den Toden geht. Heute fasten die Leute vor Ostern. Zu Ostern schenken sie sich dann bunte Eier, die sie aneinanderschlagen, so dass sie aufbrechen wie ein Grabgewölbe.

RADIO: Marktplatz der Sensationen. Von Ralph Hälbig

Manuskript gesendet April/2004 auf dem SWR


In Weimar auf einer Bank sprach ein Freund nach einer langen Pause davon, dass er einmal verliebt war. Tamara kam aus Georgien. Nun verstand ich Martins mysteriöse Reise: denn er fuhr einmal unbeirrt quer durch das Land, in dem damals Rebellen ihr Unwesen trieben. Sein Ziel war der fruchtbare Kaukasus, den er niemals erreichte. Am dritten Tag war es zu gefährlich und er kehrte um. Viel erfuhr ich nicht von diesem Land. Und als ich Jahre danach ebenfalls nach Georgien aufbrach, gab er mir einen Rat - unbedingt zu den Händlern und Viehtreibern zu gehen.

Als ich in Tiflis war, wohnte ich bei der Familie Gambashidze. Oft dachte ich an Martins Worte. Doch die Gastfreundschaft war ein festes Band. Zwar sah ich täglich das exotische Obst, Taschen voller Gemüse, Fladenbrote und Büffelkäse - Schweinsköpfe, Flaschen mit Wein und Brandy und lebende Hühner mit zusammengebundenen Beinen. Als Gast durfte ich dabei sein, wie diese Vorräte in der Küche zubereitet wurden. Doch wusste ich nicht, von woher sie Ludmilla heranschaffte. Als ich nach Tagen anmeldete, dass ich die Märkte sehen wolle; und gleich auch den berüchtigten Schwarzmarkt in Zchinvali und den hiesigen Trödelmarkt, hieß es, warum ich mich dieser Tortur aussetzen wolle, wenn es daheim am schönsten sei.

Am nächsten Tag nahm mich dann Ludmila mit in den Bahnhofsbezirk. Dort traute ich meinen Augen nicht. Da die Ladenmieten damals noch in staatlicher Hand waren, wimmelte beinahe halb Georgien an Ständen herum, die draußen vor den leeren Geschäften aufgebaut waren. Es war ein unendliches Labyrinth. Zwar fehlte der Luxus, doch hinsichtlich der Alltagswaren blieben keine Wünsche offen. Hier verlor ich Ludmila und irrte durch das Gedränge und Marktgeschrei. Meine Augen stöberten in Klamotten, Lederwaren, Büchern, Spielzeugen und Haushaltsgeräten. Ich probierte die geheimen Rezepte des Sirups: Kamille, Estragon, Zitrone und Minze. Schäbige Wolgas voller Melonen, Lastwagenladungen mit Kartoffeln säumten meterlange Lebensmittel- und Warentheken. Das war eine riesige Wagenburg. Dann lies ich mich treiben und plötzlich kam ich zu dem alten Basar: Junge blonde Russinnen von weit her verkauften die Farbpalette von Gewürzen, Blumen und Kräutern. Geifernde, fette Weiber aus Mengrelien, mit goldenen Zähnen, feilschten daneben um jedes Gramm von ihrem Acker. Und endlich fand ich dann den futuristischen Bahnhof wieder. Auf der Suche nach der Untergrundbahn, ging ich zu der gigantischen Wartehalle. Finstere Mienen mit Pistolen am Gürtel musterten mich am Eingang. Völlig ungeahnt empfingen mich dann hinter den Türen zahllose Vitrinen - voller Schmuck, Geschmeide und Armbanduhren aus einer Zeit, als Georgien sich das noch leisten konnte. Nun wird das alles verscherbelt. Und die Goldschmiede haben hier mit ihrem Werkzeug noch einen Platz gefunden. Sie wollen im Gespräch bleiben.

Bald fand ich die Rolltreppe, die tief in das Erdinnere führte. Unten verlor ich jedoch wieder die Richtung, obwohl ich nur eine Alternative hatte, entweder nach links oder nach rechts zu fahren. Da ich die georgische Schrift nicht lesen konnte und ich somit nicht exakt wusste wo ich aussteigen sollte, vertraute ich meinem Instinkt. Doch dieser verlies mich und so fuhr ich tiefer hinein in die Stadt als ich wolte. Ich beschloss daraufhin nur noch zu Fuß zu gehen. Das Beste ist, sich an den Fluss zu halten. Fußlahm sehnte ich mich in der Mittagshitze nach einer Rast. Und ich glaubte meinen Augen nicht: Fernsehgeräte und elektrischer Kram waren auf Kofferklappen und Motorhauben verteilt - um unvorstellbaren Krempel wurde unter Lorbeerbäumen gefeilscht. In den Baracken war ein Schwarzmarkt der Downloadszenerie. Hier war ein Eldorado für Trödler aller Art. Im Park stand eine Traube von Menschen mit nichts in den Händen. Hier sollen Wohnungen, Kredite und Informationen verklickert werden. Meine Müdigkeit schwand. Unfassbar war für mich, dass man hier den alten und neuen Lebensstandard Georgiens fand: Eine Schatz- und Wunderkammer unter einem staubigen Himmel: Musikinstrumente, altes Glas, Tafelgeschirr, antike Möbel, kunstvolle Waffenschmiede, Malerei, kaukasische und persische Teppiche und selbst Meißner Porzellan – und das alles geschmackvoll arrangiert.

RADIO: In Tiflis. Von Ralph Hälbig

Manuskript gesendet April/2004 auf dem SWR

Georgien, Georgien. Über die Boulevards von Tiflis flanieren die elegantesten Frauen. Die Politik spielt verrückt. Der Verkehr mit seinen ramponierten Ladas und glänzenden Jeeps ist dramatisch. Die Ampeln hängen in den Bäumen oder hinter Laternen. Rot und Grün sind eh bedeutungslos. Die Stadt bebt voller Leben. Über die von Krieg und Erdbeben gezeichneten Fassaden der Altstadt sendet die untergehende Sonne einen goldenen Glanz. Doch das alles ist halb so schlimm. In den Kneipen brummt das Geschäft. Argo und Kasbegi-Bier, Wodka-David, Tschatscha, der Tsinandali, Saperavi und der Kindsmarauli fließen in Strömen. Auf den Tischen Stör in Walnussöl und Kaviar. Lari oder Tetri, was kostet die Welt …



Wie eine Klippe steht dagegen das Iveria-Hotel am Beginn der wichtigsten Hauptstraße. Das Iveria dominiert die Stadt – es ist beinahe von überall zu sehen. Als der Abchasien-Krieg begann und die vielen Touristen abrupt ausblieben, verwandelte sich das Iveria in ein bestürzenden Koloss – ein Flüchtlingsheim für mehr als tausend Vertriebene aus dem paradiesischen Abchasien und Süd-Ossetien ragt in den Himmel. Noch heute harren die Flüchtlinge dort aus. Doch trotz engster Lebensverhältnisse richteten sie in diesem Gebäude eine Pension ein. Wer möchte, kann unter den Flüchtlingen für 15 Dollar pro Nacht übernachten.

Draußen auf den Straßen sieht man ernste Menschen, gepresst zwischen den Autos im Straßenverkehr. Manchmal stoppen die Fahrer ihre Autos in der Mitte der Straße, schwingen die Tür auf und gestikulieren zornig über andere Fahrer, schlagen die Tür zu und fahren fort, genauso hitzköpfig wie der gemeinte Fahrer.

Der christlichen Glaube mischte sich hier mit orientalischen Emotionen. Ein Engländer schrieb: „eine Psychologie des 12. Jahrhunderts lebt hier im 20. Jahrhundert“. Heute erscheinen solche Impressionen ungelenk bezüglich des ökonomischen Desasters, das dem Bürgerkrieg folgte. In dem neuen Staat der Armut kämpft die Stadt zäh für das frühere Selbstverständnis von Duft und Reichtum. Mit dem ersten Tag nach dem Bürgerkrieg las man emblematisch dafür das Wort Casino über der Restaurant-Tür des Iveria – während das Hotel darüber die Flüchtlinge bezogen.

Eine empfehlenswerte Route ist – weg vom Iveria-Hotel - der Rustaveli-Prospekt; eine Platanen-Allee, bebaut im Petersburger Stil. Unter den eleganten Fassaden des 19. Jahrhunderts strahlt die Straße eine Gegenwart verfeinerter Wachsamkeit aus. Hier laufen südländische Männer mit einem sagenhaften Selbstbewusstsein herum. Sie konfrontieren die Welt mit ihren tief liegenden Augen unter ihren dunklen Augenbrauen. Es wird gesagt, dass bis zum Zusammenbruch der Georgischen Monarchie bei einem von fünf Georgiern blaues Blut fließt.

Die Frauen erscheinen aufgeschlossener. Sie tragen geschmackvoll ihre Kleider, lieben ihre Schuhe, sind sehr modebewusst frisiert und beinahe immer geschminkt. Die Frauen fielen mir durch ihren olivfarbenen Teint, durch ihre vorzügliche Gefälligkeit auf. Lela erzählte mir auf dieser Flaniermeile, dass die Georgier wohl deshalb so ernst und schwarz gekleidet daherkommen, da vermutlich ihre Vergangenheit immer schon von Trauer begleitet war. Hier erinnert man sich der Tragödien, Dramen und Komödien des Lebens. Deshalb wohl auch ihre Aufrichtigkeit dem Tod gegenüber. An jeder Tafel gedenkt der Tamada – der traditionelle Tischführer - der Toten und derjenigen, die ohne Angehörige sind.

Stirbt jemand, dauert die Trauer hier Tage und droht die Hinterbliebenen zu verschulden. Denn eine beachtliche Zahl von Menschen begleitet den Toten auf seiner letzten Reise und besucht den Aufgebahrten im Haus. Der Tod soll seine Würde behalten; deshalb ist es wahrscheinlich für die Georgier oft so schwierig zu darüber zu reden, wenn die Not am größten ist, wenn Schermut sich einstellt, wenn Leute vor Verzweiflung aus dem Fenster springen.

RADIO: Der Kaukasus. Von Ralph Hälbig

Manuskript gesendet April/2004 auf dem SWR


Eine Sage berichtet davon, wie Gott die Menschen zu sich rief, um einen Großteil der Erde unter ihnen aufzuteilen. Auch die Georgier waren eingeladen. Doch auf dem Weg zu dem Allmächtigen wurden sie von Feinden angegriffen. Aufopferungsvoll und mutig erzwangen sie den Sieg. Zwar am Rande der Erschöpfung feierten sie dennoch ihren Triumph. So kamen sie berauscht und verspätet zu Gott. Gott war begeistert und beschenkte diese stolzen Seelen. Er überließ ihnen seinen göttlichen Garten.

Der Kaukasus trug maßgeblich zur Blüte Russlands bei. Hier gewannen russische Genies in der Sonne Kraft. Hier stand die Wiege einer besonderen, südlich-heiteren Kultur, voll leidenschaftlicher Poesie, Humor und Schönheit. Kurzum: Der Kaukasus und das Schwarze Meer wurden für Russland das, was Italien für Europa war.

Doch die Völker des Kaukasus hatten Pech. Sie fielen der russischen Lava zum Opfer, die sich aus dem dunklen Wald als glühende Zunge zum Meer fraß. Dass Puschkin, Lermontow und Tolstoi am Krieg beteiligte Offiziere waren, fügte ihrer Anbetung des Südens einen Beigeschmack von Stahl, den Geruch von Pulver und die Farbe des Blutes hinzu. Die Romantik des wilden Landes, die Schönheit der Berge und Wälder, die Breite der Strände, das Brausen des Meeres und andere Reize dieser Eroberungen machten erst die Existenz, dann die Ausrottung und Vertreibung der kleinen Völker zur Nebensache.

Tuschetien, Chewsuretien, Swanetien sind zerklüftetete Landstriche in den kaukasischen Bergen. Die höchsten von Schnee bedeckten Berge hegen diese Abgeschiedenheit mit ihren karstigen Bergrücken, Weiden, tiefen Schluchten, reißenden Bächen, unwegsamen Pfaden, fruchtbaren Gärten in Dörfern, die sich terrassenartig wie Schwalbennester an die Berghänge schmiegen. Majestätischen Gipfel und erhabene Bergketten sind die natürlichen Grenzen zu Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien.

Die Legenden und Sagen der Bergvölker sind das Ergebnis ihrer grenzenlosen Phantasie. Auch hier sind diese kleinen Sprachfamilien mit Feuer und Schwert christianisiert wurden. Doch ihr Edelmut überlebte. Immer noch sind ihre Rituale eng verbunden mit ihren heidnischen Stätten, die hier nur für die Männer zugänglich sind. Nirgends zeigen sich die Menschen so ungeschminkt. Kaukasier gelten immer schon als herausragend tapfer und tollkühn. Im Sommer leben die Familien ausnahmslos hier oben, bestellen ihre Gärten, schlachten Lämmer, führen die Herden auf die Weiden, machen Käse, züchten Pferde, fangen Forellen, rezitieren Verse, beschäftigen sich mit Handarbeiten und gehen auf die Jagd.


Will man in die Berge, so ist es ratsam einen versierten Fahrer zu suchen. Denn die Strecken hinauf und hinunter sind äußerst riskant. Hat man dann beispielsweise den Albano-Pass überquert und die halsbrecherische Tour ist überstanden, wird mit dem berüchtigten 60%igen Tschatscha auf das gelungene Unterfangen angestoßen. Von hier aus blickt man dann auf die heiligen Berge des Kaukasus, hinter sich hat man die weite Ebene der kachetischen Weinbauern; weitab sieht man die Bergsteppe Schiraki, wo die Herden überwintern. Getrunken wird dann auf das Wohl der Familie, der Kinder, der Toten und auf die, die keine Angehörigen mehr haben!

Die Ehre, die Liebe, der Respekt, die Freundschaft, die Verbindlichkeit des Wortes und die Gastfreundschaft an reich gedeckten Tischen bedeuten ihnen viel. In ihrem harten Leben haben sich elementare Beziehungen und Verbindlichkeiten zwischen den Menschen erhalten. So gibt es noch Autoritäten, die manches bewahren und die hier ungeachtet der Liberalisierung Georgiens ihr patriarchalisches Recht sprechen.

Auch in dieser Gegend Georgiens greift man sich gegenseitig unter die Arme. Der Gast ist von Gott gesandt. Der Gast wird nicht nur von dem selbstbewussten Tamada, dem Tischvorsitzenden geehrt: „Denn was man zu geben bereit ist, wird man auch von Gott bekommen.“ Im Winter fallen dann die Temperaturen auf Tiefststände. Bis zu vier Meter hoher Schnee begräbt dann diese Landschaft. Und auch dann gibt es keinen Strom und das Brennholz ist knapp.

ARTIKEL: Perfekte Choreographie eines kaukasischen Volkes. Von Ralph Hälbig

Veröffentlicht im Eurasischen Magazin (März 2005)


Das Georgian State Dance Company-Sukhishvili", wie das Staatsballett offiziell heißt, wurde weltweit immer wieder gefeiert. Mailand, New York, Tokio, Rio waren einige Stationen ihrer vielen internationalen Tourneen. Überall zollten die Gäste frenetischen Beifall. Die Sukhisvili-Company wurde 1945 von Iliko Sukhishvili und Nino Ramishvili ins Leben gerufen. Ihr riesiger Erfolg machte Schule. In Georgien wurden viele ähnliche Tanzgruppen gegründet, die sich die Sukhisvilis zum Vorbild nahmen. Heute gehören zum georgischen Nationalballett 60 Tänzer und ein kleines Orchester mit klassischen kaukasischen Instrumenten: Duduki, Salamuri, Tshonguri, Doli, Akkordeon, Gitarre, Perkussion, Trommeln.

Die Lebenslust der Georgier, die dieses Ensemble ausstrahlt, hat ihre eigenen Mythen. Dazu zählen nicht nur ihre Gastfreundschaft, ihr ungebändigtes Freiheitsgefühl, ihr Stolz und ihre Anmut. Fried Nielsen, ehemals stellvertretender Botschafter Deutschlands in Georgien, sagte: „Die Georgier lieben das Theater, ihr Leben ist vor allem Theater.“ So sollen zum Beispiel die Georgier geschlafen haben, als Gott seine Welt an die Völker verteilte. Als sie hörten, daß sie leer ausgehen würden, unterhielten sie den Allmächtigen mit Tanz und Musik, und das so ausdauernd, daß er weich wurde. Gott gab ihnen schließlich das kleine Paradies Georgien, welches er für sich selbst zurückbehalten wollte.

Den Tanz im Blut

Der Auftritt des Nationalballetts thematisiert die reiche Geschichte Georgiens. Die Zuschauer erleben die majestätische Welt einer folkloristischen Choreographie voller Emotionen. Akrobatische Tänze liegen den Georgiern im Blut. Ihr Tanz kann so heftig werden, daß die Klingen in ihren Schwerttänzen Funken schlagen. Tanz und Musik sind hier untrennbare Zwillinge. Herausragend ist, daß die professionellen Tänzer auch äußerst begabte Schauspieler sind.

Der Tanz ist eine der besten Referenzen für das kaukasische Land. Tanzen war für die Georgier schon immer eine Überlebensform. Ohne den Tanz würden sie ihr Wesen verlieren. Das selbstbewußte Temperament der Georgier hat seine Ursache in dem typischen Vielvölkergemisch zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer und natürlich in den zahlreichen historischen Bedrohungen von außen, denen das Volk in seiner Geschichte ausgesetzt war. Immer schon mußten sich die Georgier durchsetzen. Vor diesem Hintergrund formierte sich ein Bündel persönlicher Tugenden unter ihnen heraus. In allen Tänzen geht es um Talent, Mut und Weltklugheit, Höflichkeit, Rede und Moral. Die Tänze lassen etwas von dem Aroma des Landes und ihrer Gravität erahnen. Nicht zuletzt verführen 300 ausgezeichnete Kostüme zu einer Reise in das Kolchis, das mythische Land der Argonauten und des goldenen Vlieses, dorthin, wo Medeas Heimat ist und die Seidenstraße die Nahtstelle zwischen Orient und Okzident überquert. Die Sukhisvili-Company präsentiert auf der Bühne die seelische Spiegelung eines außergewöhnlichen Volkes.
Das Spektakel beginnt mit einem sogenannten Partsa, einem traditionellen Festtanz. Darin bilden die Männer eine lebende Pyramide. Die Tänzer stehen einander auf den Schultern und bewegen sich im Kreis. In den Dörfern hoch oben in den Bergen zieht solch eine Pyramide mit einem Musiker in ihrer Mitte zum traditionellen Heiligtum. Hält die Pyramide, heißt das, daß die Geister die Opfer des Dorfes angenommen haben – ein Glück verheißendes Vorzeichen.

Traditionelles Reglement

Auch andere Tänze folgen festen Regeln. Dem Zuschauer fällt sofort die ehrfurchtsvolle Beziehung zur Frau auf – die Ritterlichkeit und der Respekt der georgischen Männer gegenüber den Frauen. Der Mann hält Abstand und ist zurückhaltend in seinen Bewegungen. Allein die Augen und die Eleganz verraten Erregung und Leidenschaft. Verwegener sind ihre Bewegungen bei heroischen Verteidigungs-, traditionellen Hirten- oder magischen Jagdtänzen. Der „Adjaruli“ von der sonnigen Schwarzmeerküste ist hingegen ein bezaubernder Tanz, bei denen der Mann in einem Liebesduett auf das frivole und kokette Spiel der Frau eingeht. Trotz allem sind Berührungen während des Tanzes untersagt. Ein Mann muß seine Gefühle im Griff haben. Die Bewegungen jedes Tänzers folgen den Anforderungen eines allgemeinen Planes, gleichzeitig verlieren sie jedoch nicht ihre Individualität. Denn die Tänzer konkurrieren auch in der Stärke, in der Beweglichkeit, im Aufzug und in ihren ausdrucksvollen Bewegungen. Das heizt die Stimmung an.



(copyright Ralph Hälbig)



Die Rolle der weiblichen Tänzerinnen ist es, Anmut und Charme zu verkörpern. Ähnlich wie im klassischen Ballett, in dem jedes Gefühl seine eigene traditionelle Bewegung hat. Die Frauen sind zart und ruhig, sie gleiten auf kleinen Schritten dahin. Die männlichen Tänzer hingegen sind technisch virtuos und strotzen vor viriler Energie. Sie fordern sich gegenseitig zu gewaltigen Sprüngen und unglaublichen Pirouetten heraus, die der Schwerkraft trotzen. Geschwindigkeit und Präzision rauben einem den Atem. Und kaum vorstellbar ist, wie sie in ihren weichen Lederstiefeln auf ihren Zehen tanzen oder nach einer doppelten Umdrehung auf ihren Knien landen und gleich wieder hochspringen. Der Auftritt ist mitreißend und präzise bis in die Mimik.