Friday, February 03, 2006


Aus: Georgica 27, 2004: 51-72.
Die Kunst des Tischmeisters (tamadoba) – Eine männliche Domäne?
Spätestens seit der Bronzezeit spielen kultische Mahl- und Trankzeiten eine bedeutende Rolle für das gesellschaftliche und kulturelle Leben in Georgien. Auch in der Gegenwart findet geselliges Beisammensein zumeist in Form eines Bankettes (supra) statt. Das supra unterscheidet sich durch seine konstitutiven Eigenschaften sowohl von profanen Mahlzeiten, als auch von Banketten in der westlichen Welt. Neben der Nahrungsaufnahme steht der Konsum alkoholischer Getränke (besonders von Wein) im Vordergrund. Dabei gilt die Regel: Kein Tropfen Alkohol wird getrunken, ohne zuvor einen Trinkspruch (sad !egr 3elo)auszubringen.
Für die Einführung der Trinksprüche ist ein Tischmeister (tamada) zuständig, der zuvor von den versammelten Gästen bestimmt worden ist. Aus einem tradierten Repertoire wählt der tamada das Thema seines Trinkspruches aus und formuliert dieses auf möglichst kunstvolle und individuelle Weise. Das „Gelingen“ eines supra hängt in erster Linie von den Fähigkeiten des tamada ab: Er soll die Gäste unterhalten, aber auch zu ihrer Bildung beitragen, und neben rhetorischem Geschick auch über soziale Kompetenz (bes. Durchsetzungs- und Einfühlungsvermögen) verfügen.
Ein weiteres Attribut, das einem tamada häufig zugeschrieben wird, stellt va z6acoba (ungefähr: Männlichkeit) dar. In meinen 2002 und 2003 zum Thema supra durchgeführten Interviews wurde diese Eigenschaft mit wenigen Ausnahmen von Frauen und Männern, jung und alt, Akademikern und Arbeitern sowie Stadt- und Landbewohnern als zentral erachtet. Damit stellt sich die Frage, ob die Institution des tamada eine öffentliche Inszenierung von Männlichkeitsidealen darstellt, oder anders gefragt: ob es sich bei der Kunst des Tischmeisters (tamadoba) um eine männliche Domäne handelt.

Das geläufige Verständnis von va z6acoba basiert hauptsächlich auf zwei literarischen Quellen: Zum einen handelt es sich um das georgische Nationalepos vepxis 79aosani (wörtlich: „Der mit einem Panther-/Tigerfell Angetane“) , den der Dichter Sota Rustaveli während des sog. „Goldenen Zeitalters“ Georgiens in den Jahren um 1200 verfasst hat. In diesem Werk zeichnen sich die männlichen Helden besonders durch die ritterlichen Tugenden Kühnheit und Treue aus. Zum anderen handelt es sich um die Werke von Vaza Psavela aus dem späten 19. Jh., in denen das Freiheitsstreben und Ehrgefühl der männlichen Protagonisten in der rauen Bergwelt Georgiens im Vordergrund steht. Alle hier genannten Werke sind in den klassischen Bildungskanon Georgiens eingeflossen und prägen das Idealbild eines Mannes auch im gegenwärtigen Diskurs.
Literatur:
Dragadze, Tamara 1988: Rural Families in Soviet Georgia. New York.
kartuli enis ganmmar 7eobiti leksi 6oni 1953-1964. Tbilisi.
Neimani, Aleksandre 1961: kartul sinonimta leksi 6oni. Tbilisi.
Psavela, Vaza [Pshavela, Vazha] 1981: Three Poems. Tbilisi.
Rayfield, Donald 1994: The Literature of Georgia. Oxford u. a.
Rustaveli, Sota 1953: vepxis 79aosani. Tbilisi.
Tschenkéli, Kita 1966-1974: Georgisch-Deutsches Wörterbuch. Zürich.
Weller, S.C./Romney, A.K. 1988: Systematic Data Collection. Newbury Park.

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