Von dem Stalinexperten und weltbekannten Buchautor und Kenner der russischen Geschichte: Simon Sebag Montefiore
Mit dem Angriff auf Georgien stellt Russland seinen alten imperialen Anspruch auf den Kaukasus unter Beweis. Und bringt damit die Weltordnung ins Wanken.
"Die russischen Tankkolonnen, die auf georgisches Gebiet rumpelten, verraten den Zorn eines Tigers, der die Maus zerquetscht, die ihn seit Jahren reizt. Südossetien mag so entfernt, banal und kompliziert erscheinen wie die Schleswig-Holstein-Frage im 19. Jahrhundert, aber bei Russlands Wut sind weit bedeutsamere Dinge im Spiel als die Osseten. Der Kaukasus ist äusserst wichtig für die Russen, und dies aus verschiedenen Gründen, von denen der wichtigste der ist, dass der Kaukasus nun auch für den Westen wichtig ist. Die Wirren in Georgien sind nicht das Pendant zum 1914 ermordeten Erzherzog Ferdinand in Sarajevo. Aber in diesem kleinen Krieg, zusammen mit der spektakulären olympischen Lancierung Chinas, werden Historiker vielleicht dereinst den Anfang der Dämmerung von Amerikas alleiniger Welthegemonie sehen. Wenn es im neuen «grossen Spiel» um das Öl des Kaukasus und Zentralasiens geht, dann scheint der Westen im Begriff, dieses Spiel zu verlieren.
Ich habe alle drei georgischen Präsidenten seit der Erlangung der Unabhängigkeit kennengelernt und bin Zeuge der Revolutionskriege im kaukasischen Pulverfass gewesen. 1991 chauffierte mich der Partisanenführer im ersten ossetischen Krieg, ein zum Warlord mutierter Zahnarzt, in die Dörfer um Zchinvali herum, in einem Hochland von üppiger grüner Schönheit, wo ein grausamer Krieg zwischen georgischen und ossetischen Bauern tobte. Sie kämpften mit einer Heftigkeit, wie sie nur zwischen engen Nachbarn möglich ist, und benutzten statt Tanks komische, selber gepanzerte Traktoren.Meine georgischen Gastgeber lehnten ihre Gewehre an einen Baum und führten mich zu einem Tisch im Freien, auf den zu Ehren eines am gleichen Tag gefallenen Jungen Leckerbissen geschichtet waren. Während des langen, trunkenen Banketts fragte ich, wo der Junge begraben sei. «Er ist nicht begraben», sagte mein Gastgeber, «er liegt zu deinen Füssen.» Erbleichend schaute ich hin, und da lag er, unter dem Tisch, auf ein Blumenbouquet gebettet.
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