(ftd.de) Händeringend sucht Georgien nach tüchtigen Bauern, die die brachliegenden Äcker des Landes bewirtschaften können. Fündig wurde Tiflis jetzt in Südafrika: Dutzende frustrierte Buren lassen sich abwerben, um im Kaukasus zu siedeln. Von Andrzej Rybak (Sartitschala)
Ein Pritschenwagen holpert über die löchrige Piste am Fuße einer kahlen Hügelkette. Piet Kemp hält neben einem Acker, auf dem der Mais gerade aufgegangen ist. Sorgenvoll betrachtet er die zarten Pflanzen und schweigt. "Dieser Frühling ist extrem kalt und windig gewesen, aber der Mais scheint in Ordnung", sagt er nach einer Weile. Als Farmer habe er eben immer mit dem Wetter zu kämpfen. "Hier in Georgien genauso wie in Südafrika."
Kemp ist neu im Land an der Südflanke des Kaukasus. Teil eines Vortrupps, ein Pionier, wie es seinem Selbstverständnis entspricht. "Als junger Soldat habe ich in der Aufklärung gedient. Diese Rolle liegt mir." Das Erscheinungsbild des 68-Jährigen mag nicht mehr stimmig sein. Drahtig zwar, aber die grauen Haare schütter, der leicht gebeugte Gang verrät sein Alter. Und doch hat Kemp sich 2011 noch einmal aufgerichtet, zu einem Umzug über mehrere Tausend Kilometer. Als erster weißer Farmer aus Südafrika folgte er einer Einladung der georgischen Regierung. Rund 65 Mio. Dollar und 85.000 Hektar Land stellt sie für ein kühnes Programm zur Verfügung: die Rettung der daniederliegenden Landwirtschaft. Richten sollen es die Buren, Südafrikaner mit holländischen Wurzeln.
Georgien braucht ihr Know-how und ihre Investitionen. Nach 70 Jahren Kommunismus samt miserabel gemanagten Staatsfarmen ist die Agrarproduktion in Trümmern. Auf den Zerfall der Sowjetunion folgten Privatisierungen durch korrupte Funktionäre. Große Flächen liegen seitdem brach, weil die Besitzer keine Ahnung haben, wie man Land bestellt. Die Dörfer fielen zurück in die Subsistenzwirtschaft, Bauern ernähren ihre Familien mit den Erträgen ihres Fleckchens Boden. 80 Prozent aller Lebensmittel muss Georgien importieren.
"Das ist ein unhaltbarer Zustand", sagt Mirza Davitaia, Staatsminister für Diaspora-Angelegenheiten und geistiger Vater von Georgiens Burenrevolution. "Als ich erfuhr, dass sehr viele burische Farmer nach Kanada und Australien ziehen, habe ich mich gefragt: Warum holen wir sie nicht nach Georgien?" Der 37-Jährige, im Hauptberuf Filmemacher, nahm Anfang 2010 Kontakt zur Transvaal-Landwirtschaftsunion auf, einem rechtsnationalen Verband burischer Farmer. Wenige Wochen später durfte er auf dessen Jahreskongress in Johannesburg werben. Kaum einer der Anwesenden wusste, wo Georgien liegt. Aber sie kannten Niko "die Boer" Bagrationi. Der georgische Fürst hatte Anfang des 20.Jahrhunderts an der Seite der Buren gegen die Engländer gekämpft. Mehr Überzeugungsarbeit brauchte es nicht.
Im August 2010 reiste der erste burische Erkundungstrupp nach Georgien. Seitdem kamen mehr als 100 Farmer, um sich nach einer Scholle umzusehen, mehr als 20 haben Boden erworben und die Staatsangehörigkeit bald dazuerhalten. "Jeder, der in Georgien investiert und Arbeitsplätze schafft, kann binnen wenigen Wochen georgischer Staatsangehöriger werden", sagt Davitaia. "Die burischen Bauern werden die Landwirtschaft modernisieren."
Zurückgelassen haben sie ein Land, das in den Erzählungen von Kemp unerträglich erscheint. Wenn er redet, hört man den Frust des weißen Mannes, der nach Ende der Apartheid um seine Existenz fürchtet. "Unsere Großväter haben mit ihrem Blut für unser Land bezahlt", sagt Kemp. "Wir haben geschuftet und gottesfürchtig gelebt. Aber es geht nicht mehr." Er zitiert offizielle Zahlen: Seit 1994 seien mehr als 3000 weiße Farmer von schwarzen Banden überfallen und ermordet worden.
Kemp hielt dagegen, bis zuletzt war er aktives Mitglied einer Bürgerwehr, die auch mal schoss, wenn eine Farm überfallen wurde. Zuvor war er Grenzschützer und kämpfte mit der Apartheid-Armee in den 70er-Jahren in Angola. Geschichtsvergessen nennt er die Machtübernahme durch Schwarze "den Beginn vom Ende eines großartigen Landes". Ein "nicht erklärter Krieg" herrsche, "die schwarze Regierung tut nichts gegen die Gewalt. Im Gegenteil: Sie kündigt an, die weißen Farmer enteignen zu wollen, um das Land an die Schwarzen zu verteilen." Also verkaufte Kemp die Farm bei Ermelo, auf der er mehr als 40 Jahre gelebt hatte.
Sein erster Eindruck von Georgien war durchwachsen. Der Boden sehr gut, das Wasser ausreichend, die Regierung hilfsbereit. Aber als Kemp die Dörfer sah, war er schockiert. All die löchrigen Straßen, die verkrüppelten grauen Häuser, der Müll dazwischen. "Die sehen ja schlimmer aus als die Landbesetzercamps in Südafrika." Und dann fiel auch noch die erste Ernte schlecht aus. 800 Hektar bewirtschaftet Kemp in Sartitschala, 30 Kilometer von der Hauptstadt Tiflis entfernt. "Die Pumpen für die Bewässerung wurden drei Monate zu spät ausgeliefert", sagt er. Außerdem fehle die Infrastruktur, Reinigungsanlagen und Trockner fürs Getreide, Silos und Lagerhallen. "Man muss alles selbst in die Hand nehmen."
Bislang aber scheitert eine breitere Ansiedlung von Buren vor allem an den zerstückelten Ländereien. Äcker in Staatsbesitz sind über Georgien verstreut, keine Basis für die Südafrikaner, die zusammenhängende Flächen wollen. "Eine große Farm bedeutet bei uns vielleicht 5000 Hektar", sagt der Landwirt Jacobus Louwrens aus Highveld. "Hier in Georgien gelten schon 100 Hektar als viel. Meist haben die Felder 20, 40 oder 60." Diasporaminister Dawitaia will nun die Privatbesitzer in die Pflicht nehmen, die ihren Boden allzu oft verkommen lassen: "Die ungenutzten Flächen werden mit einer Strafsteuer belegt, damit die Besitzer endlich anfangen zu produzieren. Oder verkaufen." Dieser Ausverkauf könnte den Buren zugutekommen.
Louwrens hatte Glück. Sein Konsortium aus sieben Farmern hat 1000 Hektar Land erworben, etwa 50 Kilometer von Tiflis entfernt. Einer seiner Partner habe jede Nacht auf Satellitenfotos bei Google Earth nach unbewirtschafteten Flächen gesucht. "Jeden Tag fuhr er dann durchs Land, um sich die Parzellen anzuschauen." Er fand ein riesiges Areal, auf drei Seiten umrahmt von sanften Hügelketten, hervorragend für Maisanbau geeignet. "In den Hügeln gibt es genug Wasser, das wir billig nutzen können", sagt Louwrens. 700 Dollar je Hektar hat er bezahlt, einen Bruchteil der südafrikanischen Preise. Rund 250.000 Dollar investierten die Buren zudem in eine Bewässerungsanlage, die sie gerade errichten. "So ein Bewässerungssystem gab es noch nie in Georgien", lobt Minister Davitaia. "Die Buren bringen die modernste Technologie ins Land."
Der stämmig-bärtige Louwrens ist erst vor fünf Monaten nach Georgien gekommen, um die Saisonarbeiten zu beaufsichtigen. Fünf seiner Partner sind in Südafrika geblieben, wo sie die Ernte einfahren. Sie zögern noch, ihren Besitz in Transvaal zu verkaufen. "Vielleicht können wir unsere Farmen parallel bewirtschaften", sagt Louwrens. "Wenn in Südafrika Sommer ist, ist in Georgien Winter, da kann man ohnehin nicht viel machen."
Für Kemp kam das nie infrage. "Ich habe endgültig Abschied von Südafrika genommen. Jetzt bin ich Georgier, auch wenn ich noch kein Georgisch spreche." Nach den anfänglichen Problemen ist er überzeugt, sich richtig entschieden zu haben. "Die georgischen Männer trinken zu viel, aber das sind alles anständige, nationalbewusste und stolze Menschen", sagt er. "Sie fahren Auto ohne Rücksicht auf die anderen, aber sonst gibt es hier kaum Kriminalität." Allein seine Kirche und seine Bräuche vermisse er. Im Dorf hat Kemp ein Haus gemietet, das vor Erinnerungen an Südafrika birst. Bald jedoch will er ein eigenes Farmhaus bauen, direkt neben dem Feld, ganz wie zu Hause. Vor einigen Monaten erst kam seine Frau nach. In Ermelo hat sie als Lehrerin gearbeitet, jetzt will sie den Kindern von Sartitschala Englisch beibringen, als Beitrag zur Integration.
Denn auch in Georgien begegnen ihnen Nachbarn mit Misstrauen und Neid. "Die Regierung sollte in erster Linie den eigenen Bauern helfen, auf die Beine zu kommen, statt die Buren zu verhätscheln", sagen sie. Wirklich angekommen sind die Siedler in ihrer neuen Heimat noch längst nicht.
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