Thursday, June 14, 2012

ARTIKEL: Zeigt Baku sein wahres Gesicht? Nach Eurovision Song Contest in Aserbaidschan (tagesschau.de)

(tagesschau.de) Zweieinhalb Wochen nach dem Eurovision Song Contest in Aserbaidschan hat die Aufmerksamkeit für das Land erheblich nachgelassen. Viele hatten befürchtet, dass die Regierung nach dem Wettbewerb noch härter als zuvor gegen die Opposition durchgreifen könnte. Anzeichen dafür gibt es.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de, zzt. Tiflis

Eine Demonstrantin hält am 17.03.2012 in Baku ein Plakat mit der Aufschrift "Freedom for political prisoners" (Freiheit für politische Gefangene). (Foto: dapd) (Klick führt weiter zum nächsten Bild) 

Der pompös zelebrierte Eurovision Song Contest ist seit zweieinhalb Wochen vorüber. Ein Kurzbesuch von US-Außenministerin Hillary Clinton in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku liegt einige Tage zurück. Die Aufmerksamkeit für das Land am Kaspischen Meer sinkt um ein gehöriges Maß.

Doch Kontakte und Informationskanäle in den sozialen Netzwerken funktionieren weiter. So machte eine Schlagzeile schnell die Runde: Der Fotograf Mehman Huseynov ist in Polizeigewahrsam. Nach einem Verhör durfte er nicht wieder nach Hause. Huseynov werde Hooliganismus vorgeworfen, sagte ein Innenministeriumssprecher dem Sender RFERL. Er habe bei einer unangemeldeten Demonstration am 21. Mai mehrere Polizisten beschimpft und tätlich angegriffen. Nach Angaben der aserbaidschanischen Journalistin Khadija Ismayilova sahen Zeugen, wie Huseynov angegriffen und seine Kamera beschädigt wurde. Inzwischen gab es eine Anhörung vor Gericht. Zwar muss Huseynov nicht in Untersuchungshaft bleiben, aber die Vorwürfe wurden nicht fallengelassen. Sollte der Fotograf des Hooliganismus für schuldig befunden werden, drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft. Treffen von Loreen und Huseynov

Huseynov war immer schon vor Ort, als die Aktivisten und Oppositionellen 2011 nach dem Vorbild des Arabischen Frühlings Proteste in Baku organisierten. Seine Aufnahmen zeigen, wie Polizisten mehr oder weniger brutal Menschen von den Protestorten abführten und in Polizeiwagen zwängten. Mit Huseynov, seinem Bruder Emin und anderen Organisatoren der Aktion "Sing for Democracy" traf sich die schwedische ESC-Gewinnerin Loreen, um über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan zu sprechen.

Pressesprecher der Opposition zum Verhör

Außerdem verhörte die Polizei Natiq Adilov, Journalist und Pressesprecher der Volksfrontpartei. Ihm wird vorgeworfen, er habe am 24. Mai eine ungenehmigte Protestaktion organisiert. Adilov konnte gehen, nachdem ihm nahegelegt worden war, sein Engagement für die Opposition zu beenden.

Adilov und ein weiterer oppositioneller Journalist warten noch immer auf Aufklärung einer gezielten Diskreditierung. Beide waren heimlich nachts in einem Hotel gefilmt worden. Sie hatten dort an einem Seminar der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutschen Welle teilgenommen. Ein regierungsnaher Sender zeigte die Aufnahmen, als 2011 Proteste stattfanden.

Lebenslange Immunität für den Präsidenten und die First Lady

First Lady Mehriban Alijew und Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew (Foto: REUTERS) (Klick führt weiter zum nächsten Bild) 

Außerdem stimmte das Parlament einer Gesetzesänderung zu, wonach Präsident Ilham Alijew und dessen Frau Mehriban Alijewa künftig lebenslange Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung genießen. Zudem wurde der Zugang zu Informationen über die Registrierung, Besitzstrukturen und Teilhaber an aserbaidschanischen Firmen eingeschränkt. Über die geschäftlichen Aktivitäten der Präsidentenfamilie hatte die Journalistin Ismayilova mehrere investigative Recherchen durchgeführt. So fand sie heraus, dass die Alijews auch geschäftlich an Bauaktivitäten für den Eurovision Song Contest beteiligt waren.

Vergeltung, Warnung oder Test?

Zeigen die Verhöre der Journalisten die Rückkehr zur Normalität nach dem Eurovision Song Contest, wie Huseynov vor dem Song Contest gewarnt hatte? Ist es der Start, der von vielen aserbaidschanischen Aktivisten erwarteten Vergeltungsaktion, nachdem die internationale Presse nicht nur über den ESC, sondern auch ausführlich über die problematische Menschenrechtslage berichtet hatte? Die Führung in Baku hatte sichtlich verärgert auf diese Berichte reagiert. Aktivisten und der Opposition hatte sie vorgeworfen, dem Land schaden zu wollen. Sollte die Festnahme eine Warnung sein oder ein Test, wie groß die internationale Aufmerksamkeit noch ist?

So viel ist sicher: Auf Zeichen versteht sich die aserbaidschanische Regierung. Bevor vergangene Woche US-Außenministerin Clinton zu Besuch nach Baku kam, wurde der Oppositionspolitiker Bakhtijar Hajiyev frühzeitig aus der Haft entlassen. Später war Clinton im Gespräch mit Hajiyev zu sehen, ein schöner Erfolg für die Außenministerin, und ein Name weniger auf der Liste derjenigen, die aus politischen Motiven im Gefängnis gelandet sind. Den Platz könnte Huseynov einnehmen, sollte er verurteilt werden, ohne dass sich die Vorwürfe gegen ihn bestätigen.

Bericht über politische Gefangene

Eine Liste mit mehr als 50 Namen von Personen, die vermutlich aus politischen Gründen Haftstrafen verbüßen, wird gerade im Europarat geprüft. Aserbaidschan hatte sich 2001 bei der Aufnahme in die europäische Organisation verpflichtet, alle politischen Gefangenen freizulassen.

Es ist bis heute ein Konfliktthema. Seit zweieinhalb versucht nun der deutsche SPD-Politiker Christoph Strässer, einen Bericht über die politischen Gefangenen zu erstellen, doch erhielt er kein Visum für Aserbaidschan. Er geriet stattdessen unter heftigen Druck der aserbaidschanischen Führung. Strässer wird seinen Bericht Ende Juni vorlegen. Doch ob der Druck ausreichen dafür wird, dass alle alten und neuen politischen Gefangenen freigelassen werden, ist zu bezweifeln. Und so oft reist kein prominentes Mitglied der US-Regierung ans Kaspische Meer.

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