Saturday, June 09, 2012

ENERGIE: Aserbaidschan gibt EU-Pipeline "Nabucco" noch eine Chance. Von Eduard Steiner (welt.de)


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(welt.de) Das ambitionierte Pipeline-Projekt Nabucco gilt als zu groß und zu teuer, BP betrachtet es bereits als erledigt. Doch Aserbaidschans Energiekonzern Socar macht den Europäern wieder Hoffnung.
Der britische Energiekonzern BP will rasch das gewaltige Erdgasfeld Shah Deniz im Kaspischen Meer ausbeuten. Doch das von der EU präferierte Pipelineprojekt Nabucco zwischen Österreich und Aserbaidschan sei für den Abtransport des Gases überdimensioniert und zu teuer, gaben die Briten jüngst zu verstehen.

Aserbaidschans Energiekonzern Socar will jedoch von einer Vorentscheidung gegen Nabucco nichts wissen: Das Projekt habe immer noch Chancen, erklärt der Vizechef der aserbaidschanischen Gasgesellschaft Socar, Elshad Nassirov.

Welt Online: Jüngst erklärte ein BP-Manager, dass die lange Version der Pipeline Nabucco tot sei. Ihr Konzern Socar ist am Shah-Deniz-Feld beteiligt. Teilen Sie die Einschätzung der Briten?

Elshad Nassirov: Wir haben uns mit der Aussage nicht einverstanden erklärt, weshalb wir BP für Freitag einbestellt haben. BP hat sich entschuldigt und die Aussage als Privatmeinung qualifiziert. BP entscheidet nicht alleine über die Pipeline. Gut, BP hat seine Interessen, und nur für Gas aus Shah-Deniz wäre die klassische Nabucco tatsächlich zu groß. Aber wir haben ja noch andere Gaslagerstätten.

Welt Online: Ist der Eindruck also richtig, dass es innerhalb des Shah-Deniz-Konsortiums kracht?

Nassirov: Nicht ganz. Sieben Konsortialpartner zu einem Konsens zu bringen, ist nicht einfach, schließlich geht es um 45 Milliarden Dollar Investitionen in Förderung und Transport. Für uns bleibt Nabucco-Klassik eine Option, denn die für das Teilstück durch die Türkei als Alternative vorgeschlagene Transanatolische Pipeline ist bisher nur ein Konzept.

Welt Online: Allerdings hätte diese Tanap genau die richtige Größe für die Bedürfnisse der Shah-Deniz-Lizenzinhaber.

Nassirov: Die Tanap ist auf dem Gebiet der Türkei die vorteilhafteste Variante für die Shah-Deniz-Produzenten. Aber die bindende Vereinbarung mit der Türkei steht noch aus. Wir hoffen, dass sie bis Ende Juni steht. Tanap, an der ja auch die OMV oder die RWE teilnehmen könnten, wäre anfänglich billiger als Nabucco und könnte dann erweitert werden, um Gas aus weiteren Lagerstätten aufzunehmen.

Welt Online: Sie denken an aserbaidschanische Lagerstätten. Die EU aber hatte mit Nabucco vor, Gas auch aus anderen Ländern einzuspeisen.

Nassirov: Wenn die EU Zusagen für Gas aus Turkmenistan bis Ende Juni erhält, ist Nabucco Klassik noch möglich. Erhält sie Zusagen später, kann sie sich bis zum Jahresende an uns wenden, damit wir für Tanap eine größere Kapazität konzipieren. Wir selber müssen bis Ende Juni entscheiden. In jedem Fall handelt es sich um eines der komplexesten Energieprojekte der Welt. Und eine Idealvariante gibt es nicht. Das Nabucco-Konsortium war immer unflexibel und hat auf 31 Milliarden Kubikmeter Leitungskapazität bestanden, statt anfänglich zur Wahrung niedriger Leitungstarife mit weniger zu beginnen und dann auszubauen.

Welt Online: Die EU verhandelt ja unter Teilnahme von Aserbaidschan mit Turkmenistan. Kann es noch eine Einigung geben?

Nassirov: Natürlich. Und wenn Turkmenistan eine Zuleiterpipeline durch das Kaspische Meer bauen will, sind wir einverstanden. Andere Länder wie Russland haben in Sachen Zuleiterpipeline nichts mitzureden und haben keine juristische Grundlage, den Bau zu stören. Natürlich hat Gazprom gewisse Interessen, seine dominante Rolle auf dem europäischen Markt zu bewahren. Aber die Nachfrage in Europa wird schneller wachsen als die Lieferungen nach Europa. Von Konkurrenz kann man also nicht reden. Die phantastischste Idee war übrigens die Nabucco-XL von Wien bis Turkmenistan. Mit ihr wären viele Fragen gelöst gewesen. Aber die EU hat die 20 Milliarden Dollar dafür nicht aufgebracht.

Welt Online: Die EU hätte also mutiger sein sollen?

Nassirov: Es fehlt einfach ein Mechanismus zur Fassung finanzieller Beschlüsse in der EU. Und es fehlt das Verständnis, dass Energiesicherheit der militärischen Sicherheit gleichkommt.

Welt Online: Gesetzt den Fall, Tanap macht in der Türkei das Rennen. Dann müssen Sie aber im Juni noch entscheiden, ob ab der Westgrenze der Türkei eine kurze Nabucco West oder die von BP forcierte Pipeline SEEP nach Wien führt. Wie groß ist die Chance für Nabucco West?

Nassirov: Groß. 50:50.

Welt Online: Und auch das ist wäre nur eine Vorentscheidung. Denn nächstes Jahr wird dann entschieden, ob aserbaidschanisches Gas doch eher über die Transadriatische Pipeline nach Italien fließen wird. Würde Socar bei der TAP einsteigen?

Nassirov: Socar wird in jedem Fall nach der Auswahl der Route entweder bei TAP, SEEP oder Nabucco einsteigen, um über den Prozess des Pipelinebaus von innen heraus zu erfahren. Wenn wir ab 31. Januar 2018 Gas aus Shah-Deniz fördern, muss die Pipeline-Kette bis Europa fertig sein.

Welt Online: Die Türkei erhält als Energiedrehscheibe immer mehr Macht. Drohen nicht Konflikte wie mit der Ukraine?

Nassirov: Die Türkei ist ein NATO-Mitgliedsstaat und war nie Mitglied der Sowjetunion mit allen daraus resultierenden Folgen. Die Türkei kommt sehr schwer zu Vereinbarungen, aber wenn eine Vereinbarung erzielt ist, so wird sie für 30 Jahre von der NATO garantiert sein.

Welt Online: Dafür ist es möglich, dass Aserbaidschan die Gaslieferungen aus dem Kaspischen Raum monopolisiert.

Nassirov: Das Gas der aserbaidschanischen Lagerstätten wird mit internationalen Konzernen gefördert und fließt als "internationales" Gas in internationalen Röhren in den Westen. Ganz im Unterschied zu Russland. Und mit der Energiecharta lassen wir auch anderes Gas durchs Land fließen.

Welt Online: Gegenüber Gazprom herrscht in Europa große Skepsis. Warum sollte sie gegenüber Socar, das ja auch ein staatlicher Monopolist ist, kleiner sein?

Nassirov: Ich will nicht gern im Vergleich mit Gazprom sagen, warum wir besser sind. Allein schon in der Größe, im Zugang zu den Märkten und im politischen Einfluss sind wir nicht vergleichbar. Und Aserbaidschan selbst gehört zu keinem politischen Block und ist frei von solchen Ambitionen.

Welt Online: Wer hat denn bei Socar das Sagen? Auch die Präsidenten-Administration wie bei Gazprom?

Nassirov: Nicht direkt, denn wir haben den Direktoriumsrat. Aber die Regierung kann Empfehlungen abgeben und Preise festsetzen. Und wenn der Staat uns bittet, Schulen oder Krankenhäuser zu bauen, tun wir das.

Welt Online: Wenn Europa aserbaidschanisches Gas kauft: Wie werden die Preise gebildet werden?

Nassirov: Das Shah-Deniz-Konsortium hat im Laufe der vergangenen drei Jahre Verhandlungen mit 17 möglichen Abnehmern geführt. Alle Preisformeln sind im Prinzip fertig, wiewohl sie nicht endgültig sind. Wenn die Pipelineroute endgültig feststeht, muss auch beim Gaspreis noch nachverhandelt werde.

Welt Online: Der Gasmarkt ist im Umbruch und europäische Firmen verhandeln mit Gazprom um Lockerung der starren Langfristverträge und der Bindung an den Ölpreis.

Nassirov: Wir haben einen flexiblen Zugang. Das heißt, dass ein Teil an den Ölpreis gebunden sein wird, ein Teil über Spotmärkte, und ein Teil über liquide Märkte gehandelt werden wird. Der Mix hängt vom konkreten Land bzw. Markt ab.

Welt Online: Fürchten Sie nicht, dass Gazprom sein Konkurrenzprojekt South Stream umsetzt und den Kaspischen Lieferanten das Wasser abgräbt?

Nassirov: Für uns ist das kein Konkurrent, denn South Stream ist dazu konzipiert, den Transit russischen Gases durch die Ukraine zu umgehen. Durch South Stream wird kein neues Volumen für Europa fließen. Wenn Gazprom Pipelines bauen und dafür einige Dutzend Milliarden Dollar ausgeben will, ist das sein Recht. Eines muss man Gazprom zugutehalten: Im Unterschied zur EU baut es seine Pipelines.

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