Tuesday, June 12, 2012

POLITIK: Gefangen in Baku. Aserbaidschan nach dem Eurovision Song Contest. Von Silvia Stöber (zenithonline.de)



(zenithonline.deEin Umschwenken in der Menschenrechtspolitik in Aserbaidschan ist trotz der internationalen Aufmerksamkeit rund um den Eurovision Song Contest unwahrscheinlich. Denn besonders im Westen ist die Regierung Alijew bestens vernetzt.


Als vor zwei Wochen Millionen Fernsehzuschauer den Eurovision Song Contest aus Baku verfolgten, erinnerte sich ein Mann an den 26. Mai vor genau einem Jahr. Denn in den Abendstunden jenes Tages wurde Eynulla Fatullayev aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er vier Jahre im Gefängnis gesessen hatte. Der regierungskritische Journalist war von Präsident Ilham Alijew begnadigt worden. Sonst hätte er bis 2013 in Haft bleiben müssen.


An jenem Abend feierte Fatullayev im Kreis von Freunden und Familie seine Heimkehr. Immer neue Gäste kamen und das Telefon der Eltern klingelte ununterbrochen. Noch erschöpft und nervös berichtete er vom Gefängnis, das er mit einem sowjetischen Straflager verglich. Zugleich war er voller Tatendrang. Er wolle wieder als Journalist und arbeiten und eine Zeitung herausgeben. »Wir müssen den Kampf um unsere politischen Rechte fortsetzen«, erklärte er. Aber Fatullayev sagte auch: »Das ist sehr gefährlich. Deshalb fordere ich die Regierung auf, meine Sicherheit und mein Recht auf Redefreiheit sicherzustellen.«


Ein Jahr später ist es ruhig geworden um Fatullayev. Er hat keine Zeitung gegründet und arbeitet nicht als Journalist. Er wirkt, als führe er einen einsamen Kampf, so wie er in seinem Büro in der Altstadt sitzt, keine 30 Meter von einer Polizeistation entfernt. Er hat eine NGO zur Unterstützung von Inhaftierten gegründet, der das Justizministerium ungewöhnlich schnell eine Registrierung gab. Während er von Gefängnisbesuchen und seinen Bemühungen um eine bessere gesundheitliche Versorgung der Insassen berichtet, streiten im Nebenraum zwei Mitarbeiter laut über ein Computer-Problem. Dann erzählt Fatullayev stolz, die UNESCO verleihe ihm den Cato-Preis für Internationale Pressefreiheit. Was er nicht erwähnt: Präsidentengattin Mehriban Aliyeva ist UNESCO-Sonderbotschafterin.


Regierungsgegner äußern mehr oder weniger offen die Vermutung, Fatullayev sei auf die Seite der Staatsführung gewechselt. Als Beleg führen sie an, dass er sich der Rhetorik der Regierung bediene und zum Beispiel fordere, den Eurovision Song Contest nicht zu politisieren. Beobachter aus dem Ausland würdigen hingegen, dass er in Aserbaidschan bleibt und sich für Gefangene einsetzt. Sein Projekt, das Monitoring von Haftanstalten, unterstützt das Auswärtige Amt in Berlin finanziell, ebenso die norwegische Regierung.


Missliebigen Journalisten wird Drogenbesitz, »Hooliganismus« oder Körperverletzung unterstellt


Fragen warf Fatullayevs Verhalten allerdings auch bei einer geschlossenen Anhörung im Europarat Ende Januar in Straßburg auf, als es um politische Gefangene in Aserbaidschan ging. Er vermied es, zum Thema ausführlich Stellung zu nehmen und konzentrierte sich stattdessen auf die Präsentation seiner eigenen Organisation. Zwei andere aserbaidschanische Menschenrechtsaktivisten argumentierten wie die Regierungsseite, dass die Definition der politischen Gefangenen selbst geklärt werden müsse – eine Frage, über die aber längst Einvernehmen hergestellt worden war.


Dies brachte den deutschen SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Strässer in eine schwierige Lage. Er befasst sich als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit der Frage, welche inhaftierten Personen in Aserbaidschan aus politischen Gründen inhaftiert sind und deshalb freigelassen werden müssen. Strässer arbeitet seit mehr als zwei Jahren an einem Bericht zum Thema, erhielt aber nie ein Visum für Aserbaidschan und geriet zunehmend persönlich unter Druck. Vertreter der aserbaidschanischen Staatsführung stellten seine Eignung für die Aufgabe in Frage und warfen ihm Voreingenommenheit vor. Auch der Honorarkonsul Aserbaidschans in Deutschland, Otto Hauser, äußerte diesen Vorwurf.


Dabei tritt Strässer eher zurückhaltend auf und zeigte sich immer wieder zu Kompromissen bereit. Doch Ende des Jahres lieferte ausgerechnet eine aserbaidschanische Oppositionszeitung der Regierung Argumentationshilfe gegen den deutschen Politiker. Das Blatt Azadliq druckte ein Interview mit Strässer, das er nie gegeben hatte. Wie Chefredakteur Rahim Hajiyev gegenüber der Autorin zugab, wurden die Antworten aus kritischen Aussagen zur Menschenrechtslage in Aserbaidschan zusammengestellt, die Strässer bei einer geschlossenen Veranstaltung in Berlin gemacht hatte. Allerdings wurden diese auch noch in wichtigen Punkten falsch übersetzt.


Wie stark Menschenrechtsaktivisten und Regierungskritiker sowie ihre Angehörigen unter Druck gesetzt werden und wie sehr sich Journalisten einer Selbstzensur unterwerfen, ist nicht immer nachvollziehbar. Die Methoden sind vielfältig. Sie beginnen bei monetären Anreizen für Journalisten, deren Arbeitgeber finanziell ausgeblutet wurden. Seit mehreren Jahren schon werden Journalisten nach kritischen Artikeln nicht mehr nur wegen krimineller Verleumdung angeklagt. Oft wird ihnen Drogenbesitz, »Hooliganismus« oder Körperverletzung unterstellt. Es herrscht eine Atmosphäre der Angst, denn Angriffe auf Journalisten werden üblicherweise nicht aufgeklärt. Das betrifft den Mord an dem Journalisten Elmar Huseynov im Jahr 2005 ebenso wie am islamkritischen Publizisten Rafiq Tagi im vergangenen November.


Schmutzkampagnen gegen kritische Journalisten brechen selbst gesellschaftliche Tabus


Ungeklärt bleiben auch Fälle, die typisch sind für den Versuch, oppositionelle und unabhängige Journalisten an den Rand der Gesellschaft zu drängen. So ist bis heute offen, wer für eine gezielte Diskreditierung des Pressesprechers der oppositionellen Volksfront-Partei, Natiq Adilov, und des regierungskritischen Journalisten Qan Turali ist. Sie hatten im Dezember 2010 an einem Seminar der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutschen Welle in einem Hotel in Nordwest-Aserbaidschan teilgenommen. Im Frühjahr 2011 tauchten nächtliche Aufnahmen aus ihren Hotelzimmern im Internet und im Fernsehsender Lider TV auf. Dieser gehört aserbaidschanischen Medienberichten zufolge dem Cousin von Präsident Ilham Alijew. Obwohl die Aktion einem Rufmord gleichkam und vor allem die Angehörigen darunter litten, ließen sich beide nicht von ihrer Arbeit abhalten. Enttäuscht zeigten sie sich allerdings, dass offener Protest von deutscher Seite ausblieb.


Kritik an der verhaltenen deutschen Reaktion äußert auch Khadija Ismayilova. Sie ist über Aserbaidschan hinaus bekannt für ihre investigativen Recherchen und erhält in diesen Tagen den Gerd-Bucerius-Förderpreis der Zeit-Stiftung. So deckte sie auf, dass das Telekom-Unternehmen Azerfon nicht, wie von der Regierung behauptet, Siemens und einigen britischen Firmen gehört. Ismayilova fand stattdessen Verbindungen zu den beiden Präsidententöchtern und einem Schweizer Geschäftsmann. Der Preis war hoch. Denn Ismayilova sieht sich einer Schmutzkampagne ausgesetzt. Nach einer Drohung gelangten intime Aufnahmen aus ihrem Schlafzimmer in die Öffentlichkeit. Bis dahin konnte sie sich im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen recht sicher fühlen, denn bislang galten derlei Angriffe auf Frauen als ein Tabu, das in der konservativen und islamisch geprägten Kultur Aserbaidschans selten gebrochen wird.


Trotzdem oder gerade deswegen ging die Rechnung ihrer Gegner nicht auf. Sie erhielt sogar Unterstützung von unerwarteter Seite: Nicht nur islamische Organisationen, sogar die strenggläubige Schiiten-Gemeinde des Dorfes Nardaran erklärte sich solidarisch mit Ismayilova, obwohl sie erklärte Atheistin ist und auf Facebook gepostet hatte: »Ich hasse den Islam.« Und Ismayilova arbeitet unverdrossen weiter, auch wenn ihr die Anspannung zunehmend anzusehen ist. Sie zog aus ihrer eigenen Wohnung aus. In ihrer neuen Unterkunft ist Tag und Nacht jemand in ihrer Nähe. Geht sie aus dem Haus, begleitet sie ein Freund. Die Suche nach den Verantwortlichen nahm sie selbst auf, denn die Ermittlungsbehörden liefern keine Ergebnisse. Dafür, dass sie nicht weiterhin abgehört und heimlich gefilmt wird, gibt es jedoch keine Garantie.


Lobbyarbeit von der CSU bis zur Linkspartei


Angesichts dieser und weiterer Fälle rät die aserbaidschanische Menschenrechtsgruppe »Azad Genclik Teskilati – freie Jugend« den Gästen des Eurovision Song Contest: »No sex under any circumstances.« Sie warnt vor versteckten Kameras in den Herbergen der Stadt, auch wenn mehrere große Hotels versicherten, ihre Zimmer seien frei von Abhöreinrichtungen und Kameras.


Dass Vorsicht auch für Ausländer angebracht ist, zeigen nicht nur der Angriff auf die Privatsphäre der beiden Oppositionsjournalisten während eines Seminarwochenendes der Adenauer-Stiftung und der Deutschen Welle, sowie der Fall Strässer.


Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates berichten neben Angeboten für kostenlose Reisen nach Aserbaidschan und großzügigen Sachgeschenken auch davon, dass des Nachts leichtbekleidete Frauen mit Champagnerflaschen vor Hotelzimmern auftauchten.


Neben Politikern und Studenten werden auch Journalisten mit Reisen nach Aserbaidschan gelockt. Zu den Organisatoren zählt die »European Azerbaijan Society« (TEAS), die neben einem Hauptsitz in London Büros in Paris, Brüssel und Berlin betreibt. Chef ist Taleh Heydarov. Sein Vater Kemaleddin führt das mächtige Ministerium für Notstandssituationen, er gilt zugleich mit einem Geschäftsimperium neben der Präsidentenfamilie als eine der wohlhabendsten Personen in Aserbaidschan.


Auf der Webseite von TEAS sowie einigen aserbaidschanischen Medienseiten tauchen immer wieder Berichte auf, die Verbindungen Taleh Heydarovs zu Politikern in Deutschland und damit implizit auch eine Unterstützung für die Regierung in Baku belegen sollen. Die Junge Union bestätigte der Autorin, dass Heydarov 2010 an einem Treffen der Nachwuchsorganisation von CDU und CSU in Potsdam teilnahm. Deren Bundesvorsitzender und außenpolitischer Sprecher, Philipp Missfelder, nahm wiederum 2010 an einer TEAS-Veranstaltung im Berliner Hilton teil, allerdings nur für zehn Minuten, wie er sagt. Er bestätigt jedoch, bekannt mit Heydarov zu sein. Missfelder betont, auch der armenische Botschafter in Deutschland suche regelmäßig Kontakt zu ihm. Armenien und Aserbaidschan stehen sich im Konflikt um das Gebiet Berg-Karabach als Feinde gegenüber und versuchen, in Westeuropa jeweils für ihre Position zu werben.


Weitere westeuropäische Politiker nähren durch ihr Verhalten den Verdacht, der aserbaidschanischen Regierung gewogen zu sein. Der schwedische Politiker Göran Lindblad gibt offen zu, im Karabach-Konflikt die Position Aserbaidschans zu vertreten. Direkt nach seinem Ausscheiden aus dem Europarat erhielt er einen Vertrag bei TEAS. Die beiden deutschen Politiker Eduard Lintner (CSU) und Hakki Keskin (damals Linkspartei) bewerteten 2009 ein Referendum in Aserbaidschan als Beleg für eine weitere Demokratisierung und eine bessere Machtverteilung im Land. Die EU hingegen kritisierte es als Rückschritt für die demokratische Entwicklung. Mit der Abstimmung sicherte sich Präsident Alijew das Recht, auch nach zwei Amtszeiten weiter als Präsident gewählt werden zu können. Lintner und Keskin sind inzwischen aus dem Europarat ausgeschieden. Lintner ist seither Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der deutsch-aserbaidschanischen Gesellschaft und Keskin leitet die türkisch-aserbaidschanische Vereinigung in Deutschland, beides Organisationen, die sich für die Interessen Aserbaidschans einsetzen.


Die Regierung organisiert Journalistenreisen und befördert mittels PR-Agenturen positive Berichte


Ali Karimli, Führer der oppositionellen Volksfrontpartei in Aserbaidschan, spricht von einem »Netzwerk der Freunde Aserbaidschans«, das seit 2005 aktiv sei. Der Staatsführung nahe stehende Medien berichten ausführlich über regierungsfreundliche Aussagen aus dem Europarat und stellen dies als Legitimisierung der Regierungspolitik dar. Karimli sieht deshalb das Ansehen des Europarats und seiner Mitglieder in der aserbaidschanischen Bevölkerung schwer angeschlagen.


Um das Image der Führung im Inland nicht zu trüben, ist diese bemüht, Einfluss auf die Berichterstattung ausländischer Medien zu nehmen. Dafür werden nicht nur Journalistenreisen organisiert und mittels PR-Agenturen positive Berichte befördert. Aserbaidschanische Botschafter, ob in Georgien, der Schweiz oder Deutschland, versuchen zudem, unliebsame Berichte mit Beschwerden zu unterbinden. Ohnehin werden die Hörfunksender der BBC, von Voice of America und Radio Liberty seit 2009 nicht mehr in Aserbaidschan ausgestrahlt.


Dass jedoch in Zeiten der engen digitalen Vernetzung zwischen dem Zentrum Europas und dessen äußersten Rand am Kaspischen Meer Kommunikation nicht mehr zu kontrollieren ist, musste die aserbaidschanische Staatsführung in den vergangenen Monaten erfahren. Als im Vorfeld des Eurovision Song Contest zahlreiche kritische Berichte über die Menschenrechtslage im Land publiziert wurden, glaubte sich die Regierung einer Kampagne ausgesetzt. Geradezu persönlich verärgert zeigte sich beispielsweise Präsidentenberater Ali Hasanov. Er warf westlichen Journalisten während eines Gesprächs in der Präsidialverwaltung vor, nicht das ganze Bild Aserbaidschans darzustellen – mit all seinen Problemen angesichts der geografischen und historischen Situation sowie der demokratischen Entwicklung in den vergangenen 20 Jahren. Er sieht ein klares Ziel für sein Land: Wirtschaftlich soll Aserbaidschan zu den Golfstaaten aufschließen und politisch zu den westeuropäischen Ländern. Immerhin gewährte die Führung allen ausländischen Journalisten in den vergangenen Wochen Visum und Akkreditierung.


Offen ist, wie sich die Staatsführung verhalten wird, wenn sich nach dem Eurovision Song Contest die Scheinwerfer der internationalen Öffentlichkeit wieder von Aserbaidschan abwenden. Wie wird es Eynulla Fatullayev in seiner beklemmenden Situation ergehen, werden mutige Journalisten wie Khadija Ismayilova sicher im Land leben können? Oppositionelle befürchten, die Führung könnte umso härter gegen Regierungsgegner vorgehen – und kaum jemand wird dann noch Notiz nehmen.


Dieser Artikel erschien zuerst bei epd Medien.

No comments: