Im Jungen Schauspielhaus überzeugt Nino Haratischwilis Fassung von "Elektra"
Wieder zu Hause, wieder angekommen in der sogenannten normalen Welt, noch ein paar Takte Günther Jauch gesehen: vier Männer in dunklen Anzügen, eine Frau im beigen Kostüm - und ach, all dieses wabernde Gerede, mal hierhin, mal dorthin! Wie anders war da zuvor das Theater. Wie konzentriert auf den Konflikt ausgerichtet, wie konsequent und gültig in seiner Formsprache. Dieses altmodische Medium, ohne Kameraschwenk, ohne Einspieler, ohne flotte Schalte irgendwohin. In diesem Fall: "Elektra", der klassische Stoff in einer neuen Fassung von Nino Haratischwili, inszeniert von Klaus Schumacher und damit gegeben im Jungen Schauspielhaus.
Die Bühne eine grell-pinke Welt, eine flauschige Teppichlandschaft mit Blick auf einen nahezu abgeholzten Wald, Spielwiese und Tatort zugleich. In weißen Schleiflackvitrinen präsentieren sich Waffen wie Kunstexponate: vom Krummdolch von einst bis zum Maschinengewehr unserer Tage. Und mittendrin Elektra, die junge Frau, die so zornig wie erwartungsvoll auf ihren im Krieg verschollenen Bruder Orestes wartet. Denn kommt er, wird noch heute aufgeräumt werden mit dem verhassten Stiefvater Aigisthos und der treulosen Mutter, der Klytaimnestra; wird Vater Agamemnon gerächt werden, der vom Kampf gegen Troja zurückfand und ausgerechnet im eigenen Haus starb.
Orestes, er wird kommen. Doch nicht voller Tatendrang betritt der das Haus, wird nicht länger getragen von geschwisterlicher Liebe und dem gemeinsamen Entschluss für den Kampf der Jungen gegen die Alten: Gebrochen ist er, verwirrt und noch mehr desillusioniert. Er kommt nicht allein: Mit ihm kommt Polyxena, die Königstochter aus Troja, die als eine der wenigen das Gemetzel überlebt hat, das der geliebte Bruder und der so vergötterte Vater mit großer Selbstverständlichkeit angerichtet haben. "Vater, du warst kein Mörder! Oder?", muss Elektra ausrufen.
Das Stück ist gedacht für Menschen ab 15 Jahren aufwärts, und Haratischwili/Schumacher werden diesem Auftrag mehr als gerecht: Als eine Parabel auf unsere Weigerung, die Kriege unserer Tage zur Kenntnis zu nehmen, lässt es sich lesen - ausweitbar bis hin zum Afghanistan-Krieg, wenn Orestes sich als ein durch und durch vom Krieg erschütterter Jüngling präsentiert, der trinkend und um innere Ruhe flehend über die Bühne taumelt. Aber auch unmittelbarere Deutung bietet sich an: der Kampf der anfangs so radikal moralischen Kinder gegen die vom Realitätsprinzip korrumpierten Eltern.
Die wollen die Konflikte überdecken, wollen Frieden, und sei er noch so halbherzig angelegt: "Vielleicht sollten wir einmal versuchen, wie eine ganz normale Familie zu Abend zu essen!", ruft Aigisthos, der Ersatzvater, voller Inbrunst aus. Normal sein - das wird nicht gelingen. Vielschichtig hat Haratischwili ihre Personen angelegt, und Schumacher führt sie entsprechend: Hermann Book als pragmatischer, aber auch hilfloser Aigisthos und Christine Ochsenhofer als diffus fühlende Klytaimnestra bilden das Elternpaar.
Ihnen gegenüber schlüpft Jonathan Müller in die Rolle von Elektras jüngerem Bruder Theo als unbedarfter Partygänger, der doch ahnt, dass aller Spaß am Ende seinen Preis hat. Dazu gesellen sich Florens Schmidt als traumatisierter Orestes und Katharina Lütten als Polyxena, die verzeihen will, aber nicht kann. Und vorneweg Angelina Häntsch als Elektra, deren anfangs frische Empörung sich so überzeugend in erfrorene Wut wandelt. So gab es am Ende viel, viel Applaus für diese überaus sehenswerte Produktion, die es in sich hat: Sie hallt noch lange am nächsten Tag nach.
Quelle: welt.de
Tuesday, September 11, 2012
THEATER: Frische Empörung, erfrorene Wut. Nino Haratischwilis Fassung von "Elektra" (web.de)
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