Ausstellungsdauer: 27. Mai bis 9. September 2012
Seit 2009 lädt Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich zusammen mit dem Internationalen Bertha von Suttner Verein nationale und internationale KünstlerInnen ein, ihren Blick auf die vielschichtige Persönlichkeit der Bertha von Suttner zu richten. Beschäftigte sich die Ausstellung „Bertha von Suttner Revisited" 2009 stärker mit der gesellschaftspolitischen Dimension der Friedensnobelpreisträgerin und jene mit dem Titel „Die edlen Früchte und die Gouvernante" 2010 mit dem sozialen Status der Adeligen als Gouvernante im Dienste der Suttners im Schloss Harmannsdorf, wird 2012 ebendort Bertha von Suttners Zeit im vermeintlich wilden, tatsächlich aber vom europäischen Adel durchwachsenen Kaukasus von 8 verschiedenen künstlerischen Positionen beleuchtet mit Arbeiten von: Josef Dabernig, Katrina Daschner, Stefan Frankenberger, IRWIN, Helmut & Johanna Kandl, Sonia Leimer, Markus Schinwald, Nino Sekhniashvili
Ausgehend vom Einakter der jungen Bertha, „L'Éducation de Rosette", entdeckt von Helmut & Johanna Kandl im Genfer Völkerbundarchiv, thematisiert die gleichnamige von Brigitte Huck kuratierte Schau jene Zeit im Leben der Friedensaktivistin, als sie mit Arthur Gundaccar von Suttner an den Hof der Fürstin Dadiani von Mingrelien floh, um die familiären und gesellschaftlichen Konventionen ihrer unstandesgemäßen Ehe hinter sich zu lassen.
+++
Im Zentrum der Ausstellung steht die an Originalschauplätzen in Georgien entstandene
Arbeit "Wir holen uns das Goldene Vlies!" des Künstlerpaars Helmut & Johanna
Kandl, die sich auf die Freundschaft des jungen Paars Bertha und Gundaccar von
Suttner zur mingrelischen Fürstenfamilie Dadiani bezieht. Referenz für den Film ist der Einakter "L’Éducation de Rosette", den Bertha für das private Schlosstheater der
Fürstin Dadiani schreibt. Helmut & Johanna Kandl spüren das Manuskript im Genfer
Völkerbundarchiv auf, Oliver Hölzl übersetzt es vom Französischen ins Deutsche. Für die Aufführung der Gesellschaftskomödie in kleinstem Kreis übernehmen Bertha, Arthur und Mitglieder der Fürstenfamilie die Rollen. Bertha, die Sängerin werden wollte, schreibt sich Auftritte ins Stück und singt 'La Timbale d'Argent' aus der Operette von Léon Vasseur.
Diese und die ebenso vergessene Lacharie aus Manon Lescaut von Auber werden im
Video, das die Künstler in der Umgebung der heute zur Ruine verfallenen Sommerresidenz der Dadianis in Gordi aufgenommen haben, durch die Gesangsstudentin Megi Chikhradze zu neuem Leben erweckt. Auf das antike Kolchis nehmen Helmut & Johanna Kandl ebenso Bezug wie auf das Motiv der Flucht von Liebenden (Medea/Jason, Manon/Des Grieux, Bertha/Arthur). Die Künstler verbinden griechische Mythologie mit der Geschichte Bertha von Suttners und stellen der historischen Situation die profane Welt der Strassen, Märkte und Überlebensstrategien im Tiflis der Gegenwart gegenüber.
Politische Konnotationen von Raum und die Präsenz des Strukturellen kennzeichnen die Wandzeichnung "Frozen Moments" des Künstlers und Filmautors Josef Dabernig in der Orangerie des Schlossgartens. Axonometrien, Perspektiven, Aufrisse und Schnitte dreier, die georgische Geschichte architektonisch rezipierender Gebäude, treten einander darin gegenüber: Der Wolkenkratzer des ehemaligen georgischen Transportministeriums, einer Architekturikone aus dem Jahr 1975, das megalomane "Haus des Volkes" in Bukarest und Schloss Plüschow, ein Landsitz, wie es Schloss Harmannsdorf für die Familie Suttner war.
Katrina Daschners Antwort auf die matronenhaft, strenge Darstellung Bertha von Suttners, wie sie durch den 1000 Schillingschein Verbreitung fand, ist der Film mit dem Titel "Bertha". Darin bezieht sich die Otto Mauer Preisträgerin auf Glamour, Sexualität, Fantasien und Begehren, inszeniert sie gegen den Strich von Wahrnehmungskonventionen und interpretiert die abenteuerliche Amour Fou
Suttners als erotische, schrille Parabel.
Die Toninstallation „der unbekannte soldat“ des Soundkünstlers Stefan Frankenberger nimmt sich die Friedenskämpferin als Schriftstellerin vor. Verschiedene Angehörige des österreichischen Bundesheeres, konkret des Militärkommandos Niederösterreichs, lesen und interpretieren damit Texte von und über die Friedensnobelpreisträgerin. Geschnitten und zusammengestellt ist das im Schlossgarten zu hörende Tonmaterial mit Augenmerk auf Rhythmik, Spannung und Authentizität.
"Was ist Kunst, Tbilisi" fragt das slowenische Künstlerkollektiv IRWIN mit der gleichnamigen in Harmannsdorf ausgestellten Fotoarbeit, die in Kollaboration mit der Georgischen Armee 2007 entstand. Uniformierte Soldaten bilden vor der Kulisse Tbilisis diesen Satz als Artefakt nach. IRWIN setzt seine radikale Strategie der Appropriation von Symbolen staatlicher Ideologie ein, um die gemeinsamen Anliegen politisch engagierter Künstler zu formulieren.
Sonia Leimers Film "Western" zeigt das "zu erobernde" Land der Bertha von Suttner, jene atemberaubende georgische Landschaft, die als Kulisse für DDR-Produktionen des Genres diente. Im wilden Osten spielt ein Damenstreichsextett des State Orchestra Tbilisi die transkribierte Filmmusik Elmer Bernsteins aus "Die glorreichen Sieben" (1960) von John Sturges. Mit Blick auf das autonome Gebiet Südossetiens, das völkerrechtlich ein Teil Georgiens ist, geht es Leimer auch um Fragen nach Territorium, Identität und Staatsgefüge.
Mit "Meryl", verweist Markus Schinwald, 2011 österreichischer Vertreter auf der Biennale von Venedig, auf die prekäre Lage moderner, intellektueller Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Veränderung und Zurichtung privater bildnisdrucke der Zeit ist ein Werkkomplex, den der Künstler seit vielen Jahren kontinuierlich erweitert. Sein Interesse gilt dem Körper als kulturgeschichtliche Konstruktion. Gefangen in Paranoia und Melancholie verhilft Schinwald den biederen Fräuleins zu
neuen, irritierenden Identitäten.
Die Skulptur "Chess" der Tifliser Künstlerin Nino Sekhniashvili, ein Schachbrett aus rohem Holz mit roter Farbe bedruckt, erzählt mit den darauf liegenden drei Schafsknochen von der georgischen Tradition, die Zukunft durch das Werfen von Tierknochen vorherzusagen.
Die Arbeit kann als Referenz auf jenen Lebensabschnitt gesehen werden, den die junge Comtesse Kinsky mit ihrer Mutter, einer notorischen Spielerin, in den europäischen Casinos verbrachte und Ekaterine Dadiani zum ersten Mal begegnete.
Das Projekt "Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich" ist eine Erfolgsgeschichte, die wesentlich mit der Kontinuität qualitätvoller Arbeit und der durchgehenden Bereitschaft zu Dialog und Diskussion zu tun hat. Nirgends sonst treffen Kunst und demokratische Öffentlichkeit so direkt aufeinander.
Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll
„L'Éducation de Rosette - Bertha von Suttner und der Kaukasus“ ist zu sehen und zu hören bis 9. September 2012 im Schüttkasten und Garten des Schlosses Harmannsdorf.
3713 Harmannsdorf 1, Freitag von 16.00 bis 19.00 Uhr / Samstag und Sonntag von 13.00 bis 19.00 Uhr
Kurzbiografien:
Helmut & Johanna Kandl, 1953 in Laa / Thaya und 1954 in Wien geboren, Zusammenarbeit ab 1995, leben in Wien und Berlin.
Josef Dabernig, 1956 in Kötschach-Mauthen geboren, lebt in Wien.
Katrina Daschner, 1973 in Hamburg geboren, lebt in Wien.
Stefan Frankenberger, 1977 in Rosenheim geboren, lebt in Wien.
IRWIN, 1983 in Ljubljana / Slowenien gegründet: Dûsan Mandič, Miran Mohar, Andrej Savski, Roman Uranjek und Borut Vogelnik.
Sonia Leimer, 1977 in Meran geboren, lebt in Wien.
Markus Schinwald, 1973 in Salzburg geboren, lebt in Wien und New York.
Nino Sekhniashvili, 1979 in Tiflis geboren, lebt in Tiflis und Berlin.
Eine Veranstaltung von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Bertha von Suttner Verein und der Marktgemeinde Burgschleinitz-Kühnring.
No comments:
Post a Comment