Sunday, September 30, 2012

WAHLEN: Saakaschwili - Präsident auf Abruf. Parlamentswahl in Georgien. Von Silvia Stöber (tagesschau.de)

(tagesschau.de) Am Montag wird in Georgien ein neues Parlament gewählt. Georgiens Präsident Saakaschwili steht mit dem Rücken zur Wand: Die Opposition befindet sich im Aufwind. Und im westlichen Ausland hat er seine Reputation schon lange verloren. Fraglich bleibt, ob Saakaschwili die Macht freiwillig abgibt.

Von Silvia Stöber, zur Zeit Tiflis, tagesschau.de

Georgiens Präsident Michail Saakaschwili  (Foto: picture alliance / dpa) (Klick führt weiter zum nächsten Bild)
Georgiens Präsident Saakaschwili gilt als international isoliert. (Foto: picture alliance / dpa)
Nachts um Eins in Tiflis. Die georgische Hauptstadt ist zur Ruhe gekommen. Gestern Nachmittag hatte sie die größte Demonstration seit der Rosenrevolution erlebt. Es schien, als hätte die Farbe Blau des Oppositionsbündnisses "Georgischer Traum" von Milliardär Bidsina Iwanischwili die Oberhand gewonnen: Nicht nur mit den Fahnen, T-Shirts und Halstüchern der Demonstranten, auch die blauen Wahlplakate, Aufkleber und Graffities dominierten an den Hauswänden der Stadt.
Nun aber, im Schutze der Dunkelheit, fahren Regierungsgetreue durch die Straßen und überkleben alles Blaue mit roten Aufklebern ihrer Partei Vereinigte Nationale Bewegung von Präsident Michail Saakaschwili. Sie hinterlassen Hunderte weiße Papierstreifen auf den Gehwegen.

Der Kampf zwischen dem einstigen Rosenrevolutionär Saakaschwili und seinem Herausforderer Iwanischwili hatte von Anfang an wenig mit Sachthemen, viel aber mit Symbolen und Stereotypen zu tun: Der rückwärtsgewandte Oligarch Iwanischwili, Handlanger des feindlich gesinnten Russland und Verbündete der georgischen Mafia, wolle die Demokratisierungserfolge Saakaschwilis zunichte machen. Diese Parole verbreitete die Regierung seit dem Erscheinen des Multi-Milliardärs auf der politischen im Bühne im vergangenen Herbst.

"Basis der Regierungspolitik ist PR"

Doch fällt es der Regierung nicht mehr so leicht, ihre Linie durchzuziehen. Saakaschwilis Rückhalt schwindet, sowohl zuhause als auch im Ausland. Nach der Machtübernahme hatte er es geschickt verstanden, sich im eigenen Land und im Westen zu verkaufen.

"Die Politik der Regierung basiert auf PR", kritisiert Khatia Nadaraia von der Studentenbewegung "Laboratorium 1918" und nennt ein Beispiel: Eigentlich proklamiere die Regierung eine neoliberale Politik, vor der Wahl aber verteile sie 1000-Lari-Gutscheine (500 Euro) an die Familien im Land. Nachdem Konkurrent Iwanischwili ein Sozialprogramm vorgelegt hatte, kündigte auch sie soziale Maßnahmen an, die einer sozialdemokratischen Regierung zur Ehre gereichen würden.

Elitenkorruption und enorme soziale Probleme

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Demokratisierung Georgiens seit 2004 eher als Konsolidierung und Modernisierung der staatlichen Strukturen zu bezeichnen ist. Die Folge war eine Bündelung der Macht an der Staatsspitze. Letztlich hat auch die zu Recht gefeierte Ausmerzung der Korruption unter Polizisten und Staatsbeamten dazu beigetragen.

Doch bleiben Elitenkorruption und enorme soziale Probleme, die die Statistiken von Weltbank, IWF und anderen Organisationen aber verdecken. Sieht man zum Beispiel die vielen Taxifahrer mit ihren heruntergekommen Autos, die Kleinhändlerinnen mit ihren Billigwaren oder die Bauern mit ihren winzigen Ernten, so wirkt eine Arbeitslosenzahl von 16 Prozent wenig nachvollziehbar.

Um sich als Erfolgsmodell im post-sowjetischen Raum zu präsentieren, engagierte die Regierung in den vergangenen Jahren zahlreiche PR-Firmen in Washington, Paris, Brüssel oder London.

Herausforderer Iwanischwili - verlängerter Arm des Kremls?

 Große Unterstützung erhielt die Saakaschwilli-Regierung bei jenen Ländern und Parteien, die in Russland noch immer eine Gefahr wie die Sowjetunion im Kalten Krieg sehen - vor allem rechtskonservative Kräfte in den USA und Westeuropa, daneben Schweden, Polen oder die baltischen Staaten. Dort kam jetzt auch die Behauptung sehr gut an, der Milliardär Iwanischwili, der sein Vermögen in Russland gemacht hat, handele im Interesse des Kreml.

Zu jenen, die diese Behauptung in Westeuropa verbreiteten, gehört der georgische Parlamentarier Giorgi Kandelaki. Als Beleg führt er an, dass sich Iwanischwili nie deutlich gegen Präsident Wladimir Putin ausgesprochen hat. Außerdem habe dieser seinen Besitz und seine Anteile in Russland zu überaus guten Preisen an Kreml-nahe Unternehmen verkauft, und er sei immer noch im Besitz eines Aktienpaketes des staatlichen russischen Konzerns Gazprom.

Iwanischwili weist dies als pure Propaganda zurück. Nicht ganz eindeutig äußert er sich allerdings darüber, ob er Gazprom-Aktien besitzt.

Moskau hat wenig Interesse an Machtwechsel

In Moskau selbst hört man Zweifel über Iwanischwilis Rolle: Russland habe derzeit angesichts anderer außen- und innenpolitischer Probleme kein Interesse an einer Einflussnahme auf die Innenpolitik Georgiens, sagt zum Beispiel der Sicherheitsexperte Ruslan Puchow.

Mit den Militärbasen in den abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien übe Russland die militärische Kontrolle über den Südkaukasus aus. Mehr sei derzeit nicht gewollt. Zudem werde Saakaschwili ohnehin ganz im Stile Putins dafür sorgen, dass er die Wahl gewinnen werde. Mit Iwanischwili brauche man sich da nicht erst beschäftigen.

Georgien ist im Westen isoliert

Es kann sogar gut sein, dass der Kreml Saakaschwili an der georgischen Staatsspitze bevorzugt gegenüber einem rationaler und besonnener auftretenden Politiker wie Iwanischwili, der sich für Annäherung ausspricht. Saakaschwili hat spätestens seit dem Fünf-Tage-Krieg mit Russland 2008 seine Reputation im Westen eingebüßt.

Ganz sicher provoziert von Russland, aber auch entgegen eindringlicher Mahnungen aus dem Westen, ließ er seine Truppen gegen Südossetien marschieren. Seitdem ist er kaum noch zu Gast bei westeuropäischen Regierungen. US-Präsident Barak Obama ließ sich erst nach intensiven Lobbybemühungen auf ein kurzes Gespräch mit ihm ein.

Beobachter sprechen von klaren Signalen aus dem Westen, dass man von Saakaschwili nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit im nächsten Jahr eine Machtübergabe erwartet.

Freiwillige Aufgabe der Macht ist fraglich

Auch unter den Georgiern und sogar den einstigen Anhängern ist Saakaschwili ganz offenbar nicht mehr beliebt. Ein Hinweis darauf ist, dass zu seinen Wahlkampfveranstaltungen nur wenige Anhänger erscheinen und viele von ihnen behaupten, zu den Veranstaltungen beordert worden zu sein.

Hochrangige Regierungsmitglieder erwarten nicht, dass Saakaschwili wie Putin in Russland den Premierminister-Posten übernehmen wird. Dieser sei für Vano Merabischwili vorgesehen, sagen sie. Der als Manager respektierte und als langjähriger Innenminister gefürchtete Merabischwili übernahm kürzlich das Amt des Regierungschefs. Das Problem der Regierungspartei ist jedoch, dass Saakaschwili immer die treibende Kraft war und den kleinen Kreis der Machtelite zusammenhielt.

Fraglich ist, ob Saakaschwili freiwillig die Führung abgeben wird und welche Entscheidungen er in den nächsten Tagen treffen wird, da er praktisch mit dem Rücken zur Wand steht. 

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Kandidaten werben noch einmal um Stimmen tagesthemen 21:50 Uhr, 29.09.2012 [Udo Lielischkies, ARD Moskau]
Download der Videodatei
Georgien: Zehntausende demonstrieren für Iwanischwili (29.09.2012)
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Schmutziger Wahlkampf um die Macht in Georgien (09.08.2012) 
Letzte Wählermobilisierung vor der Wahl [Udo Lielischkies, ARD Moskau]
 


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