(tagesschau.de) Am Montag wird in Georgien ein neues Parlament gewählt.
Georgiens Präsident Saakaschwili steht mit dem Rücken zur Wand: Die
Opposition befindet sich im Aufwind. Und im westlichen Ausland hat er
seine Reputation schon lange verloren. Fraglich bleibt, ob Saakaschwili
die Macht freiwillig abgibt.
Von Silvia Stöber, zur Zeit Tiflis, tagesschau.de
Nachts um Eins in Tiflis. Die georgische Hauptstadt ist zur Ruhe
gekommen. Gestern Nachmittag hatte sie die größte Demonstration seit der
Rosenrevolution erlebt. Es schien, als hätte die Farbe Blau des
Oppositionsbündnisses "Georgischer Traum" von Milliardär Bidsina Iwanischwili
die Oberhand gewonnen: Nicht nur mit den Fahnen, T-Shirts und
Halstüchern der Demonstranten, auch die blauen Wahlplakate, Aufkleber
und Graffities dominierten an den Hauswänden der Stadt.
Nun aber, im Schutze der Dunkelheit, fahren Regierungsgetreue durch
die Straßen und überkleben alles Blaue mit roten Aufklebern ihrer Partei
Vereinigte Nationale Bewegung von Präsident Michail Saakaschwili. Sie
hinterlassen Hunderte weiße Papierstreifen auf den Gehwegen.
Der
Kampf zwischen dem einstigen Rosenrevolutionär Saakaschwili und seinem
Herausforderer Iwanischwili hatte von Anfang an wenig mit Sachthemen,
viel aber mit Symbolen und Stereotypen zu tun: Der rückwärtsgewandte
Oligarch Iwanischwili, Handlanger des feindlich gesinnten Russland und
Verbündete der georgischen Mafia, wolle die Demokratisierungserfolge
Saakaschwilis zunichte machen. Diese Parole verbreitete die Regierung
seit dem Erscheinen des Multi-Milliardärs auf der politischen im Bühne
im vergangenen Herbst.
"Basis der Regierungspolitik ist PR"
Doch fällt es der Regierung nicht mehr so leicht, ihre Linie durchzuziehen. Saakaschwilis Rückhalt schwindet,
sowohl zuhause als auch im Ausland. Nach der Machtübernahme hatte er es
geschickt verstanden, sich im eigenen Land und im Westen zu verkaufen.
"Die
Politik der Regierung basiert auf PR", kritisiert Khatia Nadaraia von
der Studentenbewegung "Laboratorium 1918" und nennt ein Beispiel:
Eigentlich proklamiere die Regierung eine neoliberale Politik, vor der
Wahl aber verteile sie 1000-Lari-Gutscheine (500 Euro) an die Familien
im Land. Nachdem Konkurrent Iwanischwili ein Sozialprogramm vorgelegt
hatte, kündigte auch sie soziale Maßnahmen an, die einer
sozialdemokratischen Regierung zur Ehre gereichen würden.
Elitenkorruption und enorme soziale Probleme
Bei genauerem
Hinsehen zeigt sich, dass die Demokratisierung Georgiens seit 2004 eher
als Konsolidierung und Modernisierung der staatlichen Strukturen zu
bezeichnen ist. Die Folge war eine Bündelung der Macht an der
Staatsspitze. Letztlich hat auch die zu Recht gefeierte Ausmerzung der
Korruption unter Polizisten und Staatsbeamten dazu beigetragen.
Doch
bleiben Elitenkorruption und enorme soziale Probleme, die die
Statistiken von Weltbank, IWF und anderen Organisationen aber verdecken.
Sieht man zum Beispiel die vielen Taxifahrer mit ihren heruntergekommen
Autos, die Kleinhändlerinnen mit ihren Billigwaren oder die Bauern mit
ihren winzigen Ernten, so wirkt eine Arbeitslosenzahl von 16 Prozent
wenig nachvollziehbar.
Um sich als Erfolgsmodell im
post-sowjetischen Raum zu präsentieren, engagierte die Regierung in den
vergangenen Jahren zahlreiche PR-Firmen in Washington, Paris, Brüssel
oder London.
Herausforderer Iwanischwili - verlängerter Arm des Kremls?
Große Unterstützung erhielt die Saakaschwilli-Regierung bei jenen
Ländern und Parteien, die in Russland noch immer eine Gefahr wie die
Sowjetunion im Kalten Krieg sehen - vor allem rechtskonservative Kräfte
in den USA und Westeuropa, daneben Schweden, Polen oder die baltischen
Staaten. Dort kam jetzt auch die Behauptung sehr gut an, der Milliardär
Iwanischwili, der sein Vermögen in Russland gemacht hat, handele im
Interesse des Kreml.
Zu jenen, die diese Behauptung in Westeuropa
verbreiteten, gehört der georgische Parlamentarier Giorgi Kandelaki. Als
Beleg führt er an, dass sich Iwanischwili nie deutlich gegen Präsident
Wladimir Putin ausgesprochen hat. Außerdem habe dieser seinen Besitz und
seine Anteile in Russland zu überaus guten Preisen an Kreml-nahe
Unternehmen verkauft, und er sei immer noch im Besitz eines
Aktienpaketes des staatlichen russischen Konzerns Gazprom.
Iwanischwili
weist dies als pure Propaganda zurück. Nicht ganz eindeutig äußert er
sich allerdings darüber, ob er Gazprom-Aktien besitzt.
Moskau hat wenig Interesse an Machtwechsel
In
Moskau selbst hört man Zweifel über Iwanischwilis Rolle: Russland habe
derzeit angesichts anderer außen- und innenpolitischer Probleme kein
Interesse an einer Einflussnahme auf die Innenpolitik Georgiens, sagt
zum Beispiel der Sicherheitsexperte Ruslan Puchow.
Mit den Militärbasen in den abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien
übe Russland die militärische Kontrolle über den Südkaukasus aus. Mehr
sei derzeit nicht gewollt. Zudem werde Saakaschwili ohnehin ganz im
Stile Putins dafür sorgen, dass er die Wahl gewinnen werde. Mit
Iwanischwili brauche man sich da nicht erst beschäftigen.
Georgien ist im Westen isoliert
Es kann sogar gut sein, dass
der Kreml Saakaschwili an der georgischen Staatsspitze bevorzugt
gegenüber einem rationaler und besonnener auftretenden Politiker wie
Iwanischwili, der sich für Annäherung ausspricht. Saakaschwili hat
spätestens seit dem Fünf-Tage-Krieg mit Russland 2008 seine Reputation
im Westen eingebüßt.
Ganz sicher provoziert von Russland, aber auch entgegen
eindringlicher Mahnungen aus dem Westen, ließ er seine Truppen gegen
Südossetien marschieren. Seitdem ist er kaum noch zu Gast bei
westeuropäischen Regierungen. US-Präsident Barak Obama ließ sich erst
nach intensiven Lobbybemühungen auf ein kurzes Gespräch mit ihm ein.
Beobachter
sprechen von klaren Signalen aus dem Westen, dass man von Saakaschwili
nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit im nächsten Jahr eine
Machtübergabe erwartet.
Freiwillige Aufgabe der Macht ist fraglich
Auch
unter den Georgiern und sogar den einstigen Anhängern ist Saakaschwili
ganz offenbar nicht mehr beliebt. Ein Hinweis darauf ist, dass zu seinen
Wahlkampfveranstaltungen nur wenige Anhänger erscheinen und viele von
ihnen behaupten, zu den Veranstaltungen beordert worden zu sein.
Hochrangige
Regierungsmitglieder erwarten nicht, dass Saakaschwili wie Putin in
Russland den Premierminister-Posten übernehmen wird. Dieser sei für Vano
Merabischwili vorgesehen, sagen sie. Der als Manager respektierte und
als langjähriger Innenminister gefürchtete Merabischwili übernahm
kürzlich das Amt des Regierungschefs. Das Problem der Regierungspartei
ist jedoch, dass Saakaschwili immer die treibende Kraft war und den
kleinen Kreis der Machtelite zusammenhielt.
Fraglich ist, ob
Saakaschwili freiwillig die Führung abgeben wird und welche
Entscheidungen er in den nächsten Tagen treffen wird, da er praktisch
mit dem Rücken zur Wand steht.
+++
Kandidaten werben noch einmal um Stimmen tagesthemen 21:50 Uhr, 29.09.2012 [Udo Lielischkies, ARD Moskau]
Download der Videodatei
Georgien: Zehntausende demonstrieren für Iwanischwili (29.09.2012)
Georgiens Innenminister reicht Rücktritt ein (20.09.2012 )
Schmutziger Wahlkampf um die Macht in Georgien (09.08.2012)
Letzte Wählermobilisierung vor der Wahl [Udo Lielischkies, ARD Moskau]
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Kandidaten werben noch einmal um Stimmen tagesthemen 21:50 Uhr, 29.09.2012 [Udo Lielischkies, ARD Moskau]
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