Sunday, September 30, 2012

WAHLEN: Georgiens Präsident Saakaschwili - Demokratisch wie Putin. Aus Georgien berichtet Benjamin Bidder. (spiegel.de)

(spiegel.de) Micheil Saakaschwili hat Georgien zwar modernisiert. Weil er aber 2013 als Präsident nicht mehr kandidieren darf, will er nach Kreml-Muster als Premierminister an der Macht bleiben - wie einst sein Erzfeind Wladimir Putin. Der Parlaments-Wahlkampf wird erbittert geführt.

Diese Studenten fordern einen Machtwechsel in Georgien.Damals, als der mächtigste und der reichste Mann des Landes noch Partner waren und nicht Feinde, lud Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili den Milliardär Bidsina Iwanischwili zu einer Spritztour ans Schwarze Meer ein. Der Staatschef wollte dem Oligarchen das Fortschreiten seines Prestige-Projekts demonstrieren. In einer Mercedes-Karosse glitten die beiden Männer, die sich vor der Parlamentswahl am Montag nun erbittert bekämpfen, entlang der Uferpromenade der Schwarzmeerstadt Batumi. Saakaschwili zeigte durch die Fenster auf in die Höhe strebende Baustellen von Casinos, Restaurants und Hotels.

Batumi ist der Ort der größten Erfolge von Saakaschwili, der 2004 mit gerade einmal 36 Jahren zu Europas jüngstem Staatschef gewählt wurde. Kaum im Amt, brach in Batumi auch schon das Regime von Aslan Abaschidse zusammen. 

Provinzfürst Abaschidse hatte eine bemerkenswerte Karriere hinter sich: Vom Ex-Sowjetfunktionär hatte er sich zum Mafia-Paten gemausert. Batumi und die Region Adscharien entzog er der Gewalt der Regierung in Tiflis, nur um sie ungestört ausplündern zu können. Batumi, "die Perle des Schwarzen Meeres", hatte damals eigene Truppen der Staatssicherheit und ein eigenes Staats-TV, aber keine funktionierende Kläranlage.

"Damals gab es in der ganzen Stadt 200 Hotelzimmer, heute sind es 4000", sagt Davit Kikawa, Chef der örtlichen Tourismusbehörde. Der 36-Jährige hat in Heidelberg Politikwissenschaft studiert. Nach der Rosenrevolution aber kehrte er nach Georgien zurück. Saakaschwilis Regierung lockte junge Experten mit Auslandserfahrung. Ein Porträt des Präsidenten, der versprochen hat, Batumi zur "schönsten Stadt der ganzen Schwarzmeer-Region" zu machen, hängt an der Wand von Kikawas Büro.

Seit 2004 sind 1,2 Milliarden Dollar nach Batumi geflossen, darunter Geld aus den USA und der EU. Ausländische Architekten haben die kilometerlange Uferpromenade neu gestaltet, Hotelketten wie Sheraton und Radisson Fünf-Sterne-Häuser eröffnet. An den Tischen von Casinos wie dem "Peace" spielen einträchtig Iraner, Armenier und Aserbaidschaner Poker. An der Küste erhebt sich ein griechisches Restaurant, das aussieht wie eine Kopie der Akropolis, und ein Brunnen, aus dem mehrmals in der Woche statt Wasser Tschatscha sprudeln soll, georgischer Schnaps.

Verloren sich 2003 noch gerade einmal 70.000 Besucher in die Stadt am Schwarzen Meer, waren es im vergangenen Jahr schon 1,3 Millionen. Batumi boomt, dabei ist es noch immer mitten im Bau: der Pier für die großen Kreuzfahrtschiffe etwa, der 2014 fertig sein soll, und der Wolkenkratzer der "American University", höher als jedes Gebäude im Kaukasus.

Das Hemd spannt über dem stattlichen Bauch
 
Deren Eröffnung darf Micheil Saakaschwili als Präsident nicht mehr erleben. Nach zwei Amtszeiten verbietet ihm die Verfassung 2013 eine erneute Kandidatur. Saakaschwili, 2004 mit Vorschusslorbeeren als Vorzeige-Demokrat an die Macht gekommen, steht dann vor seiner schwierigsten Prüfung. Soll Georgien zu einem demokratischen Vorbild für die Region werden, muss er schaffen, woran Herrscher in Moskau, Kiew, Minsk oder im Kaukasus regelmäßig scheitern: Er muss freiwillig von der Macht lassen.

Kutaissi, die zweitgrößte Stadt des Landes, Saakaschwili absolviert hier einen Wahlkampfauftritt. Der Präsident trägt Jeans. Hinter ihm schimmern türkis die Dächer einer restaurierten mittelalterlichen Kathedrale. In den neun Jahren im Amt sind Saakaschwilis Schläfen ergraut, das legere rote Hemd spannt ein wenig über dem inzwischen stattlichen Bauch. Er hat die jungenhafte Ausstrahlung verloren, die ihn einst auszeichnete, aber mit 44 Jahren ist er immer noch jünger als Barack Obama bei dessen erster Wahl 2008.

Saakaschwili spricht in Kutaissi viel über die Einigkeit der Nation, über "mehr Wohltaten für das Volk". Aber er wirkt nicht wie jemand, der bereit ist, im kommenden Jahr sein unvollendetes Lebenswerk in die Hände eines anderen zu übergeben. 

Keiner der Staaten der ehemaligen Sowjetunion hat so gründlich versucht, das sowjetische Erbe abzuschütteln wie Saakaschwilis Georgien. In den Anti-Korruptions-Ranglisten von Transparency International hat das Land einen Satz von 60 Plätzen auf Rang 64 gemacht. Georgien liegt damit fünf Plätze vor Italien, 65 vor dem Nachbarland Armenien - und 124 Plätze vor dem großen Nachbarn Russland. Beim "Ease of Doing Business"-Index der Weltbank hängt der Kaukasus-Staat auf Position 16 sogar Deutschland ab. 

Georgien ist ein Vorbild, weit über seine Grenzen hinaus. Vitali Klitschko, der Boxer, der auch ukrainischer Oppositionspolitiker ist, preist in seinem Wahlkampf die georgischen Reformen. In Moskau macht in Oppositionskreisen ein Buch die Runde, dessen Titel lautet: "Warum es bei Georgien geklappt hat."

Saakaschwilis Reformer-Image hat Kratzer bekommen
 
Doch Saakaschwilis Reformer-Image hat Kratzer bekommen. 2007 ließ er Massenproteste niederknüppeln, Hunderte wurden verletzt. 2008 dann brach er - durchaus vom Gegner provoziert - den Fünf-Tage-Krieg mit Russland vom Zaun. Mitte September dann wurden Fälle von Folter in Saakaschwilis überfüllten Gefängnissen bekannt. In der Hauptstadt Tiflis demonstrieren seither beinahe täglich Tausende.
Wenn das Oppositionsbündnis "Georgischer Traum" des Milliardärs Bidsina Iwanischwili bei den Parlamentswahlen am Montag aus dem Stand auf ein respektables Ergebnis und nach manchen Umfragen sogar auf den Sieg hoffen kann, liegt das in erster Linie an den Fehlern von Saakaschwili.

Der Präsident hat blutjunge Minister in sein Kabinett berufen. Die Wirtschaftsministerin ist 31, der Ressortchef Umwelt 29. Doch wer älter ist als 45 hat kaum Chancen auf einen Job in Georgien.

Saakaschwilis Polizeireform hat zwar die Korruption im Alltag ausgerottet, auf den höheren Ebenen dagegen blüht sie weiter. Nach Angaben von Transparency International gebietet ein Ex-Verteidigungsminister über ein einflussreiches Firmengeflecht und die größten Tankstellenketten. Undurchsichtige Briefkastenfirmen, registriert in Offshore-Zonen, kontrollieren weite Teile der Wirtschaft.

Saakaschwili, der doch sein Land in ein zweites "Singapur oder Dubai" verwandeln wollte, eifert auch einem Lehrmeister mit zweifelhaftem Ruf nach: Russlands starkem Mann Wladimir Putin.

"Nur ein Prozent aller Prozesse endet mit einem Freispruch"
 
So bekamen Geschäftsleute, die Büros an die Opposition vermieten wollten, Besuch von Geheimdienst und Polizei. Auch an georgischen Gerichten herrschen russische Verhältnisse: "Nur ein Prozent aller Prozesse endet mit einem Freispruch", sagt Tamar Tschugoschwili, Chefin der Vereinigung junger Rechtsanwälte. Saakaschwili, sagt der Tifliser Politikprofessor Iago Katschkatschischwili, habe eine "Vertikale der Macht geschaffen ähnlich wie Putin".

Saakaschwili hat zudem alles vorbereitet, um jenes Manöver nachzuvollziehen, mit dem Putin 2008 die Macht in den Händen behielt. Putin durfte damals nach zwei Amtszeiten wie Saakaschwili heute nicht mehr als Staatschef kandidieren. Er wechselte deshalb einfach auf den Posten des Regierungschefs, nur um nach vier Jahren in diesem Mai wieder auf den Kreml-Thron zurückzukehren.

Vor seinem Abschied vom Präsidentenamt hat Saakaschwili Georgiens Verfassung ändern lassen: Ab 2013 gewährt sie Parlament und Premierminister größere Vollmachten und schwächt die Position des Präsidenten.

Als Saakaschwili im Juni US-Außenministerin Hillary Clinton in Batumi empfing fragten ihn Reporter, ob er "kategorisch ausschließen kann, Premierminister zu werden." Der Präsident hob damals zu einer langen Rede über erfolgreiche Projekte wie die Verlegung des Parlaments von Tiflis nach Kutaissi an. Er sprach davon, dass die "georgische Demokratie stärker wird", und davon, dass er "sich nicht freiwillig in eine lahme Ente verwandeln" wolle. Nur auf die Frage der Reporter antwortete er nicht. 

"Er ist eben auf den Geschmack der Macht gekommen", sagt Politologe Katschkatschischwili. "Freiwillig wird er sie nicht abgeben."

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