(spiegel.de) Micheil Saakaschwili hat Georgien zwar modernisiert. Weil er
aber 2013 als Präsident nicht mehr kandidieren darf, will er nach
Kreml-Muster als Premierminister an der Macht bleiben - wie einst sein
Erzfeind Wladimir Putin. Der Parlaments-Wahlkampf wird erbittert
geführt.
Damals, als der mächtigste und der reichste Mann des Landes noch Partner waren und nicht Feinde, lud Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili den Milliardär Bidsina Iwanischwili
zu einer Spritztour ans Schwarze Meer ein. Der Staatschef wollte dem
Oligarchen das Fortschreiten seines Prestige-Projekts demonstrieren. In
einer Mercedes-Karosse glitten die beiden Männer, die sich vor der
Parlamentswahl am Montag nun erbittert bekämpfen, entlang der
Uferpromenade der Schwarzmeerstadt Batumi. Saakaschwili zeigte durch die
Fenster auf in die Höhe strebende Baustellen von Casinos, Restaurants
und Hotels.
Batumi ist der Ort der größten Erfolge von Saakaschwili, der 2004 mit
gerade einmal 36 Jahren zu Europas jüngstem Staatschef gewählt wurde.
Kaum im Amt, brach in Batumi auch schon das Regime von Aslan Abaschidse
zusammen.
Provinzfürst Abaschidse hatte eine bemerkenswerte Karriere hinter
sich: Vom Ex-Sowjetfunktionär hatte er sich zum Mafia-Paten gemausert.
Batumi und die Region Adscharien entzog er der Gewalt der Regierung in
Tiflis, nur um sie ungestört ausplündern zu können. Batumi, "die Perle
des Schwarzen Meeres", hatte damals eigene Truppen der Staatssicherheit
und ein eigenes Staats-TV, aber keine funktionierende Kläranlage.
"Damals gab es in der ganzen Stadt 200 Hotelzimmer, heute sind es
4000", sagt Davit Kikawa, Chef der örtlichen Tourismusbehörde. Der
36-Jährige hat in Heidelberg Politikwissenschaft studiert. Nach der
Rosenrevolution aber kehrte er nach Georgien
zurück. Saakaschwilis Regierung lockte junge Experten mit
Auslandserfahrung. Ein Porträt des Präsidenten, der versprochen hat,
Batumi zur "schönsten Stadt der ganzen Schwarzmeer-Region" zu machen,
hängt an der Wand von Kikawas Büro.
Seit 2004 sind 1,2 Milliarden Dollar nach Batumi geflossen, darunter
Geld aus den USA und der EU. Ausländische Architekten haben die
kilometerlange Uferpromenade neu gestaltet, Hotelketten wie Sheraton und
Radisson Fünf-Sterne-Häuser eröffnet. An den Tischen von Casinos wie
dem "Peace" spielen einträchtig Iraner, Armenier und Aserbaidschaner
Poker. An der Küste erhebt sich ein griechisches Restaurant, das
aussieht wie eine Kopie der Akropolis, und ein Brunnen, aus dem mehrmals
in der Woche statt Wasser Tschatscha sprudeln soll, georgischer
Schnaps.
Verloren sich 2003 noch gerade einmal 70.000 Besucher in die Stadt am
Schwarzen Meer, waren es im vergangenen Jahr schon 1,3 Millionen.
Batumi boomt, dabei ist es noch immer mitten im Bau: der Pier für die
großen Kreuzfahrtschiffe etwa, der 2014 fertig sein soll, und der
Wolkenkratzer der "American University", höher als jedes Gebäude im Kaukasus.
Das Hemd spannt über dem stattlichen Bauch
Deren Eröffnung darf Micheil Saakaschwili als Präsident nicht mehr
erleben. Nach zwei Amtszeiten verbietet ihm die Verfassung 2013 eine
erneute Kandidatur. Saakaschwili, 2004 mit Vorschusslorbeeren als
Vorzeige-Demokrat an die Macht gekommen, steht dann vor seiner
schwierigsten Prüfung. Soll Georgien zu einem demokratischen Vorbild für
die Region werden, muss er schaffen, woran Herrscher in Moskau, Kiew,
Minsk oder im Kaukasus regelmäßig scheitern: Er muss freiwillig von der
Macht lassen.
Kutaissi, die zweitgrößte Stadt des Landes, Saakaschwili absolviert
hier einen Wahlkampfauftritt. Der Präsident trägt Jeans. Hinter ihm
schimmern türkis die Dächer einer restaurierten mittelalterlichen
Kathedrale. In den neun Jahren im Amt sind Saakaschwilis Schläfen
ergraut, das legere rote Hemd spannt ein wenig über dem inzwischen
stattlichen Bauch. Er hat die jungenhafte Ausstrahlung verloren, die ihn
einst auszeichnete, aber mit 44 Jahren ist er immer noch jünger als
Barack Obama bei dessen erster Wahl 2008.
Saakaschwili spricht in Kutaissi viel über die Einigkeit der Nation,
über "mehr Wohltaten für das Volk". Aber er wirkt nicht wie jemand, der
bereit ist, im kommenden Jahr sein unvollendetes Lebenswerk in die Hände
eines anderen zu übergeben.
Keiner der Staaten der ehemaligen Sowjetunion hat so gründlich
versucht, das sowjetische Erbe abzuschütteln wie Saakaschwilis Georgien.
In den Anti-Korruptions-Ranglisten von Transparency International
hat das Land einen Satz von 60 Plätzen auf Rang 64 gemacht. Georgien
liegt damit fünf Plätze vor Italien, 65 vor dem Nachbarland Armenien -
und 124 Plätze vor dem großen Nachbarn Russland. Beim "Ease of Doing
Business"-Index der Weltbank hängt der Kaukasus-Staat auf Position 16
sogar Deutschland ab.
Georgien ist ein Vorbild, weit über seine Grenzen hinaus. Vitali Klitschko,
der Boxer, der auch ukrainischer Oppositionspolitiker ist, preist in
seinem Wahlkampf die georgischen Reformen. In Moskau macht in
Oppositionskreisen ein Buch die Runde, dessen Titel lautet: "Warum es
bei Georgien geklappt hat."
Saakaschwilis Reformer-Image hat Kratzer bekommen
Doch Saakaschwilis Reformer-Image hat Kratzer bekommen. 2007 ließ er
Massenproteste niederknüppeln, Hunderte wurden verletzt. 2008 dann brach
er - durchaus vom Gegner provoziert - den Fünf-Tage-Krieg mit Russland
vom Zaun. Mitte September dann wurden Fälle von Folter in Saakaschwilis überfüllten Gefängnissen bekannt. In der Hauptstadt Tiflis demonstrieren seither beinahe täglich Tausende.
Wenn das Oppositionsbündnis "Georgischer Traum" des Milliardärs
Bidsina Iwanischwili bei den Parlamentswahlen am Montag aus dem Stand
auf ein respektables Ergebnis und nach manchen Umfragen sogar auf den
Sieg hoffen kann, liegt das in erster Linie an den Fehlern von
Saakaschwili.
Der Präsident hat blutjunge Minister in sein Kabinett berufen. Die
Wirtschaftsministerin ist 31, der Ressortchef Umwelt 29. Doch wer älter
ist als 45 hat kaum Chancen auf einen Job in Georgien.
Saakaschwilis Polizeireform hat zwar die Korruption im Alltag
ausgerottet, auf den höheren Ebenen dagegen blüht sie weiter. Nach
Angaben von Transparency International gebietet ein
Ex-Verteidigungsminister über ein einflussreiches Firmengeflecht und die
größten Tankstellenketten. Undurchsichtige Briefkastenfirmen,
registriert in Offshore-Zonen, kontrollieren weite Teile der Wirtschaft.
Saakaschwili, der doch sein Land in ein zweites "Singapur oder Dubai"
verwandeln wollte, eifert auch einem Lehrmeister mit zweifelhaftem Ruf
nach: Russlands starkem Mann Wladimir Putin.
"Nur ein Prozent aller Prozesse endet mit einem Freispruch"
So bekamen Geschäftsleute, die Büros an die Opposition vermieten
wollten, Besuch von Geheimdienst und Polizei. Auch an georgischen
Gerichten herrschen russische Verhältnisse: "Nur ein Prozent aller
Prozesse endet mit einem Freispruch", sagt Tamar Tschugoschwili, Chefin
der Vereinigung junger Rechtsanwälte. Saakaschwili, sagt der Tifliser
Politikprofessor Iago Katschkatschischwili, habe eine "Vertikale der
Macht geschaffen ähnlich wie Putin".
Saakaschwili hat zudem alles vorbereitet, um jenes Manöver
nachzuvollziehen, mit dem Putin 2008 die Macht in den Händen behielt.
Putin durfte damals nach zwei Amtszeiten wie Saakaschwili heute nicht
mehr als Staatschef kandidieren. Er wechselte deshalb einfach auf den
Posten des Regierungschefs, nur um nach vier Jahren in diesem Mai wieder
auf den Kreml-Thron zurückzukehren.
Vor seinem Abschied vom Präsidentenamt hat Saakaschwili Georgiens
Verfassung ändern lassen: Ab 2013 gewährt sie Parlament und
Premierminister größere Vollmachten und schwächt die Position des
Präsidenten.
Als Saakaschwili im Juni US-Außenministerin Hillary Clinton
in Batumi empfing fragten ihn Reporter, ob er "kategorisch ausschließen
kann, Premierminister zu werden." Der Präsident hob damals zu einer
langen Rede über erfolgreiche Projekte wie die Verlegung des Parlaments
von Tiflis nach Kutaissi an. Er sprach davon, dass die "georgische
Demokratie stärker wird", und davon, dass er "sich nicht freiwillig in
eine lahme Ente verwandeln" wolle. Nur auf die Frage der Reporter
antwortete er nicht.
"Er ist eben auf den Geschmack der Macht gekommen", sagt Politologe
Katschkatschischwili. "Freiwillig wird er sie nicht abgeben."
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