Thursday, March 30, 2006

Dr. Zurab Aloian (Bremen)
Kaukasisches Mosaik
"Stalin, Beria, Schevardnadse, Alijev, sogar Primakow sind in dieser Region aufgewachsen. Gorbatschow machte etwas nördlich von dieser Region politisch Karriere. Die Einheimischen denken in komplexen Zügen, weswegen Schach im Kaukasus auch so beliebt ist: Der zehnte Weltmeister, Tigran Petrosian, war ein Armenier aus Georgien; Schachspielerinnen wie Gaprindaschwili und Tschiburdanidse sind Georgierinnen, der Weltranglistenerste im Schach, Garri Kasparow, ist Kind einer jüdisch-armenischen Familie und erhielt seine Ausbildung in Baku (der Hauptstadt Aserbaidschans).
Was machte den Kaukasus so interessant für die großen russischen Schriftsteller Puschkin, Lermontow und Tolstoi, für Brecht und den Ungarn Jókai? Was reizte Herodot und Strabo daran, die kaukasischen Stämme und ihre Bräuche so ausführlich zu beschreiben? Der Wein und die Sonne, historische Legenden und moderne Fantasien, ebenso wie die Verschiedenheit der religiösen und ethnischen Gruppen mögen uns diese Geheimnisse offenbaren.
Man kann beeindruckt und sogar erstaunt sein über die Vielzahl an Sprachen und Nationalitäten auf diesem kleinen Fleck der Erde. Kein Wunder also, wenn der Kaukasus schon vor langer Zeit als „Berg der Nationen“ bezeichnet wurde. Das beste Beispiel für die überdauernden Identitäten könnte die Republik Daghestan im nördlichen Kaukasus sein: 102 ethnische Gruppen, von denen mit 600.000 die Awaren die größte darstellen und die Lezginen über 300.000 sowie die Darginen 200.000 Personen zählen. Hingegen werden die meisten Sprachen von nur 200-500 Ortsansässigen in Dutzenden von abgelegenen Gebirgsdörfern gesprochen. Für die meisten Linguisten sind diese Sprachen bemerkenswert: So hält die tabasaranische Sprache (50.000 Muttersprachler) mit 46 Kasus den Rekord in der Grammatik. Ein anderes Beispiel: Es gibt die andianische Sprache, welche der Andianischen Untergruppe der Andi-Awar-Dido-Gruppe, welche wiederum selbst zum Daghestanischen Zweig der Nakh-Daghestanischen Sprachfamilie zählt, zugeordnet wird. So eine lange Bezeichnung für gerade mal 20.000 Muttersprachler! Vergessen wir nicht: Hier geht es nur um das kleine Daghestan. Es gibt noch andere Republiken innerhalb der Russischen Föderation – Adygea, Tschetschenien, Inguschetien, Nord-Ossetien, Karatschaewo-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien. Darüber hinaus gibt es Republiken im Transkaukasus mit ihrem eigenen kulturellen Identitäten: Abchasien, Adscharien und Süd-Ossetien (Georgien), Nagorno-Karabach und Nachitschewan (Aserbaidschan). Diese Republiken wurden alle formal anerkannt, und noch mehr streben nach Anerkennung. Aber all diese Nationen sind weit weg, nicht in Europa, und im Krieg wie auch im Frieden können „die Guten“ und „die Bösen“ nicht auseinandergehalten werden – es sind einfach alles Minderheiten, die eine zerbrechliche, wen auch historisch bewährte Balance gehalten haben.
Menschen haben sich über die Jahrhunderte hinweg im Kaukasus versteckt um Verfolgungen zu entgehen: Selbst die russisch sprechenden Molokaner (eine „häretische“ christliche Sekte, welche von der Hauptrichtung der russischen Kirche ausgeschlossen worden war) konnten in Armenien und Georgien Zuflucht finden, lange bevor diese beiden Länder in das russische Kaiserreich integriert wurden. Man stelle sich vor: Die Russen flüchten vor der Unterdrückung in ihrem eigenen Land in den Kaukasus! Zu Zeiten der Sowjetunion drängte es aus den gleichen Gründen viele freidenkende Russen, im Kaukasus Zuflucht zu nehmen, in einer intellektuellen heilen Welt, der als sonniger Urlaubsort in den steilen Bergen getarnt war. Dies hatte einen einfachen Grund: Die kommunistischen Autoritäten im Kaukasus erlaubten, wen über Vergangenheit und Gegenwart gesprochen wurde, eine etwas entspanntere Atmosphäre als ihre russischen Kollegen. Sie waren einfach praktisch orientiert: Lass die Leute reden und trinken, sonst machen sie ihrem Ärger mit Gewehren Luft. Moderne Entwicklungen beweisen, dass man, wenn Dinge in Frieden diskutiert werden, eine gute Chance besteht, jegliches Blutvergießen zu vermeiden. Übrigens ist das nicht nur im Kaukasus so.
In religiösen Angelegenheiten waren die Armenier das erste Volk, welches den christlichen Glauben – um 334 n.Chr. – auf nationaler Ebene annahm. Es folgten die Georgier, die immer noch ihren frommen orthodox-christlichen Glauben bewahren, und dies trotz jahrhundertelanger Versuche des osmanischen und persischen reiches, ihnen „weltweite Werte“ beizubringen. Die Menschen in Aserbaidschan, die georgisch-sprechenden Adscharen und die Mehrheit im Nord-Kaukasus praktizieren den Islam. Einige jüdische Gruppen, die nie von Einheimischen unterdrückt wurden, überlebten und zogen teilweise nach Israel: die im Hochland lebenden Tats (die eine iranische Sprache sprechen und mit Muslimen vermischt sind), die georgischen Juden (welche direkt aus Babylon in das Land zogen), wie auch die europäischen aschkenasischen Siedler, die im 19. Jahrhundert kamen. Es wird angenommen, dass viele der Juden Überlebende des einst mächtigen Chasaren Kaganates sind, wie auch die Ossetier Nachkommen der Alaner sind, deren militärische Macht der Balkan, Ungarn und Russland zu spüren bekamen. Abgesehen davon, gibt es noch zahlreiche traditionelle Kulte die praktiziert werden – besonders in Abchasien."
Der ganze Text: Kaukasisches Mosaik

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