Giya Kancheli: „Symphonies No. 1 bis 7"
Tbilisi Symphony Orchestra
Dirigent: Djansug Kakhidze
Beaux/Mazur Media (4CDs)
Aus Musik entsteht Stille und zuweilen wird die Stille selbst zur Musik. Eine solche Stille zu erreichen, ist mein Traum", formuliert der georgische Komponist Giya Kancheli sein künstlerisches Credo. Die Stille ist das tragende Moment in Kanchelis Werk, insbesondere in seinen sieben Sinfonien, die im Zeitraum von 1967 bis 1985 entstanden und das Herzstück seines Schaffens bilden. Aus der Stille erhebt sich der Klang, langsam, fast statisch, gleichsam einem geheimnisvollen Ritual folgend. Es ist das Klangbild der Welt, das aus der Stille geboren wird. Der vor kurzem verstorbene russische Komponist Alfred Schnittke schrieb 1983 zur Schallplatteneinspielung der Dritten und Sechsten Sinfonie bei dem sow-jetischen Label Melodija: „Kanchelis Sinfonien lassen uns in relativ kurzer Zeit ein ganzes Leben, ja eine ganze Geschichtsepoche durchleben. Doch dabei spüren wir nicht die Stöße der Zeit, sondern sitzen gleichsam in einem Flugzeug, ohne die Geschwindigkeit wahrzunehmen, und schweben über dem musikalischen Raum, das heißt über der Zeit."Kancheli verbindet in seiner Musik die jahrhundertealten Traditionen der georgischen Volksmusik mit Elementen moderner westlicher Kunstmusik, was ihm seinerzeit von der sowjetischen Kulturbürokratie die Be- schimpfung als „eklektischer Allesverwerter" eintrug. Tatsächlich aber hat Kancheli aus der Kollision von Stilen der Vergangenheit und Gegenwart ein individuelles, eigenständiges Konzept entwickelt. Die Besonderheit der mehrstimmigen Gesänge Georgiens, deren „geheimnisvoller Geist" Kancheli fasziniert, liegt darin, dass zwei gegensätzliche musikalische Prinzipien miteinander verbunden sind, die Entfaltung modaler Melodien in der horizontalen Ebene und die Koordination mehrerer Stimmen in der vertikalen Ebene. Auf dieser Komplexität baute Kancheli sein kompositorisches Konzept auf, das im Laufe der Jahre zu immer größerer Einfachheit führte. „Von Werk zu Werk", so erläutert er, „wird meine Musiksprache einfacher."
1935 in Tiflis als Sohn eines Chirurgen geboren, wandte sich Kancheli zunächst der Geologie zu, ehe er von 1959 bis 1963 am Konservatorium von Tiflis unter Ilja Tuskija Komposition studierte. Er sammelte Erfahrungen als Filmmusiker und schloss sich modernen Theaterkünstlern an. Ab 1966 arbeitete er mit Robert Sturua, dem Chefregisseur am Rustaweli-Theater in Tiflis, zusammen, zu dessen berühmten Shakespeare-Inszenierungen er die Bühnenmusik schrieb. Während der von Chruschtschow eingeleiteten kurzlebigen „Tauwetterperiode" bildete sich in Georgien eine progressive Künstlerbewegung, der sich auch Giya Kancheli und der Dirigent Djansug Kakhidze anschlossen. Für Kancheli brachte seine enge, bis in die Kindheit zurückreichende Freundschaft mit Kakhidze in gewissem Sinne den künstlerischen Durchbruch. „Ohne Kakhidze an meiner Seite wäre ich sicherlich ein anderer Komponist geworden", bekannte Kancheli einmal und erzählte, dass er sich, wenn er komponiere, immer vorstelle, wie das Werk unter Kakhidzes Händen klingen würde. Bereits die Erste Sinfonie aus dem Jahr 1967 schrieb er in dem Bewusstsein, dass Kakhidze die Uraufführung dirigieren werde. Seither wurde ein großer Teil seiner Kompositionen, einschließlich der Oper „Musik für die Lebenden" aus dem Jahr 1984, von Kakhidze geleitet. Die ersten Aufnahmen von Kanchelis sinfonischem Werk erfolgten vor beinahe drei Jahrzehnten für die Tifliser Abteilung der sowjetischen Schallplattenfirma Melodija mit dem georgischen Staatsorchester. Die jetzt vorliegenden Aufnahmen, bei denen ebenfalls Djansug Kakhidze am Pult stand, wurden mit dem Tifliser Sinfonieorchester in den neunziger Jahren eingespielt. Es handelt sich um eine künstlerisch exzellente und – trotz der aufgrund des damals herrschenden Bürgerkrieges überaus schwierigen Produktionsbedingungen – aufnahmetechnisch durchweg hoch zu rühmende Wiedergabe aller Sinfonien des inzwischen längst im Westen wirkenden Georgiers.
Ruth Renée Reif, UNIVERSITAS
Ruth Renée Reif, UNIVERSITAS
Quelle: http://www.hirzel.de/universitas/toene.htm
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