Sunday, August 26, 2012

POLITIK: Georgien. Ein Traum mit ungewissem Ausgang. Von Silvia Stöber (tagesspiegel.de)

(tagesspiegel.de) Am 1. Oktober wird in Georgien gewählt – die größte Herausforderung für die Regierungspartei seit der Rosenrevolution 2003.

Der Herausforderer: Bidsina Iwanischwili machte ein Vermögen in Russland und tritt nun gegen den Präsidenten der Rosenrevolution von 2003 an. Foto: Reuters
Der Herausforderer: Bidsina Iwanischwili
Der Mann, um den sich in Georgien seit bald einem Jahr alles dreht, ist eher klein und schmächtig. Er ist kein begnadeter Redner und strahlt kein Charisma aus. Freimütig sagt er über sich selbst, er sei nicht gern Politiker. Dennoch gelang es Bidsina Iwanischwili in den vergangenen Wochen, Zehntausende im ganzen Land auf die Straße zu bringen, als er zu Wahlkampfveranstaltungen seines Bündnisses „Georgischer Traum“ aufrief.

Den Freiheitsplatz in der Hauptstadt Tiflis zum Beispiel füllten Ende Mai so viele Demonstranten wie seit Jahren nicht. Iwanischwili kam zu Fuß. Bodyguards bahnten ihm den Weg durch die Massen zum Podium.

Er sprach sehr schnell. Als er Pausen einlegte, blieb es still auf dem Platz. Erst am Ende brandete Applaus auf, angefacht von Mitgliedern seines Bündnisses.

Dennoch ist Iwanischwili für die Regierungspartei von Präsident Michail Saakaschwili die größte Herausforderung seit der Rosenrevolution 2003. Dafür gibt es mindestens zwei Gründe. Einer besteht im Ruf Iwanischwilis als freigiebiger, aber öffentlichkeitsscheuer Milliardär, den sich der erfolgreiche Geschäftsmann in den vergangenen Jahren erworben hat. Nachdem der Sohn mittelloser Kleinbauern in den Umbrüchen der 90er Jahre in Russland ein Milliarden-Vermögen gemacht hatte, kehrte er vor nunmehr neun Jahren nach Hause in die georgische Provinz zurück. Im Stillen begann er wenig später, nicht nur seine Heimatregion Satschchere, sondern auch den Staat mit mehreren hundert Millionen Euro zu unterstützen.

Michail Saakaschwili regiert Georgien seit 2004. Seinen Gegner bekämpft er derzeit vor allem mit restriktiven Gesetzen zur Parteienfinanzierung. Foto: AFP
Michail Saakaschwili regiert Georgien seit 2004.
Doch im Herbst 2011 brach er offen mit der Regierung. Er wirft Saakaschwili und dessen Mitstreitern vor, alle Bereiche der Gesellschaft von den Gerichten über die Medien bis zur Wirtschaft zu kontrollieren. Er hingegen wolle den Menschen beibringen, dass die Wähler die Regierung kontrollieren und nicht umgekehrt, sagt der Milliardär. Iwanischwili trifft damit die Stimmung jener unter den 4,5 Millionen Einwohnern, die in den Reformen seit der Rosenrevolution keine Verbesserung ihrer Lebenslage sehen. Es sind Ältere, die bei der Korruptionsbekämpfung und Umgestaltung von Schulen, Universitäten und Behörden ihre Arbeit verloren. Die Modernisierung des öffentlichen Verkehrs in Tiflis zum Beispiel sehen sie als Problem, denn die damit verbundenen Preiserhöhungen verteuern ihre Lebenshaltungskosten. Es sind die Bauern, die überwiegend für den eigenen Bedarf produzieren, weil sie nicht gegen die Import-Lebensmittel konkurrieren können. Es sind aber auch jüngere und gut ausgebildete Bürger, die sich nicht zum Umfeld der Regierung zählen und deshalb sagen, sie fänden schwerer einen Job, oder es werde ihnen erschwert, in einem stark monopolisierten Markt eine Firma zu führen. Diese Unzufriedenheit ist der zweite Grund, warum sich viele Hoffnungen auf den Milliardär richten.

Iwanischwili gelang es, die zerstrittenen Oppositionsparteien in seinem Bündnis „Georgischer Traum“ zu einen. Sie residieren nun gemeinsam in einem mehrstöckigen rosa-orangefarbenen Neubau in der Altstadt. Viele Mitarbeiter passieren die Schranke im Hauptquartier mit Genugtuung und nicht selten Arroganz im Blick gegenüber den zahlreichen Bittstellern am Eingang. In einem Gebäude gegenüber ist die zivilgesellschaftliche Bewegung von „Georgischer Traum“ untergebracht. Viele der meist jungen Leute tragen die blauen, schwarzen oder weißen T-Shirts mit dem Emblem der Bewegung. Sie machen bei den Wahlkampfveranstaltungen Stimmung oder kümmern sich als Ordner um die Sicherheit. Das Bündnis hat inzwischen mehr als 80 Parteibüros im ganzen Land. Eine Fernsehstation und ein Internetsender berichten aus allen Provinzen. Mit teils vierfach höheren Gehältern warben Iwanischwilis Leute talentierte Journalisten von den wenigen unabhängigen Medien ab.

Die Regierungspartei Nationale Bewegung sieht sich so der größten politischen Herausforderung seit der Machtübernahme 2004 gegenüber. Der Macht des Geldes setzt sie die Staatsmacht entgegen. Zahlreiche Iwanischiwili-Anhänger beklagen, sie oder Angehörige hätten ihre Jobs im Staatsdienst verloren. Dies weist die Regierung zurück und verweist zum Beispiel auf ein Modernisierungsprogramm für Schulen, im Rahmen dessen viele ungeeignete Lehrer hätten gehen müssen. Zudem verbreiten die regierungsnahen Medien und international tätige PR-Agenturen im Auftrag der Staatsführung von Iwanischwili das Bild eines rückwärtsgewandten Politikers, der im Auftrage der russischen Regierung, des Staatsfeindes Nummer eins, die Macht an sich reißen will.

Am empfindlichsten setzt sie Iwanischwili in finanzieller Hinsicht zu. Mit einem strengen Parteienfinanzierungsgesetz versucht sie, den Milliardär daran zu hindern, sein Vermögen für politische Zwecke auszugeben. Die Strafzahlungen summieren sich inzwischen auf mehr als 100 Millionen Euro. Auch wurde seine Bank zwischenzeitlich unter staatliche Aufsicht gestellt und tausende Satellitenantennen beschlagnahmt. Eine Firma, an der Iwanischwilis Bruder Anteile hält und die als einzige das Signal seiner Fernsehstation übertrug, hatte die Satellitenschüsseln praktisch umsonst an die Menschen verteilt.

Die Stimmung ist aufgeheizt. Bei kleineren Wahlkampfveranstaltungen kam es in den vergangenen Wochen zu Raufereien und Steinwürfen, offenbar des Öfteren provoziert von Mitarbeitern staatlicher Behörden. Die Streitereien beginnen immer mit persönlichen Angriffen auf Iwanischwili und seine Mitstreiter. Ein Vorwurf an Iwanischwili lautet: Er stehe auf der Seite der russischen Regierung, wenn er sage, Georgien habe mit dem Angriff auf die abtrünnige Region Südossetien 2008 den Fünftage-Krieg gegen Russland begonnen. Iwanischwili spricht sich für einen Dialog mit Russland aus – eine Position, die inzwischen viele Georgier vertreten. Iwanischwili will dennoch an der Westorientierung Georgiens festhalten. Wie das gehen soll, erklärt Oppositionspolitiker Irakli Alasania: Zunächst müsse Georgien für ein besseres Verhältnis zu Russland sorgen, damit es kein Problemfall mehr in den Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen sei. Die Beitritte zur Verteidigungsgemeinschaft Nato und zur Europäischen Union seien Langfristziele, für die Georgien im eigenen Land noch die Voraussetzungen schaffen müsse.

So vernünftig dies klingt, so lassen die Äußerungen anderer Mitstreiter Iwanischwilis an diesem Ziel zweifeln. Einige von ihnen unterstützen die orthodoxe Kirche Georgiens in dem Ansinnen, ihre Dominanz auf Kosten religiöser und ethnischer Minderheiten auszubauen. Zu ihnen gehört der Politiker Murman Dumbadze, der in der muslimisch geprägten Region Adscharien als Kandidat Iwanischwilis antritt. Dumbadze spricht sich zum Beispiel gegen den Bau von Moscheen aus. Dies ist gefährlich für den Zusammenhalt der georgischen Gesellschaft angesichts der Tatsache, dass es nicht nur zwei abtrünnige Regionen gibt, sondern auch bedeutende Minderheiten von Armeniern und Aserbaidschanern. So weckt Iwanischwili neben Hoffnungen auch Zweifel, ob sein Bündnis die Verhältnisse in Georgien verbessern würde. So viel legen die aktuellen Meinungsumfragen aber nahe: Saakaschwilis Partei wird sich nach der Wahl zumindest einer starken Opposition im Parlament gegenübersehen.

1 comment:

JanaHaus said...

Frau Stöber weiß, wovon sie spricht. Das ist wohltuend. Und immerhin hat diesmal auch erwähnt, dass Russland ein unsichtbarer (und ungebetener) Mitspieler in der georgischen Innenpolitik ist.

Ein paar Anmerkungen zum gelungenen Artikel: Ivanishvili mag keine persönliche Ausstrahlung haben, dafür aber seine Brieftasche. Und das übertrifft alles :-)

Er sagt von sich richtigerweise, dass er eigentlich kein Politiker sei. Viele seiner Partei-Kandidaten (Sportler, Künstler etc.) auch nicht. Er fängt übrigens seine Politikerkarriere standesgemäß mit einem Wortbruch (einer Lüge) an. Er hat nämlich bis 2011 stets betont, dass er niemals Politiker werden wolle. Ach ja, seine Politikerwerdung. Frau Stöber schreibt, sein Beweggrund sei gewesen, dass die Regierung alles kontrollieren wolle. Wieso ist ihm denn das eigentlich erst jetzt aufgefallen. Immerhin mussten acht Jahre ins Land gehen bis er dieses anprangerte. Hat er vorher unter diesem "Kontrollzwang" gute Geschäfte gemacht, war also ein Profiteur? Oder gab es doch die befürchteten Einflüsterungen aus der Politzentrale der Hauptstadt des nördlichen Nachbarn?
Frau Stöber erwähnt die von der Regierung engagierten PR-Agenturen, lässt aber die von Ivanishvili leider außen vor. Letzter bezahlt sogar deutlich mehr Millionen für die Vermarktung seiner Standpunkte (siehe civil.ge vor wenigen Tagen).

Ein Pfund des Milliardärs ist sicherlich der Wunsch vieler Georgier nach Enteisung der Beziehungen mit Russland. Allerdings will auch die derzeitige Regierung den Dialog. Und man sollte sich keine Hoffnungen auf "Friede, Freude, Eierkuchen" machen. Wenn man die georgische Souveränität nicht aufgeben will, kann das Ziel nur sein "bessere" Beziehungen zu Moskau aufzubauen, wie Alasania wörtlich sagte. Er sagte nicht:"gute".

Vielleicht noch ein Wort zu den Bauern, die nicht konkurrenzfähig produzieren können. Die Regierung hat Beratungs- und Unterstützungsbüros für die Bauern eingerichtet, aber viele der alteingesessenen Agrarier sind nicht besonders lernwillig. Und ohne Umstellung auf moderne Anbaumethoden wird sich die Lage für die Bauern nicht verbessern. Von den südafrikanischen Farmern, von denen ja schon einige im Land sind, könnte man viel lernen.