(tagesschau.de) Die nächsten Olympischen Winterspiele werden 2014 in Sotschi an der russischen Schwarzmeerküste ausgetragen. Die Sportstätten liegen direkt an der Grenze zu Abchasien, einer Krisenregion im Südkaukasus. Die Lage ist zwar ruhig, aber der Konflikt nicht gelöst.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Das Schwarze Meer leuchtet türkis in der Mittagssonne. Unter Palmen spielen Männer meist fortgeschrittenen Alters Schach und Backgammon. Russische Urlauber in Badeshorts schlendern über die Uferpromenade. Auf den ersten Blick wirkt die abchasische Hauptstadt Suchumi 100 Kilometer östlich von Sotschi wie irgendein Badeort an der Schwarzmeerküste.
Doch dann taucht aus der Ferne ein russisches Kriegsschiff auf. Es ankert an einer der verfallenen Seebrücken neben dem Café Asra. Ein junger Soldat mit Maschinengewehr sichert den Landungssteg. Zwei kleine Jungs mit ihren Angeln dürfen nicht vorbei zu ihren Freunden am Ende der Mole. Neugierige russische Touristen werden fortgeschickt.
Ein russisches Kriegsschiff ankert an einer Seebrücke in Suchumi. (Foto: Silvia Stöber) |
Mit der Ankunft des Kriegsschiffes bricht die politische Realität hinein in die sommerlich gelassene Stimmung. Sie erinnert daran, dass Suchumi die Hauptstadt einer Konfliktregion ist. Abchasien gehört völkerrechtlich zu Georgien. Doch die Regierung in Tiflis verlor schon Anfang der 90er-Jahre nach einem Krieg die Kontrolle über das Gebiet. Nachdem Georgien im Fünf-Tage-Krieg 2008 Russland unterlag, erkannte Moskau Abchasien und die andere abtrünnige Region Südossetien an und erklärte sich zu deren Schutzmacht.
Seit der russische Inlandsgeheimdienst FSB die georgisch-abchasische Grenzlinie kontrolliert und die russische Armee mit einigen tausend Soldaten in Abchasien präsent ist, gibt es weniger Zwischenfälle. Doch in Gali, der Grenzregion zwischen Abchasien und Georgien, kommt es noch immer zu Schießereien und Anschlägen. Ob kriminelle Banden dahinter stehen, oder ob es von Georgien aus organisierte Attacken sind, dafür fehlen meist letzte Beweise.
Terrorplanungen gegen Olympische Spiele in Sotschi?
Anfang Mai dann stellte die russische Führung einen Bezug zwischen dem abchasisch-georgischen Konflikt und der Sicherheitslage bei den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 her. Die russische Antiterror-Behörde behauptete, der FSB habe in mehreren abchasischen Dörfern Waffenlager gefunden. Diese habe der islamistische Terrorist Doku Umarow mit georgischer Hilfe nach Abchasien geschafft. Sein Ziel sei es gewesen, Anschläge auf die Sportanlagen in Sotschi zu verüben. Diese liegen nur wenige Kilometer hinter der abchasisch-russischen Grenze.
Abchasiens Außenminister Wjatscheslaw Schirikba stellt erst einmal klar, es seien abchasische Sicherheitskräfte gewesen, die die Waffenlager gefunden hätten. Auch schwächt er die russische Darstellung über die Verbindung nach Georgien ab: "Es gibt keine direkte Verbindung. Aber einige der Waffen wurden aus der Türkei über Georgien nach Abchasien gebracht. Die georgische Regierung hätte den Transport stoppen können, aber sie taten es nicht."
Spekulationen und Provokationen
Immer wieder äußern hochrangige Vertreter des russischen Sicherheitsapparates Vermutungen über georgische Unterstützung für islamistische Terroristen in Russland. Batu Kutelia, Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates in Georgien, weist die Behauptung vom Mai wie auch frühere Vorwürfe zurück: "Das ist absoluter Nonsens. Bislang konnte die russische Seite nicht ein einziges Mal einen soliden Beweis für solche Behauptungen erbringen." Russland äußere solche provokativen und törichten Spekulationen immer wieder vor wichtigen Ereignissen. Sie dienten der Propaganda und als Vorwand für ein aggressiveres Verhalten gegenüber Georgien.
Russland selbst stellt sich als neutralen Vermittler und Friedensstifter im Südkaukasus dar. Doch eine Bemerkung von Präsident Wladimir Putin stellt dies in Frage. In der vergangenen Woche sagte er, der russische Generalstab habe Ende 2006 einen Plan für den Fall vorbereitet, dass Georgien Südossetien oder Abchasien angreife. Dazu habe auch gehört, südossetische Milizen auszubilden. Diese hätten sich 2008 vor dem Eingreifen der russischen Truppen bewährt. Die Milizen hatten damals zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. Putins Worte bestärken die georgische Regierung, die Russland als Aggressor bezeichnet und damit die Notwendigkeit für eine Aufrüstung der eigenen Sicherheitskräfte begründet. Konservative Politiker in den USA unterstützen die georgische Regierung immer wieder in diesem Ansinnen.
Unsicherheit vor den Wahlen in Georgien
Der Chef des abchasischen Sicherheitsrates, Stanislaw Lakoba, verweist auf Provokationen und aggressives Verhalten der georgischen Regierung, vor allem vor Wahlen. So befürchtet er auch jetzt vor der georgischen Parlamentswahl Anfang Oktober, dass die Regierung in Tiflis mit Aktionen gegen Abchasien oder Südossetien von der innenpolitischen Diskussion ablenken und die Bevölkerung hinter sich vereinen will, vor allem wenn sich schlechte Wahlergebnisse für sie abzeichnen. Lakoba hält es gar für möglich, dass Präsident Michail Saakaschwili Provokationen organisiert. Dann könnte er den Ausnahmezustand ausrufen, um härter gegen die Opposition vorgehen zu können.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Georgien eine offene militärische Auseinandersetzung riskiert. Denn Russland hat Südossetien und Abchasien geradezu zu Festungen ausgebaut. Zudem ist seit 2008 eine Beobachtermission der EU im Einsatz, die recht genau jegliche Bewegungen der georgischen Sicherheitkräfte an den Grenzlinien zu Abchasien und Südossetien beobachtet. Abchasische Regierungsvertreter wie Chirikba und Lakoba behaupten allerdings, die georgische Seite versuche, mit Agenten für Zwischenfälle zu sorgen.
Aufmüpfige Abchasen wehren sich gegen russischen Einfluss
Auch in Abchasien selbst wird die massive russische Präsenz nicht ausschließlich gutgeheißen. Zwar sorgen die russischen Sicherheitskräfte für Stabilität und mit Geld aus Moskau wird mehr als die Hälfte des Haushaltes bestritten. Doch lassen sich die Bewohner in Abchasiens nicht alles gefallen. Eine überaus aktive Zivilgesellschaft, die Opposition und kritische Medien sorgen immer wieder dafür, dass hinter verschlossenen Türen ausgehandelte Deals ans Tageslicht kommen.
So deckte ein abchasischer Journalist auf, dass die abchasische Regierung ein Dorf an der abchasisch-russischen Grenze unweit der künftigen Olympiastätten an Russland abtreten wollte. Zwar ist es nur um ein kleiner Weiler mit wenigen Familien in einem Hochgebirgstal, der noch dazu besser von der russischen Seite zu erreichen ist. Doch den Menschen in Abchasien geht es ums Prinzip. Oppositionelle und Aktivisten organisierten Widerstand. Es wurde eine Kommission mit Repräsentanten der Gesellschaft gegründet, die zwei Mal zu Gesprächen nach Moskau fuhr. Im Moment ruht der Fall, aber vor Olympia 2014 wird das Thema sicher wieder auf die Agenda kommen.
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Abchasische Ortsbezeichnungen
Der Konflikt zwischen Abchasien und Georgien spiegelt sich auch in den Ortsbezeichnungen wieder. Im Georgischen heißt es Suchumi und Gali. Um die Eigenständigkeit Abchasien zu unterstreichen, werden dort die Orte aber ohne das georgische Nominativ-I verwendet: Suchum und Gal. Hier wurden die international eingeführten Varianten verwendet, ohne dass damit Position für eine Seite zum Ausdruck zu bringen.
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