(nzz.ch) In Georgien wird im Herbst das Parlament neu bestellt. Saakaschwilis Lager und das Bündnis seines Herausforderers Iwanischwili führen mit grösstem Aufwand Wahlkampf. Die Stimmung im Land ist angespannt, die Gefahr von Ausschreitungen wächst.
Von Silvia Stöber, Tbilissi
Fast neun Jahre lang hat die Regierung von Präsident Micheil Saakaschwili unangefochten die Geschicke Georgiens bestimmt. Nun stehen die einstigen Rosenrevolutionäre vor einer ernsthaften innenpolitischen Herausforderung. Der Milliardär Bidsina Iwanischwili hat aus der zerstrittenen Opposition das Bündnis Georgischer Traum geformt und unter Einsatz seiner beträchtlichen finanziellen Ressourcen im ganzen Land eine politische Bewegung aufgebaut. Die von ihm finanzierten Medien berichten aus allen Regionen. Die Regierung wirft Iwanischwili vor, mit seinem Geld Wähler kaufen zu wollen. Staatliche Behörden gehen gegen ihn und seine Mitstreiter vor. Der Kampf findet auch im Ausland statt.
Abhöraktion in der Schweiz
Ein Schauplatz war Zürich, wo am 11. April der Oppositionspolitiker und Iwanischwili-Verbündete Sosar Subari mit seinem Anwalt eintraf. Im Hotel Marriott begegneten sie dem georgischen Journalisten Wachtang Komachidse. Dieser hatte 2010 Schweizer Asyl erhalten, nachdem er einen investigativen Report über den Georgien-Krieg 2008 veröffentlicht hatte und sich deswegen von der georgischen Regierung bedroht sah. Bei dem Gespräch ging es um Iwanischwilis Sicherheit. Wenige Stunden nach dem Treffen flogen Subari und sein Begleiter zurück nach Georgien. Jedoch waren sie nicht allein nach Zürich gereist. Zwei Mitarbeiter des georgischen Innenministeriums waren ihnen gefolgt und versuchten, das Gespräch abzuhören. Sie gingen allerdings recht auffällig vor und wurden mitsamt ihrer Überwachungsausrüstung festgenommen. Nach drei Wochen im Gefängnis wurden sie nach Georgien abgeschoben. Die Schweizer Sicherheitsbehörden haben gegenüber der NZZ den Vorfall bestätigt.
Es war nicht das erste Mal, dass Regierungsgegner bespitzelt wurden. So tauchten im Juni 2009 Videoaufnahmen zweier Oppositionspolitiker aus dem Berliner Luxushotel Adlon auf. Darauf sind sie im Gespräch mit einem umstrittenen Ex-Innenminister zu sehen. Auch veröffentlichen regierungsnahe georgische Medien immer wieder Mitschnitte von Telefongesprächen regierungskritischer Journalisten und Oppositioneller.
So beeindruckend die Erfolge der georgischen Regierung bei der Korruptionsbekämpfung, der Modernisierung der Verwaltung und der Infrastruktur sind – spätestens seit 2007 ist der Ruf von Präsident Saakaschwili als Reformer und Demokrat angeschlagen. Damals lösten Truppen des Innenministeriums eine Demonstration gegen die Regierungspolitik auf und stürmten einen oppositionellen Fernsehsender. Saakaschwili verhängte den Ausnahmezustand. Im Mai 2011 endete eine Demonstration ebenfalls in Gewalt.
Unzufrieden mit Saakaschwili
Doch so angespannt wie derzeit war die innenpolitische Lage nie seit der Rosenrevolution Ende 2003, als Präsident Eduard Schewardnadse nach wochenlangen Protesten zurücktrat. Es liegt an der Unzufriedenheit der Menschen mit Saakaschwili und ihren Hoffnungen auf Veränderung, die der Milliardär Iwanischwili bringen könnte. An seinen Wahlkampfveranstaltungen nahmen in den vergangenen Wochen Zehntausende teil. Saakaschwilis Reformen hinterliessen viele Verlierer. Es sind Polizisten und Professoren aus Schewardnadses Zeit, die ihre Arbeit verloren und jetzt als Taxifahrer und Strassenverkäufer ihr Dasein fristen. Es sind Dorfbewohner in den Regionen, die von den Erträgen ihrer Gärten und Felder überleben. So kündigte Iwanischwili, der sein Vermögen in den neunziger Jahren in Russland gemacht hatte, ein Programm zur Entwicklung der Landwirtschaft, eine Krankenversicherung für alle und höhere Renten an. Die neoliberal orientierte Regierung zog nach und versprach vergleichbare Massnahmen. Verantwortlich ist Wano Merabischwili, der jüngst zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. Der bisherige Innenminister wird als effizienter Manager geschätzt, ist aber auch gefürchtet. Sein Ministerium galt als mächtigste Institution im Lande, der die wichtigsten Sicherheitskräfte unterstehen.
Die beiden Seiten wetteifern nun darum, sich als die wahren Demokraten und Interessenvertreter der Bevölkerung zu präsentieren. Tatsächlich ist es jedoch eine Schlacht, bei der staatliche Mittel gegen die finanziellen Ressourcen eines Vermögenden zum Einsatz kommen. Iwanischwili hatte seit der Rosenrevolution mit mehr als 650 Millionen Euro zum Aufbau Georgiens beigetragen. Doch im Oktober brach er öffentlich mit dem Präsidenten, nachdem es zwischen den beiden Unstimmigkeiten gegeben hatte. Seither strebt Iwanischwili mit der Zielstrebigkeit eines Geschäftsmannes, der einem Businessplan folgt, den Sieg bei der Parlamentswahl im Oktober und den Posten des Ministerpräsidenten an. «Ich bin nicht gern Politiker», gibt er freimütig zu und wirkt dabei ein wenig müde. Die Rolle entspreche nicht seinem Charakter, aber er sei sie seinem Land schuldig. Denn die Menschen in Georgien verdienten funktionierende demokratische Institutionen.
Kostenlose Satellitenschüsseln
Als eine der ersten Massnahmen versuchte Iwanischwili, neben den tonangebenden regierungsnahen Sendern eigene Medien zu installieren. Dazu zählen eine Zeitung, eine Videoplattform im Internet und ein Fernsehsender. Da aber ausser einem einzigen kein Kabelbetreiber das Fernsehprogramm verbreiten wollte, begann eine mit Iwanischwili in Verbindung stehende Firma, Satellitenschüsseln kostenlos oder für sehr geringe Gebühren zu verteilen. Die staatliche Kontrollkammer sah darin einen Verstoss gegen das kürzlich geänderte Wahlgesetz. Sie liess Tausende Satellitenschüsseln beschlagnahmen und verhängte eine Strafe von umgerechnet mehreren zehn Millionen Franken. Der pensionierte US-Diplomat John Kornblum, der Iwanischwilis Koalition in Europa vertritt, nannte das Urteil unverhältnismässig. Man könne zwar infrage stellen, ob es gut sei, praktisch kostenlos Satellitenschüsseln an die Wähler zu verteilen. Doch auch bei Verstössen gegen das Wahlgesetz müsse das Prinzip der Verhältnismässigkeit eingehalten werden.
Je näher die Wahl rückt, desto stärker heizt sich die Stimmung auf. Immer wieder beklagen Mitglieder und Anhänger Iwanischwilis, dass sie oder Verwandte ihre Jobs verlieren. Häufig betrifft es Lehrer. Giga Bokeria, Chef des Nationalen Sicherheitsrates, bestreitet, dass Angestellte in Schulen aus politischen Gründen entlassen werden. Man habe vielmehr in den vergangenen zwei Jahren 20 000 Lehrern kündigen müssen, um das Schulsystem zu reformieren. Er könne allerdings nicht ausschliessen, dass Schulleiter ihre Entscheidungen auch nach persönlichen Kriterien trafen. Wegen des beginnenden Wahlkampfes habe man das Optimierungsprogramm allerdings Anfang Juni ausgesetzt.
Bei kleineren Wahlkampfveranstaltungen in den Regionen kam es in den vergangenen Wochen auch zu Gewalt. Iwanischwili selbst, Irakli Alasania, der seit 2008 in der Opposition ist, und der Neu-Politiker und Ex-Fussballer Kachi Kaladse sahen sich sehr persönlichen verbalen Attacken ausgesetzt. Es kam zu Rangeleien, und es flogen Steine. Die Opposition lastet die Angriffe meist Mitarbeitern staatlicher Behörden an. Inzwischen unterzeichneten die Regierungspartei und die Opposition eine Vereinbarung, in der sie sich für einen gewaltfreien Wahlkampf einsetzen.
Angst vor Ausschreitungen
Doch es gibt Befürchtungen, dass es vor allem nach der Wahl zu Gewalt kommen könnte, sollte das Ergebnis nicht den Vorstellungen der Regierung entsprechen. Oppositionspolitiker Alasania warnte gar vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Region Samegrelo, die an die abtrünnige Region Abchasien grenzt. Er warf der Regierung vor, paramilitärische Gruppen auszubilden und in Bereitschaft zu halten. Eine Liste mit Namen und Gebäuden wies der Chef des Sicherheitsrats Bokeria jedoch zurück. Er bestätigt lediglich, dass die Regierung Reservetruppen aufbaut. Die freiwilligen Teilnehmer erhalten ein Training, bei dem auch Schiessübungen stattfinden. Die Waffen werden jedoch in Depots aufbewahrt.
Iwanischwili seinerseits betont immer wieder, dass er einen friedlichen Übergang will. «Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Anhänger das Gesetz achten», sagt er. Allerdings schürt er hohe Erwartungen: Zwei Drittel der Parlamentssitze sollen die Parteien seiner Koalition erringen. Es zeichnet sich ab, dass beide Seiten mit allen Mitteln für den Sieg kämpfen werden. Dabei wird sich erweisen, wie ernst es die Parteien mit der Demokratie meinen.
Grosskundgebung mit Iwanischwili in Batumi
Die Partei Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili hat erneut ihr Mobilisierungspotenzial bewiesen. Trotz garstigem Regenwetter fanden sich am Wochenende in Batumi am Schwarzen Meer zwischen 15 000 und 20 000 Anhänger des Oppositionsbündnisses zu einer friedlichen Demonstration ein. Nebst den Wahlversprechungen wiederholte Iwanischwili in seiner Rede die scharfe Kritik am georgischen Präsidenten. Micheil Saakaschwili sei ein «Feigling» und «Lügner», dem es nur um den Machterhalt ginge. Das Staatsoberhaupt säe gezielt Zwietracht, um das Volk zu spalten, meinte Iwanischwili. Für den Geschäftsmann steht zudem fest, dass Saakaschwili persönlich für die Sezession der georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien sowie für das anhaltende Zerwürfnis mit Russland verantwortlich ist. «Saakaschwili wirft mir vor, dass ich Sympathien für die Sowjetunion habe. Doch er selbst hat in Georgien die Diktatur und Willkür eingeführt», so Iwanischwili.
Die Parlamentswahlen sollen voraussichtlich am 1. Oktober stattfinden. 19 Parteien sind bis jetzt zur Wahl zugelassen. Saakaschwilis Partei, die Vereinigte Nationalbewegung, hält derzeit 119 von insgesamt 150 Sitzen. Laut Beobachtern werden ausser der Regierungspartei nur das Bündnis Georgischer Traum sowie die Partei der Christlichdemokraten die Fünf-Prozent-Sperrklausel überwinden.
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