Thursday, August 16, 2012

ENERGIE: "Big Oil wird aggressiver". Interview mit dem Fotografen Edward Burtynsky (zeit.de)

Socar Oil Fields #1a, Baku, Azerbaijan 2006
Der kanadische Fotograf Edward Burtynsky, geboren 1955, porträtiert in Langzeit-Projekten den Einfluss der Menschen auf die Natur. Seine Fotografien wurden unter anderem in Sammlungen der National Gallery of Canada, der Bibliotèque Nationale in Paris, dem Museum of Modern Art und dem Guggenheim Museum in New York aufgenommen. In Deutschland zeigt das C/O Berlin seine Ausstellung Oil bis zum 9. September 2012. Link: www.co-berlin.info

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(zeit.de) Der Fotograf Edward Burtynsky reiste jahrelang um die Welt, um das Geschäft der Ölindustrie zu dokumentieren. Er sagt: Die Branche steht vor dem Todeskampf.

ZEIT ONLINE: Herr Burtynsky, benutzen Sie eigentlich Tupperware?

Edward Burtynsky: Bestimmt.

ZEIT ONLINE: Dann geht es Ihnen ja wie den meisten von uns: Wir verwenden Plastikdosen und Kleidungsstücke, ohne darüber nachzudenken, dass sie Öl enthalten – einen Rohstoff, mit dem wir doch eigentlich sparsam umgehen wollen.

Burtynsky: Es ist schlicht unmöglich, sich vom Strom der Produkte und damit vom Erdöl unabhängig zu machen. Selbst unser Essen enthält in gewisser Weise Öl, wegen der Düngemittel und der Lastwagen, die Lebensmittel durchs Land fahren. Die einzige Chance, ohne Erdöl zu leben, ist in der Wildnis nach Hasen zu jagen und Fische zu fangen.

ZEIT ONLINE: Sie fotografieren seit mehr als zehn Jahren die Förderung von Öl und die Umweltschäden, die dadurch entstehen. Warum wissen wir so wenig darüber?

Burtynsky: Weil die meisten von uns in ihrer vertrauten Welt leben, zwischen Arbeit und Wohnung. Wir müssen uns die Frage nicht stellen, wo die Dinge herkommen, die uns umgeben. Bevor ich anfing, die Ölförderung zu fotografieren, ging es mir ja genauso.

ZEIT ONLINE: Wie kamen Sie damals auf das Thema?

Burtynsky: Ich war 1995 mit dem Auto unterwegs, um Kohleminen zu fotografieren. Auf der Strecke ging mir das Benzin aus. Ich saß im Wagen und bemerkte, dass die Straße gerade neu asphaltiert worden war. Dann sah ich auf mein Armaturenbrett aus Kunststoff, auf meine Kleidung mit Synthetikfasern – alles, was mich in diesem Moment umgab, war zum Teil aus Öl gemacht. Also beschloss ich, die Landschaften zu erkunden, in denen Erdöl gefördert wird und die Herstellungsprozesse zu fotografieren: in den Raffinerien, in der Konsum- und Motorkultur und schließlich auf Schrottplätzen.

ZEIT ONLINE: Was war in dieser Zeit Ihre größte Erkenntnis?

Burtynsky: Dass alles, was das Wachstum der Bevölkerung und Wirtschaft in den vergangenen Jahren angetrieben hat, auf dieser scheinbar unerschöpflichen und billigen Energieform beruht. Als ich in den fünfziger Jahren geboren wurde, gab es 2,4 Milliarden Menschen auf der Welt. Mittlerweile sind es mehr als sieben Milliarden. Dazwischen lag keine grüne Revolution, wie viele denken, sondern die Ölrevolution: Die Mechanisierung der Landwirtschaft, der Einsatz von Düngemittel hat es der Menschheit ermöglicht, so schnell zu wachsen. Der Preis ist eine ungeheure Zerstörung.

ZEIT ONLINE: Welches Bild der Zerstörung hat Sie besonders beeindruckt?

Burtynsky: Was ich in Bangladesch gesehen habe, werde ich nie vergessen. Dort zerlegen Menschen für einen Dollar am Tag die völlig verseuchten Öltanker aus der Ersten Welt. Viele erblinden durch die Gifte nach einigen Jahren, keiner wird älter als 40. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit der Industrialisierung und musste an die Beschreibungen Charles Dickens’ in Hard Times denken. Ich hätte niemals gedacht, dass Menschen auf der Welt so arbeiten.

ZEIT ONLINE: Auf ihren Bildern sind fast keine Menschen zu sehen. Warum nicht?

Burtynsky: An meiner Arbeit sind nicht die Menschen interessant. In den späten siebziger Jahren habe ich begonnen, den Einfluss der Menschen auf die Natur zu fotografieren. Wo Menschen in meinen Bildern auftauchen, sind sie mit den Konsequenzen unserer Konsumwelt konfrontiert. Sie sind human fallout, ein Beiprodukt unserer Ersten Welt.

ZEIT ONLINE: Sehen sie sich selbst nur als Fotografen oder auch als Aktivisten?

Burtynsky: Wenn ich ein Aktivist bin, dann in meiner Arbeit selbst. Der Fotograf Ansel Adams zeigte die amerikanischen Nationalparks, um uns klar zu machen, was wir verlieren könnten. Seine Bilder wurden sogar im Kongress gezeigt. Allein in der Zeitspanne meines Lebens sind fünf Milliarden Menschen auf der Erde hinzugekommen. Etwas passiert gerade. Darüber muss ich reden, daran denke ich als Fotograf.

ZEIT ONLINE: Womöglich wird schon die nächste Generation von der abgelaufenen Epoche des Öls sprechen. Die Vorräte gehen zur Neige.

Burtynsky: Ja, der Moment des peak oil...

ZEIT ONLINE: ... die maximale Menge an Öl, die weltweit gefördert werden kann ...

Burtynsky: ... wird kommen, womöglich haben wir diesen Punkt schon erreicht. Das Wesen des Öls ist, dass es seine eigene Geschwindigkeit hat. Es fließt immer im gleichen Tempo, sie können nicht schneller pumpen und selbst wenn sie neue Felder entdecken, wird irgendwann nichts mehr herauskommen. Es ist wie Ping-Pong in einem fahrenden Zug: Der Ball bewegt sich hin und her, aber der Zug fährt immer in die eine Richtung.

ZEIT ONLINE: Wie macht sich das an den Förderstätten bemerkbar?

Burtynsky: Für die Ölkonzerne wird es immer riskanter und teurer, an Öl heranzukommen. In meiner Ausstellung gibt es eine Fotografie des Kern-River-Ölfelds in Kalifornien, das Sie vielleicht aus dem Film There will be blood mit Daniel Day-Lewis kennen. Als das Feld Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde, benötigte man die Energie von einem Barrel, um an hundert Barrel Öl zu kommen. Heute liegt das Verhältnis bei 1 zu 10. Der Mensch nimmt sich immer schneller, was die Natur vor 400 bis 500 Millionen Jahren bereitgestellt hat, als die ersten Ölformationen entstanden.

ZEIT ONLINE: Wie reagiert die Ölindustrie darauf?

Burtynsky: Vor allem die US-Konzerne werden aggressiver, wenn es darum geht, die Zweifel darüber zu zerstreuen, was Öl anrichtet. Die Ölindustrie hat dabei von der Tabakindustrie gelernt, die noch 40 Jahre nach der Entdeckung, das Zigaretten Krebs erzeugen, das Gegenteil behauptete. Genauso verneint die Industrie die Tatsache, dass wir auf peak oil zusteuern.

ZEIT ONLINE: Warum?

Burtynsky: Die Leute von BP und Shell sind chemical guys: Sie kennen sich mit chemischen Prozessen aus. Selbst wenn sie umdenken wollten, könnten sie auf anderen Energiemärkten nicht mithalten. Zum anderen gibt es eine Art kognitive Dissonanz: Es ist unangenehm, zu sagen, dass das eigene Tun schlecht für die Welt ist. Also glaubt man eher den wenigen Wissenschaftlern, die das Gegenteil behaupten – obwohl die Evidenz überwältigend ist.

ZEIT ONLINE: Kann der Markt helfen, unabhängiger vom Öl zu werden?

Burtynsky: Ich denke schon, dass Märkte korrigierend wirken. Wenn die Nachfrage steigt und das Angebot sinkt, wird der Preis für Öl womöglich schon bald steigen, 100 Dollar, 200 Dollar das Barrel, sogar noch mehr. Irgendwann werden Alternativen dann lohnender. In manchen Fällen wird das dazu führen, dass wir vielleicht nachhaltiger wirtschaften.

ZEIT ONLINE: Beeinflusst das politische System unseren Umgang mit Ressourcen?

Burtynsky: Nein. Es geht darum, wie wir Menschen uns in der Natur einrichten. Fahren Sie nach China, wenn Sie wirklich ausgebeutete Landschaften sehen wollen – die Umweltzerstörung ist dort unvergleichlich. Unlängst bin ich mit meinem Team mit dem Auto von Shanghai aus durch China gefahren. Wir haben vier Stunden lang keinen Vogel gesehen. Nicht einen einzigen.

ZEIT ONLINE: Warum lassen wir die Umweltzerstörung zu?

Burtynsky: Die Menschen sind gut im kurzfristigen Denken, aber schlecht, wenn sie 20 oder 30 Jahre voraus denken sollen. Wir erwarten von unseren Politikern, dass sie uns Wachstum bringen, und wenn sie das nicht tun, schmeißen wir sie raus. Barack Obama etwa wollte die Energiewende, aber am Ende blieb er irgendwo zwischen Republikanern und der Finanz- und Öl-Lobby stecken.

ZEIT ONLINE: Es liegt nur an unserem Verhalten.

Burtynsky: Natürlich. Der Punkt ist, dass wir im Moment nur noch wenige Möglichkeiten haben, die Katastrophe zu verhindern: das Abschmelzen der Polarkappen. Die Freisetzung großer Mengen Methan in die Atmosphäre, gegen das die Abgase von rund einer Milliarde Autos derzeit ein Scherz ist. Die Überflutung von Städten wie Los Angeles, London oder New York. Das alles können wir bald nicht mehr verhindern. Dann fahren wir eben alle zur Hölle.

Mehr dazu:

* Edward Burtynsky "Oil" im C/O Berlin

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EDITION. Edward Burtynsky: SOCAR Oil Fields #3, Baku, Aserbaidschan, 2006, a.d.S. The End of Oil, 45,7 x 55,9 cm . C-Print, Edition 15. 3,800 Euro incl. 19 % MwSt, Versandkosten, Bestellung und weitere Informationen unter web@co-berlin.com 

burtynski

Edward Burtynsky: SOCAR Oil Fields #3

"Oil" ist eine einzigartige Kartografie des Rohstoffes und deckt in vier Kapiteln dessen enorme Auswirkungen auf. In "Extraction & Refinement" liegt Burtynskys Fokus rein auf der Förderung – von kargen Ölfeldern bis hin zu labyrinthischen Fabriken. "Transportation & Motor Culture" zeigt mehrspurige Highways mit gordischen Verkehrsknoten, die sich endlos durch Metropolen und Landschaften ziehen. Zugleich entlarvt Edward Burtynsky durch die Aufnahmen endloser Reihenhaussiedlungen, gigantischer Parkplätze und spielerischer Wettrennen die allgegenwärtige Dominanz des Autos als gesellschaftlich-kultureller Fetisch. Müllkippen für Stahlschrott, stillgelegte Förderpumpen, ausrangierte Flugzeuge, Halden voller Autoreifen und ölverschmierte Fässer – das dritte Kapitel "The End of Oil" zeigt das schmutzige Ende der Verwertungskette in all ihrem umweltschädlichen Ausmaß. Die Ausstellung fügt ein weiteres, aktuelles Thema hinzu: Edward Burtynskys "Oil Spills" von der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im Jahr 2010.

Seine Panoramen stehen in ihrer makellosen Ästhetik und faszinierenden Schönheit in der Tradition der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts – und gleichzeitig jedoch im völligen Kontrast zu ihrem dramatischen Inhalt. Sie lösen im selben Moment Faszination und Scheu, Anziehung und Beängstigung aus. Aus der Distanz oder Vogelperspektive fotografiert wirken Edward Burtynskys Sujets in ihrer Geometrie wie betörend reizvolle Landschaften. Wie ein Maler oder Bildhauer erzeugt er visuelle Abstraktion verbunden mit perfekter Bildkomposition und weichen farblichen Übergängen, die seinen Arbeiten ihren widersprüchlichen Charakter verleihen.

C/O Berlin präsentiert erstmals in Berlin ca. 30 Fotografien aus seiner Serie „Oil“. Zur Ausstellung ist ein Katalog bei Steidl erschienen.

* co-berlin.info

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* Aus dem Lebenszyklus des Erdöls. Von Johanna Treblin
* AUSGEBEUTETE LANDMASSE
* kunstundfilm.de/2012/07/edward-burtynsky-oil

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Podcast: Eine Mahnung vor der Apokalypse des Wachstums (dradio.de)
Fotografien des Kanadiers Edward Burtynsky bei C/O Berlin
Von Carsten Probst

Öl sei der Kern menschlicher Expansion seit dem 20. Jahrhundert, sagt der Fotograf Edward Burtynsky. Der Kanadier mit ukrainischen Wurzeln hat der Produktion und Nutzung des Kraftstoffs eine Serie gewidmet, von der nun ein kleiner Teil in der C/O Berlin ausgestellt ist.
Oft wählt Edward Burtynsky die Faszination durch schiere Masse, durch die Ordnung riesiger Mengen von Konsumgütern oder durch ein lichttechnisch verschönertes Chaos von Abraumhalden oder Müllbergen. Draufsichten aus Helikoptern oder von Höhenzügen über gewaltige Landschaftsformationen, die der Ausbeutung durch Industrie anheimgefallen sind, fotografiert der Kanadier mit ukrainischen Wurzeln mit einem ausgeprägten Sinn für die Schönheit des Schrecklichen, die Faszination des Monumentalen in der Natur. In dieser Hinsicht ist er vielleicht ein später Erbe der großen Naturbewunderung der Romantik, aber zugleich fasziniert ihn daran der Gedanke, dass die Landschaften, zerstört und brachial, wie sie sind, allesamt durch Menschenhand gemacht worden sind.

"Es begann damit, dass ich bei meinen Landschaftsaufnahmen darüber nachzudenken begann, woher aus der Natur eigentlich all die Dinge stammen, aus denen unsere Städte gemacht sind. Woher kommt das Einsen, der Stahl? Woher kommen Nickel, Gold? So begann ich, Mienen zu fotografieren, oder Steinbrüche, aus denen die Steine für die Häuser kommen, um zu erkunden, wie unsere Städte entstanden sind und dass es Orte in der Natur gibt, die die selben Größe haben wie unsere Städte, als ihr Äquivalent in der Natur."

Seine Neugier in Bezug auf die Ressourcen, aus denen Städte heute entstehen, trieb ihn seit den neunziger Jahren immer wieder in jenes Land, das noch immer wie kein zweites für rasendes Wirtschaftswachstum und die damit einhergehende rasante Zerstörung und den Neuaufbau gewaltiger Stadtzentren steht: China.

"An einem bestimmen Punkt stellte ich fest, dass zwar alle Lebewesen die Natur nutzen, um ihr Überleben zu sichern. Aber der mechanische Vorteil des Menschen beim Abbau der Ressourcen basiert auf dem Öl, auf Kraftstoffen. Sie bewirken erst die Geschwindigkeit und die Größe der Ausbeutung der Natur, zu der der Mensch fähig ist. Mitte der neunziger Jahre wurde mir klar, dass Öl der Kern menschlicher Expansion seit dem 20. Jahrhundert ist."

Im Fall seiner noch nicht abgeschlossenen Serie über Produktion und Nutzung des Öls finden sich durchaus buchstäblich spektakulär zu nennende Aufnahmen von Ölraffinerien, Ölabbaufeldern in Kalifornien oder im Kaspischen Meer vor der Aserbaidschanischen Küste.

Riesige Autofabriken entfalten sich ebenso horizontweit wie die einstöckigen Vorstadtlandschaften von Los Angeles, die nur mit dem Auto erreichbar sind. Endlose Müllhalden für die Entsorgung von Ölprodukten oder von Maschinen, die diese Ölprodukte benötigen, erzeugen ganz eigene Landschaften: Flugzeugfriedhöfe, Gebirge alter Autoreifen, Tankschifffriedhöfe wie in Chittagong in Bangladesh. Burtynsky arbeitete bis vor kurzem mit analogen Großbildkameras, um die einheitlichen Großformate zu erzeugen, die fast etwas gemäldehaftes haben.

Aus Platzgründen zeigt C/O Berlin leider nur eine stark begrenzte Auswahl von ungefähr 30 Arbeiten. Wirklich überwältigend in ihrer gewaltsamen und verstörenden Schönheit werden Burtynskys Bilder freilich erst in der Häufung und Wiederholung der Motive. Das ist aber auch das Einzige, was man dieser eindrucksvollen Ausstellung vorwerfen kann: Dass in ihr der Aspekt der ästhetischen Schönheit ein wenig überbetont wird und Burtynskys Werk als Mahnung vor der Apokalypse des Wachstums hinter der Faszination des Schrecklichen ein wenig verschwindet.



VIDEO: Exposition: Edward Burtynsky . Oil . Photography at c/o Berlin, Germany

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Erschreckend und zugleich faszinierend schön sind die Bilder der in Berlin eröffneten Ausstellung "Oil" des Industriefotografen Edward Burtynsky. Sie zeigen die "Absurdität hinter dem Ölkonsum", wie Kuratorin Bertrand sagt. Zu sehen ist vor allem das Resultat des menschlichen Eingreifens in die Natur.

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