Monday, October 01, 2012

WAHL IN GEORGIEN: Von Spionen und Despoten. Von Daniel Wechlin (nzz.ch)

(nzz.ch) Georgien wählt ein neues Parlament. Der Milliardär Iwanischwili fordert die Regierungspartei von Präsident Saakaschwili heraus, die sich nervös an die Macht klammert. Die Bevölkerung ist verunsichert.

Die Mutter Georgiens wacht hoch über Tbilissi. Schon von weitem sichtbar, auf einem sanften Hügelkamm südlich des Zentrums der georgischen Hauptstadt, hält die bereits etwas lädierte silberfarbene Statue für die Feinde in ihrer rechten Hand ein Schwert bereit, in der linken für die Freunde einen Kelch Wein. Die Symbolik aus Sowjetzeiten scheint ihre Gültigkeit bis in die Gegenwart erhalten zu haben: entweder für oder gegen Georgien. Diesem Muster folgte der Wahlkampf um den Einzug in das am Montag neu zu bestellende Parlament der Republik im Südkaukasus konsequent. Aggressiv wurde der politische Gegner diskreditiert und beleidigt. Der faire Wettbewerb politischer Ideen ist so dem Populismus gewichen. Die hysterische Rhetorik suggeriert, dass das Land vor einer weiteren Weggabelung seiner Geschichte steht. Ende einer Ära

Zuletzt reagierte besonders die Regierungspartei Vereinigte Nationalbewegung von Präsident Micheil Saakaschwili nervös und wenig souverän auf Kritik und Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Die Gründe dafür sind offenkundig: Erstmals seit der Rosenrevolution von 2003, aus der Saakaschwili und seine Partei als Sieger hervorgegangen waren, raffte sich heuer die Opposition – zumindest vorübergehend – zu einer starken Koalition zusammen. Unter der Führung des Milliardärs Bidsina Iwanischwili und dank seiner tatkräftigen finanziellen Unterstützung fordert das Bündnis Georgischer Traum aus sechs Parteien die Regierungspartei heraus, die bis anhin mit 119 Sitzen im 150-köpfigen Parlament vertreten war und den Kurs des Landes im Alleingang festlegte.

Andererseits finden 2013 Präsidentschaftswahlen statt. Saakaschwili kann daran wegen einer Amtszeitbeschränkung nicht mehr teilnehmen. Zudem tritt eine Verfassungsreform in Kraft, welche die entscheidenden exekutiven Machtbefugnisse vom Präsidenten auf den Regierungschef verlagert. Es obliegt künftig der Volksvertretung, den Ministerpräsidenten zu bestimmen. Die Parlamentswahlen stellen so nicht nur die Weichen für die Bestimmung des neuen mächtigsten politischen Amtes. Der Urnengang wird auch ein Urteil über die zu Ende gehende achtjährige Saakaschwili-Ära sein.

Über die Bewertung der Entwicklung Georgiens gehen die Meinungen auseinander. Die Partei Saakaschwilis reklamiert für sich, erfolgreich ökonomische und gesellschaftliche Reformen für die Modernisierung des Landes angestossen zu haben. Dazu gehören etwa die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Bekämpfung der Korruption und Schattenwirtschaft sowie eine stark verbesserte Steuerdisziplin. Dem gegenüber steht eine verarmte und unproduktive Landwirtschaft, in der knapp über die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung tätig ist und die vom Aufschwung bisher kaum profitiert hat. Für Kritik sorgt zudem die Arbeitslosenquote, die sich offiziell auf 16 Prozent beläuft. Unabhängige Quellen gehen indes von einer mehr als doppelt so hohen Zahl aus.

Umstritten sind auch die Fortschritte im politischen System und im Menschenrechtsbereich. Kritiker bemängeln, dass Georgien unter Saakaschwili potemkinsche Züge angenommen habe. Statt ernsthaft an der Demokratie zu bauen, plurale Verhältnisse in der Politik und den Medien zuzulassen, eine von der Macht unabhängige Justiz zu formen, stampft man mit Hochdruck landesweit aberwitzige Regierungs- und Verwaltungsgebäude aus dem Boden. Gerade der letzte Vorwurf wird regelmässig gegen Saakaschwili angeführt und als Hinweis dafür genommen, dass sich der exzentrische Präsident nicht von der Bühne der Macht verabschieden kann. Damit verbunden ist die Spekulation, dass der erst 44-Jährige im nächsten Jahr möglicherweise selbst das Amt des Regierungschefs anstreben will.

Retter des Vaterlands

Saakaschwilis ärgster Kontrahent benennt seine Aspirationen. Der 56-jährige Iwanischwili, der sich als Unternehmer in Russland ein Milliardenvermögen erwirtschaftet hat, will Ministerpräsident werden. Und genauer: «Drei Jahre bleibe ich in der Politik. Ein Jahr war ich bereits in der Opposition, zwei Jahre werde ich in der Regierung sein», erklärt Iwanischwili im Gespräch. Nur im unwahrscheinlichen Fall einer Niederlage in den Parlamentswahlen werde sein Engagement länger dauern. Iwanischwili versprüht dabei die Abgeklärtheit des erfolgreichen Managers genauso wie die Unerfahrenheit eines Politikers, dem es am nötigen Fingerspitzengefühl mangelt. Er trete an, um das politische und wirtschaftliche Monopol des Saakaschwili-Clans zu sprengen. Aber: «Ich wollte eigentlich gar nie in die Politik, es gefällt mir auch heute nicht. Das autoritäre Saakaschwili-Regime liess mir aber keine andere Wahl, als meinem Heimatland zu Hilfe zu kommen», führt er aus und behauptet, dass er im Unterschied zur gegenwärtigen Politikerkaste in der Bevölkerung über uneingeschränktes Vertrauen verfüge.

Gespräche mit Wählern in Tbilissi und nationale Umfragen vermitteln zuweilen ein anderes Bild. Auf viele wirkt Iwanischwili rätselhaft. Die verschiedenen Parteien in seinem Oppositionsbündnis Georgischer Traum, von nationalistischer bis liberaler Prägung, erschweren eine Einschätzung zusätzlich. In den grossen Zügen stimmt die Oppositionskoalition allerdings mit der Regierungspartei Vereinigte Nationalbewegung überein, gravierende Unterschiede existieren nicht. Der Reformbedarf des Arbeitsmarkts, des Gesundheitswesens und der Landwirtschaft ist erkannt. Auch aussenpolitisch sollen die Westorientierung sowie die Annäherung an die Nato beibehalten werden. Über einen Vorteil gegenüber der Regierung Saakaschwili meint Iwanischwili in Bezug auf Russland zu verfügen. «Wir kommen unbelastet, mit sauberen Händen», sagt er. Es werde aber nicht einfach und schnell gehen, die Beziehungen zum Nachbarn im Norden zu normalisieren und eine Lösung für die sezessionistischen Gebiete Abchasien und Südossetien zu finden.

Saakaschwili wird vom Kreml seit dem August-Krieg 2008 als Persona non grata behandelt, die diplomatischen Beziehungen sind abgebrochen. Hier scheint Iwanischwili tatsächlich einen Pluspunkt zu haben. Einschränkend ist jedoch festzuhalten, dass generell die Einflussmöglichkeiten der georgischen Politik auf das Walten des Kremls im Südkaukasus nicht überschätzt werden sollten. Hinzu kommt, dass der Faktor Russland auch Iwanischwili im Wahlkampf Schwierigkeiten bereitet hat: Er wird aufgrund seiner geschäftlichen Vergangenheit in Russland vom Saakaschwili-Lager als Kreml-Agent, als eine Marionette Putins verschrien. Auch wenn dies regelmässig die Grenzen der Lächerlichkeit weit überschreitet, reagiert Iwanischwili darauf ebenso scharf. Saakaschwili sei ein professioneller Lügner, ein Tyrann, poltert er.

Angst vor Krawallen

Eine solche Rhetorik stimmt insbesondere vor dem Hintergrund bedenklich, dass die 4,4-Millionen-Bevölkerung immer stärker polarisiert ist. Verunsicherung hat sich breitgemacht. Es wird befürchtet, dass die Parteien den Wahlausgang womöglich nicht akzeptieren werden und es zu Ausschreitungen kommen könnte. Die Unsicherheit spiegelt sich auch in einer grossen Anzahl unentschiedener Wähler, was eine Prognose schwierig macht. Wie angespannt die Lage ist, zeigen die Proteste nach dem Bekanntwerden des Folterskandals in einem georgischen Gefängnis sowie die jüngsten Massendemonstrationen von Regierungskritikern. Der Unmut über die Verhältnisse und die alte Machtelite nimmt zu. Eine demokratische Abhaltung der Parlamentswahlen wird auch ein Test für die Reife des politischen Systems in Georgien sein.

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